Siegen. „Begegnungen mit Tätergruppen rechtssicher zu dokumentieren“: Siegener Kommunalpolitik debattiert über rechtliche Fragen rund ums Recht am eigenen Bild.
Im Siegener Rat laufen die Videokameras noch, wenn der Rat tagt. In Netphen wurden sie mangels Publikumsinteresse wieder abgebaut. Die Debatten, wie die Persönlichkeitsrechte der Kommunalpolitiker zu wahren sind, sind weitgehend entschieden – wer nicht übertragen werden will, wird ausgeblendet, im Netz erscheint dann nur eine Hinweistafel. Was aber ist, wenn jemand ausdrücklich gern auch für das Publikum im Internet redet und er seinen Beitrag aufzeichnen und weiterverbreiten will? Geht nicht, meint die Siegener Verwaltung. Sie weist bei Sitzungsübertragungen darauf hin, dass ein Mitschnitt verboten sei, weil er gegen das bei der Stadt liegende Urheberrecht verstoße.
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Die AfD-Fraktion ist anderer Meinung. „Das Urheberrecht an den gehaltenen Reden selbst, also deren Text, liegt beim Redner, also dem jeweiligen Mitglied des Stadtrats.“ Und dann geht die Fraktion ins Detail: Es könne wohl sein, dass der Ersteller der Videoaufzeichnung ein Urheberrecht an seinem Film habe. „Bei den hier in Rede stehenden statischen Videoaufzeichnungen dürfte es sich mangels der erforderlichen Schöpfungshöhe aber nicht um Werke im Sinne des Urhebergesetzes handeln.“ Auch solche Bild- und Tonfolgen könnten als „Laufbilder“ geschützt sein. Allerdings bestehe auch da die gesetzliche Erlaubnis zur „Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Reden, die bei öffentlichen Verhandlungen vor kommunalen Organen gehalten worden sind“.
Die Nutzungsrechte an den „Laufbildern“ habe der Ersteller, ein von der Stadt beauftragter Dienstleister, an die Stadt übertragen. Folglich könne die Stadt bestimmen, ob und wie die Aufzeichnungen genutzt und zugänglich gemacht werden. „Die Stadt kann aber unseres Erachtens nach nicht die öffentliche Wiedergabe durch die Fraktionen unter Berufung auf die ihr übertragenen Rechte des Erstellers untersagen.“ Es gebe auch keinen Ratsbeschluss, der Fraktionen die Nutzung von eigenen Redebeiträgen untersagt. „Gäbe es einen solchen, wäre dieser nach gültiger Rechtslage nichtig, da dieser höherwertigen Rechtsnormen zuwiderliefe.“ Die AfD-Fraktion wolle „für ein breites Publikum visibel ... machen“, wie sie die Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler vertrete. „Es ist daher für unsere Fraktion nicht hinnehmbar, wenn - unabhängig von welcher Seite - der Versuch unternommen wird, unsere Fraktion an der Erfüllung eben jenes Auftrages unter Vorbringung fadenscheiniger Argumente zu hindern.“
Siegener Verwaltung sieht „schwierige Rechtsfragen“
Die Verwaltung ist nicht überzeugt. „Die Anfrage wirft schwierige Rechtsfragen auf, die – soweit ersichtlich – bisher in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind“, heißt es in der gemeinsamen Antwort von Rechtsamt und Bürgermeisterbüro. Bisher seien im Zusammenhang mit dem Sitzungs-Streaming Fragen des Daten- und des Persönlichkeitsschutzes erörtert worden – also zum Beispiel, wie sichergestellt wird, dass niemand gegen seinen Willen gefilmt wird. Zum Urheberrecht gebe es in diesem Zusammenhang keine „gesicherte Literaturmeinung“.
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Erst zu untersuchen sei, wie das Kommunalrecht, nach dem Sitzungen öffentlich sind, sich zum Urheberrecht verhalte. Es gehe auch um die Frage, „in welchem Verhältnis die Rechte einzelner Ratsmitglieder und/oder Fraktionen im Hinblick auf Mehrheitsentscheidungen des Rates zum Umgang mit Schutzrechten stehen“. Soll wohl heißen: Kann eine Fraktion von sich aus auf einen Schutz verzichten, den der Rat mit Mehrheit für alle beschlossen hat? „Vor diesem Hintergrund bedarf die aufgeworfene Frage noch einer näheren Prüfung.“ Die Zusatzfrage von Roland Steffe (AfD), wann denn mit einem Ergebnis zu rechnen sei, konnte Bürgermeister Steffen Mues nicht beantworten. Es handele sich eben um eine „etwas knifflige Frage“.
Das Sitzungsstreaming kostet die Stadt jährlich rund 25.000 Euro. Außer dem Personal des Dienstleisters wird eine Verwaltungskraft eingesetzt, die das Filmteam jeweils informiert, ob eine Einverständniserklärung der gerade sprechenden Person vorliegt. Im Testjahr 2022 sahen 376 Nutzer den Übertragungsauftakt, danach spielten sich die Zuschauerzahlen zwischen 60 und rund 100, im Einzelfall noch einmal knapp 200 ein.
Versuch: Siegener Ordnungsdienst wird mit Bodycams ausgestattet
Unter einem anderen Aspekt wurden Videoaufzeichungen kurz darauf noch einmal Thema im Rat. Diesmal ging es um die Frage, wo die Bodycams der Ordnungsbehörde aufbewahrt werden. Wenn das bei den städtischen Bediensteten zu Hause wäre, „dann sähen wir das nicht so gerne“, stellte Martin Heilmann (Grüne) fest, der darauf keine Antwort bekam.
Anlass für die Nachfrage war der Antrag der UWG-Fraktion, die Ordnungsbehörde mit Bodycams auszustatten. „Angesichts der zunehmenden Aggressionen und Übergriffe auf Ordnungskräfte ist es notwendig, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen“, heißt es in der Begründung des Antrags. Die Kameras dienten auch dazu, „Begegnungen mit Tätergruppen rechtssicher zu dokumentieren“, fügte Achim Bell (UWG) hinzu.
Der Antrag wurde vom Rat einstimmig beschlossen. Eine Testphase sei bereits „konkret vorgeplant“, berichtete die Verwaltung in ihrer Stellungnahme. Verzögert worden sei das Vorhaben durch die Cyber-Attacke auf die Südwestfalen-IT. Vorab erfolge nun die Einbindung der Ordnungsbehörde in das Funknetz der „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“.
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