Siegen-Wittgenstein. Die Bahn rund um Siegen ist so schlecht unterwegs wie nie zuvor. Auch deswegen weint der Landrat dem einst ersehnten Intercity keine Träne nach.

So schlecht wie noch nie ist die Bahn in Siegen-Wittgenstein unterwegs. In der Verbandsversammlung des Zweckverbandes Personennahverkehr (ZWS) ist – wie immer – Markus Stirnberg zu Gast, Abteilungsleiter des für den Schienenverkehr zuständigen Nahverkehr Westfalen-Lippe. Seinen „Qualitätsbericht“ kann er nur noch mit einem Achselzucken vorstellen: „Mit Qualität hat das eigentlich nicht mehr viel zu tun.“

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Der Intercity

Der Misere geopfert wird wohl nun der erst seit Dezember 2021 eingesetzte Intercity (IC) Dortmund-Siegen-Frankfurt. Bereits zum Fahrplanwechsel im Dezember 2024 werden Züge am frühen Morgen und am Abend gestrichen, nach von der DB nicht bestätigten Informationen des Kreises außerdem die durchgehenden Verbindungen von und nach Norddeich, die die Deutsche Bahn (DB) auf eigene Rechnung betreibt. Für die anderen Fahrten steht sie beim NWL unter Vertrag.

Dafür, dass zwischen Dillenburg und Dortmund auch Fahrgäste mit Nahverkehrstickets mitfahren dürfen, bekommt die DB Geld vom NWL. 2026 läuft dieser Vertrag aus. Bereits im September 2023 hatte die NWL-Verbandsversammlung beschlossen, diesen Auftrag neu auszuschreiben. Zur gleichen Zeit läuft auch der Auftrag an die DB Regio für den Dortmund-Siegerland-Express (RE 34) aus – eine mit dem IC gleichzeitig eingeführte neue Regionalexpresslinie, die alle zwei Stunden im Wechsel mit dem IC fährt. Damit sind die Voraussetzungen gegeben, den Verkehr zwischen Siegen und Dortmund komplett neu zu ordnen.

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Bereits aus dem nächsten Fahrplan, der ab Mitte Dezember gilt, werden die Intercitys um 5.08 Uhr ab Siegen nach Dortmund und 20.59 ab Dortmund nach Siegen und Frankfurt gestrichen, dafür fährt dann der RE 34. Aus Frankfurt kommt ein neuer „Sprinter“ des RE 99 im 18.25 Uhr und ein weiterer um 21.05 Uhr in Siegen. Der späte Intercity ab Frankfurt (Ankunft in Siegen 21.01 Uhr) wird gestrichen, dafür wird ab Dillenburg eine zusätzliche RB 95 eingesetzt.

Seit es, seit Ende 2022, den Fernverkehrszug über Siegen gibt, gibt es auch die aus der Ferne mitgebrachten Verspätungen, konkret aktuell eine Baustelle zwischen Bad Vilbel und Frankfurt. Hinter dem IC zuckeln die anderen Linien, die dieselbe Strecke benutzen, hinterher. Dass gerade einmal die Hälfte der Intercitys Siegen mit weniger als vier Minuten Verspätung erreicht, ist weniger als die halbe Wahrheit. Über 15 Prozent der Fahrten sind allein von Januar bis April ganz ausgefallen.

Bereits seit Frühjahr 2022 machen Intercitys mit mehr als 30 Minuten Verspätung einen Bogen um Siegen. Sie fahren zwischen Weidenau und Haiger direkt durch den Giersberg-Tunnel. Der Zug muss dann nicht mehr in Siegen die Fahrtrichtung wechseln und holt so um die zehn Minuten auf.

„Der Wegfall der ICs muss für die Fahrgäste kein Nachteil sein – vielleicht sogar im Gegenteil. Regionalexpresse, die auch wirklich fahren, sind mir lieber, als ein IC, der nicht kommt.“

Andreas Müller, Landrat

„Es wäre höchst bedauerlich, wenn die Groß- und Universitätsstadt Siegen wieder vom Fernverkehrsnetz der DB abgekoppelt werden sollte: Mit Sicherheit kein Beitrag zur Verkehrswende und ein Rückfall in alte Zeiten, von denen wir gedacht haben, dass sie längst überwunden wurden“, kommentiert Landrat Andreas Müller die Entwicklung um den Intercity. Auf der anderen Seite habe der IC seine Pünktlichkeitsprobleme nie in den Griff bekommen. „Vor diesem Hintergrund sind mir Regionalexpresse, die auch wirklich fahren, lieber, als ein IC, der nicht kommt. So hart die Feststellung ist: Der Wegfall der ICs muss für die Fahrgäste kein Nachteil sein – vielleicht sogar im Gegenteil.“

Die Folgen für den Nahverkehr

Fast alle Linien sind im roten Bereich („nicht akzeptabel“). Ausnahmen machen nur die Hellertalbahn und der Biggesee-Express; weil höchstens jede zehnte Fahrt mehr als drei Minuten verspätet ist, stehen für sie die einzigen grünen Striche im Netzplan. Auf allen anderen Verbindungen geht es eher verheerend zu. Den Tiefpunkt setzt der Intercity, der aber nicht an allem schuld ist.

NWL-Abteilungsleiter Markus Stirnberg hat Erklärungen für das in den Monaten Januar bis April entstandene Bild:

Streik: Die Gewerkschaft der Lokführer hat gestreikt. Das habe allein beim Rhein-Sieg-Express von und nach Köln im Januar für 30 bis 40 Prozent Totalausfall gesorgt, weiß Markus Stirnberg. „Diesmal waren aber auch die anderen Linien massiv betroffen.“ Denn weil die Belegschaften gewerkschaftlich gut organisiert sind, wurde auch in den Stellwerken Kreuztal, Hilchenbach, Finnentrop und Haiger die Arbeit niedergelegt.

Brückenschaden: Bei Kirchen musste eine schadhafte Brücke gesperrt werden. Sie wurde dann zunächst auf einem Gleis freigegeben, die Höchstgeschwindigkeit auf 20, aktuell auf 40 km/h festgesetzt. Die Folge: Neben dem Rhein-Sieg-Express fahren auch Westerwald-Sieg-Bahn und Rothaarbahn Verspätungen ein. Mir nur noch rund 65 Prozent Pünktlichkeit läuft die Linie von Betzdorf über Siegen nach Kreuttal, Hilchenbach und Wittgenstein dem Regionalexpress ins Rheinland den Rang ab, in negativer Sicht.

Fahrzeugausfälle: Davon sei die DB Regio, die den Rhein-Sieg und den Dortmund-Siegerland-Express bedient, besonders stark betroffen, berichtet Markus Stirnberg. Vielleicht, weil sie schon am längsten in der Region unterwegs ist und mit älteren Fahrzeugen fahren muss als Hessische Landesbahn und VIAS Rail, die für die anderen Linien zuständig sind. 2025 läuft die Vergabe an den DB für den rsx aus, die Strecke ist neu ausgeschrieben.

Personalausfälle: Die treffen besonders die Kurhessenbahn, ebenfalls ein DB-Unternehmen. Die Züge zwischen Marburg und Bad Laasphe sind an Werkstagen gestrichen und werden durch Busse ersetzt. Weil ein solcher „geplanter“ Ausfall keiner ist, wird er im Qualitätsbericht nicht aufgeführt. Trotzdem werden allein zwischen Erndtebrück und Bad Laasphe weitere zehn Prozent „nicht vorhersehbare Zugausfälle“ registriert. Als „akzeptabel“ gilt eine Ausfallquote von höchstens 0,74 Prozent.

Kaputte Gleise: Im Bereich Betzdorf verziehen sich Gleise. Das führt dazu, dass Radsätze an den Bahnen schneller verschleißen und in entfernteren Werkstätten repariert werden müssen. Weil weniger Waggons einsatzbereit sind, sind die Züge kürzer und voller. Das Ein- und Aussteigen an weniger Türen dauert im Gedränge länger, die Bahnen fahren Verspätungen ein – eine klassische Kettenreaktion.

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