Siegen. Landrat Müller richtet Brandbrief an Minister Wissing. Unterschwelliger Vorwurf: DB Cargo stößt sich auf Kosten heimischer Unternehmen gesund.
„Wehret den Anfängen“, warnt Christian Betchen. Für den Geschäftsführer der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein ist das Erndtebrücker Eisenwerk (EEW) ein „klassischer Auftraggeber“.
+++ Immer auf dem Laufenden mit WhatsApp: Hier geht‘s zum Kanal der Lokalredaktion Siegen +++
Baustellen und Umladen in Kreuztal: „Wirtschaftlich nicht darstellbar“
Wenn der nicht mehr von der Bahn bedient werde, könnten viele andere Kunden folgen. Nicht, weil die Kunden abtrünnig werden. Sondern weil die Bahn die Kunden nicht mehr will. So wie die Krombacher Brauerei, die seit Ende vorigen Jahres keine Waggons beim Container-Terminal Südwestfalen in Kreuztal mehr beladen kann. „DB Cargo hat den Betrieb eingestellt“, berichtet Krombacher-Sprecher Peter Lemm, „die Gründe sind uns auch nicht ganz klar.“ Dieser Darstellung widerspricht allerdings DB Cargo: „Die angefragten Logistikkonzepte von Krombacher waren aufgrund der logistischen Rahmenbedingungen der Infrastruktur (zu viele Baustellen, Umladen im Terminal) wirtschaftlich für beide Seiten nicht darstellbar.“
Das läuft bei DB Cargo
DB Cargo, die Güterverkehrstochter der Deutschen Bahn AG, fährt Defizite ein, die die Konzernmutter ausgleicht. Für die EU ist das eine unzulässige Beihilfe, denn die Bahn gehört bekanntlich dem Staat. Ausweg soll ein neues Förderprogramm sein: Fünf Jahre jährlich 300 Millionen Euro „Betriebskostenförderung im Einzelwagenverkehr“. Einzelne Waggons von und für unterschiedliche Adressen zu ganzen Zügen zusammenzustellen und immer wieder neu zu rangieren, ist teurer als die Verfrachtung kompletter Züge. DB Cargo könnte die Zuschüsse vor allem nutzen, um aus den roten Zahlen zu kommen, ist nun die Befürchtung – und nicht, um weiterhin Waggons „kleiner“ Kunden zu transportieren.
Das weist DB Cargo zurück: Die Förderung für den Einzelwagenverkehr stehe allen 200 Unternehmen offen, die in Deutschland Schienengüterverkehr anbieten. „DB Cargo ist keinesfalls Alleinanbieter in diesem Segment.“ Darauf wiederum reagiert Kreisbahn-Chef Christian Betchen DB Cargo betreibe „das marktbeherrschende Einzelwagennetzwerk in Deutschland und Europa“. Von den „Unterfrachtführern als Erfüllungsgehilfen auf der ersten/letzten Meile“, überwiegend nichtbundeseigene Eisenbahnen (NE) wie die Kreisbahn Siegen-Wittgenstein, fordere DB Cargo „die Abtretung überwiegender Fördermittel aus der EV-Betriebskostenförderung“.
„Klein“ war auch die Krombacher, die seit 2022 volle Flaschen nach Hamburg, Bremen und Berlin schaffen ließ und Leergut zurückgebracht bekam. Immer in den „Slots“ und in dem Volumen, das ihnen die Bahn zuteilte, berichtet Krombacher-Sprecher Peter Lemm. „Das war alles nicht ganz einfach, das alles abzustimmen.“ Eingeführt wurde dieser Verkehr, um die Folgen der Sperrung der A 45 abzumildern. Nach wie vor mussten Kisten und Fässer auf den Lkw geladen werden. Aber immerhin sollten jährlich 750 Lkw-Fahrten eingespart werden.
„Preiserhöhungen sind der einfachste Weg, dass der Kunde, den man nicht mehr haben will, dann irgendwann weg ist.“
Weder Krombacher noch EEW bringen ganze Züge auf die Strecke. Wie die meisten anderen mittelständischen Unternehmen in Südwestfalen auch, weiß Kreisbahn-Geschäftsführer Christian Betchen. Wenn DB Cargo sich aus dem Einzelwagen- und dem kombinierten Verkehr, wie er über das Kreuztaler Terminal abgewickelt wird, zurückzieht, ist auch das kreiseigene Unternehmen betroffen, das die Zubringerfahrten, zum Beispiel von Erndtebrück nach Kreuztal, im Auftrag der DB Cargo übernimmt. „Wir sind davon abhängig, wie DB Cargo sich gegenüber den Kunden verhält.“ Ständige Preiserhöhungen seien der „einfachste Weg, dass der Kunde, den man nicht mehr haben will, dann irgendwann weg ist“, stellt Christian Betchen fest.
Das schreibt der Landrat an den Minister
Darauf reagiert nun Landrat Andreas Müller in einem Brandbrief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Vorausgegangen war ein Besuch des Landrates beim Erndtebrücker Eisenwerk (EEW). Gemeinsam mit Christian Betchen erörterte der Landrat mit Markus Völkel, Geschäftsführer EEW, Jörg Bottenberg, Technischer Geschäftsführer EEW, und Ingo Roth, Leiter Logistik EEW, die bedrohliche Logistiksituation.
So viele Industriefirmen wie noch nie erwägen aktuell die Verlagerungen ihrer Produktion ins Ausland. Bei größeren Unternehmen ist dies sogar mehr als jeder zweite Betrieb. Davor warnt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) jetzt unter Verweis auf eine großangelegte Umfrage. Für Landrat Andreas Müller befördert der Bund mit seinem Güterverkehrsunternehmen DB Cargo diese Entwicklung. Für den Landrat ist es „völlig inakzeptabel“, der voranschreitenden De-Industrialisierung Deutschlands, vor der der DIHK warnt, tatenlos zuzusehen.
„DB Cargo hat den Betrieb eingestellt. Die Gründe sind uns auch nicht ganz klar.“
Während der Kreis Siegen-Wittgenstein weiter in die regionale Schieneninfrastruktur investiere und in neue Verkehrsprojekte zur Verlagerung von Verkehren von der Straße auf die Schiene einsteige, führe der Bund eine neue Förderrichtlinie ein, von der im Wesentlichen die defizitäre DB Cargo AG als Alleinanbieter eines Einzelwagen- und Wagengruppensystems profitiert, so der Landrat in seinem Schreiben: „Anstatt das Leistungsangebot jedoch (…) zu stärken, konfrontiert die DB Cargo das jüngst von mir besuchte Werk der EEW in Erndtebrück mit nahezu unseriösen Preissteigerungen von 15 bis 18 Prozent im Turnus von sechs Monaten und versuchte den mit der KSW seit 2003 bestehenden Verkehrsvertrag zu kündigen“, so der Landrat: „Es geht hier um 2.000 Lkw im Jahr. Bei vielen davon handelt es sich um zu begleitende Großraum- und Schwertransporte, die quer durch das Rothaargebirge geführt werden müssten. Wie ist dieses Verhalten der staatseigenen Güterbahn mit der eigentlichen Zielsetzung des Bundesverkehrsministeriums mit dem neuen Förderprogramm vereinbar?“, fragt Müller.
DB Cargo: „In einer Marktwirtschaft üblich“
DB Cargo widerspricht dieser Darstellung. Das Unternehmen müsse eigenwirtschaftlich und wettbewerbsfähig im Markt agieren. Anders als bei einem Kommunalunternehmen wie der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein würden Verluste nicht durch Steuergelder oder die öffentliche Hand ausgeglichen. „Darum folgt die DB Cargo der allgemeinen Marktentwicklung in der Branche, die in den vergangenen Jahren durch Inflation und höhere Kosten bei Löhnen und Energie getrieben war. Darum müssen alle Rahmenverträge an die wirtschaftlichen Realitäten angepasst werden - was in einer Marktwirtschaft völlig üblich ist.“ . Dem wiederum widerspricht Kreisbahn-Geschäftsführer Christian Betchen: Die Kreisbahn erhalte keinen Verlustausgleich.
Der Landrat verweist sowohl auf die europäische als auch die bundesdeutsche Umwelt- und Verkehrspolitik. Beide zielen darauf ab, eine deutliche Steigerung des Schienengüterverkehrs am volkswirtschaftlichen Gesamtgüteraufkommen zu erreichen, um die Emissionen des Verkehrsbereichs nachhaltig zu reduzieren. „Alle Zahlen machen deutlich, dass insbesondere der Verkehrssektor hier ganz erhebliche Defizite aufweist“, unterstreicht Andreas Müller. Das Geschäftsgebaren der DB Cargo führt aus Sicht des Landrates aber genau zum Gegenteil: Mehr Lkw-Verkehre auf der Straße, weniger Gütertransporte auf der Schiene – im Ergebnis ein höherer CO₂-Ausstoß.
Landrat kritisiert Geschäftspolitik von DB Cargo
In seinem Schreiben an Volker Wissing verweist Müller auch auf die frustrierenden Erfahrungen der Krombacher Brauerei. „Über 1.000 Lkw-Komplettladungen werden pro Jahr jetzt wieder zusätzlich über die ohnehin stark beanspruchten Ausweichrouten der A 45 fahren.“ Dabei hatte die regionale Wirtschaft nach der Sperrung der Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid massive Anstrengungen in Zusammenarbeit mit der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein unternommen, alternative Verkehrskonzepte über die Schienenwege aufzubauen. Das werde jetzt durch die Geschäftspolitik der bundeseigenen DB Cargo ins Gegenteil verkehrt, führt der Landrat aus.
„Existenzielle Bedrohung deutscher Erfolgsunternehmen in Südwestfalen durch das Geschäftsgebaren der DB Cargo abwenden.“
In seinem Schreiben bittet Müller Wissing, ihm mitzuteilen, welche Maßnahmen der Minister kurzfristig ergreifen werde, „um die existenzielle Bedrohung deutscher Erfolgsunternehmen in Südwestfalen durch das Geschäftsgebaren der DB Cargo abzuwenden. Ein Verweis auf den angespannten Bundeshaushalt oder den laufenden Transformationsprozess ist keine akzeptable Antwort.“ Es liege in der Verantwortung des Ministers, die notwendigen Mittel bereitzustellen, „um den Bahnverkehr zu stärken, Klimaziele zu erreichen und die heimische Wirtschaft vorm (verkehrlichen) Kollaps zu bewahren“ so Müller. „In der Verantwortung der DB Cargo AG liegt es, sich mehr mit den Kunden zu beschäftigen als mit sich selbst“.
Die Kreisbahn Siegen-Wittgenstein fährt für DB Cargo jährlich um die 20.000 Waggons. „Es besteht die Gefahr, dass wir Verkehrsvolumen verlieren“, warnt Kreisbahn-Geschäftsführer Christian Betchen – schlimmstenfalls die Hälfte des Gesamtaufkommens. Längst ist die Kreisbahn, bereits seit 2011, dabei, selbst komplette Güterzüge durchs Land zu fahren. „Das ist ein Bereich, der ausgebaut werden soll.“
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++