Siegen/Wilnsdorf. Völlig verkorkste Beziehung, ständig Streit und Fremdgehen, Umzüge, Knast - und mittendrin die Frage: Hat Wilnsdorfer 9-jähriges Mädchen missbraucht?

Die Vorwürfe klingen abscheulich. Mehrfach soll ein heute 44 Jahre alter Mann aus Wilnsdorf ein zur Tatzeit (Januar und Februar 2023) 9-jähriges Kind schwer sexuell missbraucht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, die Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin nicht nur Pornografie ausgesetzt, vor ihr sexuelle Handlungen durchgeführt und sie intim berührt zu haben; er soll sie auch brutal vergewaltigt haben. Der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Siegen, vor der am Dienstag, 29. Oktober, das Verfahren gegen den Mann begann, liegen laut Nebenklage ärztliche Atteste über die Verletzungen des Kindes vor. Der Mann bestreitet die Tat vehement.

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Die Vorwürfe sind falsch, das ist alles so nicht vorgefallen“, sagt der Verteidiger des Angeklagten, der daher auch keine Angaben zum konkreten Geschehen machen könne, da es sich nicht ereignet habe. Der jungenhaft wirkende Wilnsdorfer erzählt hingegen ausgiebig bis weitschweifig von dem offenbar mehr als komplizierten Verhältnis zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und den zahlreichen Problemen in seinem und dem gemeinsamen Leben. Die Frau, die sehr jung Mutter wurde, sagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus, ebenso das Mädchen.

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Das mutmaßliche Opfer ist nicht die Tochter des Angeklagten, sie haben aber noch eine gemeinsame Tochter, einige Jahre jünger. Der Wilnsdorfer hat zudem zwei Söhne aus einer früheren Ehe sowie ein weiteres Kind mit seiner Ex-Frau - das offenbar „so nebenbei“ gezeugt wurde, als seine Lebensgefährtin ihn einmal im Streit vor die Tür setzte und er zeitweise bei seiner von ihm geschiedenen Frau unterkam. Er hatte da wohl gerade Hafturlaub - er war verurteilt worden wegen Alkohol am Steuer und Hausfriedensbruch. Nicht das erste Mal: Er hatte damit Bewährungsauflagen nicht eingehalten.

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Die Ex-Frau, sagt er, habe zudem ein Drogenproblem entwickelt, kam irgendwann in einer Mutter-Kind-Einrichtung unter, wo er sie besuchte, dort eine andere Frau kennenlernte und mit ihr etwas anfing. Sie war vor ihrem gewalttätigen Freund dorthin geflüchtet, der auch Kinderpornografie besessen hatte. Die Videos landeten schließlich auf seinem Handy - versehentlich, wie er beteuert; er präsentierte eine in der Tat nachvollziehbare Erklärung. Als dann aber die Vorwürfe bekannt wurden, wegen derer er nun vor Gericht steht, gab sie ihm endgültig den Laufpass. Achja: Der Umgang mit den Kindern war schon vor diesen Vorwürfen vom Familiengericht geregelt, auch das Jugendamt ist seit Längerem involviert.

Es ist wohl ziemlich kompliziert.

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Kern dieses verworrenen Geflechts aus Beziehungen, Fremdgehen, Umziehen und mittendrin mehreren Kindern ist seinen Aussagen zufolge der seit längerem schwelende Streit mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die Mutter des mutmaßlichen Opfers: um Kindererziehung. Sie habe der Tochter zu viele Freiheiten gelassen, nicht Nein gesagt oder Konsequenzen gezogen, was er nicht gutgeheißen habe. Was ihn auch nichts angeht, da sie nicht seine Tochter ist. Er handhabe das bei seinen Kindern strenger - als dann die gemeinsame Tochter da war, habe es sich immer weiter zugespitzt. Mit dem mutmaßlichen Opfer habe er sich aber gut verstanden, das sei auch von ihr ausgegangen. In dieser Patchwork-Situation habe das Mädchen oft bei ihm sein wollen - zusammen mit der leiblichen Tochter; die beiden seien schließlich Halbschwestern.

„Sie kann machen was sie will, aber mir geht es um die Kinder.“

Angeklagter
vor Gericht

Gleichzeitig wird eine gewisse Verbitterung deutlich: Denn während er im Gefängnis war, ging seine damalige Partnerin wohl mehrere sexuelle Beziehungen mit Männern ein, unter anderem mit einem engen Freund, den er in der Haft kennengelernt hatte. Darüber habe sie ihn aber wiederholt belogen, sich geweigert, ihm ihre neuen Partner vorzustellen. Sie sei mit der Erziehung überfordert gewesen, sei öfter über Nacht und am Wochenende weggewesen, um sich zu vergnügen oder um Männer zu besuchen, während er bei ihr zuhause blieb und sich um die Kinder kümmerte, sagt er. Während dieser Zeit verbrachte er Hafturlaube bei seiner Ex-Freundin, zog nach dem Gefängnis bei ihr ein, flog raus, kam bei der Ex-Frau unter (und zeugte das erwähnte weitere Kind mit ihr), zog in eine eigene Wohnung, zog mehrfach um, schließlich wieder bei seiner Ex-Freundin ein. Die ihn wieder rausschmiss, als sie mitbekam, dass die Ex-Frau schwanger war.

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Sie gingen wohl auch immer wieder eine Beziehung ein und beendeten sie später wieder - ein wirkliches Ende kann der Angeklagte selbst nicht nennen. Offenbar passte es ihm nicht so recht, dass sich seine Ex mit anderen Männern traf, während er auf die Kinder aufpassen sollte. „Sie kann machen was sie will, aber mir geht es um die Kinder“, sagt er einmal. Andererseits schlief er angeblich auch bei ihr im Bett, als sie schon einen neuen festen Partner hatte. Und musste dann, als der das mitbekam, im Keller übernachten. Ihm sei sehr an einem normalen Alltag mit den Kindern gelegen, betont er mehrfach - auch wenn er nicht bei seiner Ex wohnte, holte er seinen Aussagen zufolge die Kinder ab, brachte sie zur Kita, engagierte sich dort, holte sie ab, kochte, unternahm Ausflüge.

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Der Wilnsdorfer wirkt recht unbedarft, reagiert oft angefasst, sucht nach Worten, Zeitpunkten und Zeiträumen. Insgesamt sind seine weitschweifigen und mitunter umständlichen Schilderungen aber erst einmal nicht unglaubwürdig. Wie die Kammer die Aussagen des Kindes und der Mutter bewertet, wird wohl erst bei der Urteilsverkündung bekannt. Angesetzt sind zwei weitere Termine (6. und 11. November), das Urteil soll am Mittwoch, 13. November, in Saal 165 gesprochen werden. Aktenzeichen: 21KLs 29/23.