Wittgenstein. Umlaufverfahren statt Votum per Handzeichen: Der heimische Sängerkreis zeigt, wie es gehen kann. Außerdem im Interview: Anwalt Frank Henk.
Ein Jahr Corona nun schon mit all den Einschränkungen – und wann treffen wir uns zur Jahreshauptversammlung? Diese Frage hat in den letzten Monaten so manchem Wittgensteiner Vereinsvorstand Kopfschmerzen gemacht. Schließlich müssen ja irgendwann auch mal neue Vorstandsmitglieder gewählt oder der Kassenbericht bestätigt werden. Warum nicht einfach schriftlich abstimmen? Das sogenannten Umlaufverfahren macht es möglich. „Bei uns hat es sich bewährt“, sagt Christian Dellori, 1. Vorsitzender des Sängerkreises Wittgenstein.
Interview mit Anwalt
Ermöglicht wird das Umlaufverfahren in der aktuellen Form durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafrecht“ vom 27. März 2020, das aber nur noch bis Ende 2021 gilt.Wichtig zu wissen: Wollen Vereine sich das Verfahren als Alternative zur Jahreshauptversammlung auch für die Zeit danach erhalten, müssen sie ihre Satzung entsprechend anpassen.Für welche Vereine macht das Verfahren Sinn? Dazu online auf www.wp.de/wittgenstein im Interview: der Bad Berleburger Rechtsanwald Frank Henk.
Hätte das alljährliche Treffen des Sängerkreises wie geplant Ende März in Banfe stattgefunden, wären womöglich rund 100 Personen gekommen, schätzt Dellori – aber das wäre organisatorisch bestimmt „sehr schwierig“ geworden. Und so wurde der Kreissängertag zunächst verschoben und fand dann im Juni 2020 auch formal im Wohnhaus der 2. Vorsitzenden Manuela Görgens als Versammlungsleiterin statt – aber ohne anwesende Mitglieder.
Dellori: Nur drei Vereine haben nicht geantwortet
Vielmehr konnten die 88 Delegierten aus den 45 Mitgliedsvereinen des Sängerkreises und dem Vorstand ihr Votum per Abstimmungsbogen abgeben – etwa bei den Wahlen zum Vorstand, bei denen auch Christian Dellori erneut antrat und deshalb die Versammlungsleitung an Görgens abgab. Den Bogen hatte der Vorsitzende zuvor gemeinsam mit einer „Einladung“ an die Mitgliedsvereine geschickt und um Rücksendung gebeten. Neben den Vorschlägen des Vorstandes zur Abstimmung seien auch solche von Seiten der Vereine möglich gewesen, betont Dellori. Diese habe es aber nicht gegeben.
„Nur drei Vereine haben nicht geantwortet“, berichtet der Vorsitzende. Dennoch waren die Abstimmungen aus dem Umlaufverfahren gültig, das ein Votum vom mindestens der Hälfte der Mitglieder fordert – in diesem Fall die Mitgliedschöre.
Sängerkreis denkt an Wiederholung
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Wird es beim Sängerkreis denn 2021 wieder einen richtigen Kreissängertag geben? Entschieden sei das jedenfalls noch nicht, macht Vorsitzender Dellori deutlich. „Wir wollen eigentlich noch verschiedene verdiente Vorstandsmitglieder verabschieden“, sagt er – vielleicht in einer Jahreshauptversammlung noch im Sommer unter freiem Himmel. Oder aber in einer eigenen Veranstaltung, während das Formelle einmal mehr per Umlaufverfahren über die Bühne gehen könnte. So hätten sich die Vorsitzenden der Mitgliedschöre ausdrücklich beim Sängerkreis-Vorstand bedankt dafür, „dass das vergangene Geschäftsjahr abgehakt werden konnte“, sagt Dellori – „trotz Pandemie“.
„So als Dachverband lässt sich das gut managen“, zieht der Sängerkreis-Vorsitzende ein positives Fazit nach Abschluss des Verfahrens. Es könne sicherlich auch für kleinere Vereine eine Alternative sein, um die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Bei größeren Vereinen etwa mit über 1000 Mitgliedern und vielen Passiven dagegen sei es schon schwierig, bei den Abstimmungen ausreichend Rückmeldungen zu bekommen, schätzt Dellori.
Problemfall Kampfabstimmung
Problematisch könnte es auch werden, so Dellori weiter, wenn es im Verein etwa Differenzen bei Kassenlage gebe oder eine Kampfabstimmung um Vorstandsposten anstehe. Denn da lasse sich beim Umlaufverfahren nicht so ohne weiteres offen diskutieren wie etwa auf einer Versammlung.
Dennoch hat das Konzept des Sängerkreises Interesse geweckt. So gebe es „schon zwei, drei Vereine, die unser Verfahren gerne als Vorlage für eigene Abstimmungen nutzen möchten“, verrät Christian Dellori. Außerdem sei beim Sängerkreis gerade eine Satzungsänderung in Arbeit, die das Umlaufverfahren für die Zukunft grundsätzlich als Alternative zur Jahreshauptversammlung im Notfall möglich macht – „und wir dann hoffentlich für weitere Pandemien gewappnet sind“, so der Vorsitzende.
Sehr oft Angst vor Fehlern
Erfahrungen mit dem Umlaufverfahren gemacht hat auch Marc-André Amos, Schriftführer beim Förderverein der Feuerwehr Bad Laasphe, Löschzug 1. Die Kenntnisnahme des Kassenberichts sowie die Entlastung des Vorstandes sei für das Jahr 2020 auf diese Weise abgewickelt worden. Und das habe bei insgesamt 88 Vereinsmitgliedern auch gut funktioniert, so Amos, von Beruf übrigens Rechtsanwalt.
Allerdings sei ganz oft die Sorge der Vereine groß, bei dem doch sehr formalen Umlaufverfahren „etwas falsch zu machen“, hat Amos festgestellt. Pannen könnten aber genauso gut bei einer Jahreshauptversammlung als Videokonferenz passieren, wenn im entscheidenden Moment der Abstimmung die Technik versage.
Deshalb entschieden sich viele Vereine wie etwa die DLRG-Ortsgruppe Bad Laasphe, deren Sprecher Amos ist, „derzeit noch vermehrt für eine Verschiebung der Jahreshauptversammlung auf einen späteren Zeitpunkt des Jahres – in der Hoffnung, dass die Pandemie-Lage dann wieder Präsenzveranstaltungen ermöglicht“.
Interview: Großen Vereinen droht zu wenig Rücklauf
Zum Thema im Gespräch mit unserer Redaktion: Frank Henk, Rechtsanwalt und Notar aus Bad Berleburg
1. Das Umlaufverfahren – wie funktioniert es eigentlich?
Das Umlaufverfahren gab es auch bisher schon, also auch schon vor der Krise und vor Inkrafttreten des Covid-19-Maßnahmengesetz. Umlaufverfahren heißt, dass eine Beschlussvorlage erstellt wird, die dann von Mitglied zu Mitglied weitergegeben wird. Und jedes Mitglied vermerkt auf der Vorlage, ob es zustimmt oder nicht.
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch BGB (§ 32 Abs. 2) müssen alle Mitglieder zustimmen, nach dem Maßnahmengesetz müssen zwar alle Mitglieder beteiligt werden, aber nur mindestens die Hälfte muss sich tatsächlich beteiligen und ihre Stimme abgeben. Beteiligen sich weniger, ist der Beschluss unwirksam, beteiligen sich mehr, ist der so gefasste Beschluss gültig, wenn die nach der Satzung erforderliche Mehrheit eingehalten ist.
Eigentlich ist das dann kein Umlaufverfahren mehr, weil ja nichts „umläuft“, sondern eher ein schriftliches Verfahren. Wobei man auch ohne Papier auskommen kann, denn die Stimmabgabe ist auch per E-Mail, Fax oder WhatsApp möglich, juristisch nennt sich das „Textform“.
2. Für welche Vereine in Wittgenstein ist das Umlaufverfahren aus Ihrer Sicht als Jurist eine sinnvolle Alternative?
Da sich die Hälfte der Mitglieder beteiligen müssen, dürfte sich das Verfahren zur Beschlussfassung in Publikumsvereinen mit sehr vielen Mitgliedern nicht eignen, weil vermutlich nicht mit einem entsprechenden Rücklauf zu rechnen ist. Wenn in eher kleinen Vereinen wichtige Beschlüsse gefasst werden müssen, ist das sicher ein Weg. Ich meine allerdings, dass eine solche Beschlussfassung die Mitgliederversammlung nicht ersetzen kann.
3. Müssen oder sollten die Vereine dafür ihre Satzung ändern? Inwiefern?
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Der Gesetzgeber hatte das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (GesRuaCOVBekG) mit einem Verfallsdatum zum 31. Dezember 2020 ausgestattet. Kurz vor dem Jahreswechsel ist es um ein Jahr verlängert worden. Ich rechne nicht mit einer weiteren Verlängerung.
Wer die Erleichterungen in diesem Jahr nutzen will, muss nichts unternehmen. Im Jahr 2022 sind wir dann vermutlich wieder beim alten, relativ formstrengen BGB-Vereinsrecht. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 27. September 2011 (Aktenzeichen I-27 W 106/11) konnte auch schon nach dem BGB-Vereinsrecht die Satzung eine Online-Mitgliederversammlung ermöglichen. Wer das so haben möchte, sollte eine entsprechende Satzungsänderung vorbereiten.
4. Warum könnte es ganz konkret ratsam sein, die Satzungsänderung vorab mit dem zuständigen Registergericht und dem Finanzamt abzusprechen?
Gemeinnützige Vereine wollen selbstverständlich ihren Status nicht gefährden. Ich glaube zwar nicht, dass sich Satzungsänderungen zur erleichterten Beschlussfassung auf die Gemeinnützigkeit auswirken können. Aber es kann nicht schaden, dies vorher mit dem Finanzamt abzuklären.
Das Registergericht – bei uns das Amtsgericht Siegen, das im gesamten Bezirk des Landgerichts Siegen für das Vereinsregister zuständig ist – muss Satzungsänderungen, die nicht mit dem zwingenden Vereinsrecht im Einklang stehen, beanstanden. Daher ist es sicher sinnvoll, die geplante Satzungsänderung mit ihm abzustimmen.
5. Inwieweit können Sie als Anwalt die Vereine unterstützen?
Register-Anmeldungen müssen notariell beglaubigt werden. Daher sind häufig die Notare erste Ansprechpartner für die Vereine. Die Erarbeitung einer neuen Satzungsregelung für den Verein geht über die Registeranmeldung aber weit hinaus – und wäre daher als eigene Rechtsdienstleistung von den Rechtsanwälten zu erbringen. Am Ende sollte eine individuell auf den Verein zugeschnittene Vorlage für eine Satzungsänderung, also eine Beschlussvorlage für die Mitgliederversammlung stehen.