Siegen/Olpe. Gute Auszubildende sind für Unternehmen in Siegen überlebenswichtig, aber immer schwerer zu bekommen. Viele Firmen sehen Mängel im Schulsystem.

Ausbildung ist nach wie vor eine wichtige Grundlage des Unternehmenserfolgs. Dieses Resümee zieht die Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen nach einer Befragung, an der sich 270 Ausbildungsbetriebe aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe mit ausführlichen Antworten beteiligten.

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„Diese Unternehmen strengen sich erheblich an, um Auszubildende zu gewinnen und zu halten, um sie erfolgreich zur Abschlussprüfung zu bringen und sie danach als Facharbeiter bzw. -angestellte zu übernehmen“, heißt es in einer Mitteilung. „Aufgrund eines signifikanten Rückgangs der qualifizierten Bewerbungen bleiben allerdings etliche Ausbildungsplätze unbesetzt. Und wenn die Ausbildung startet, ist der Aufwand ungleich höher als früher“, sagt Dirk Pöppel von der Regupol Holding GmbH als stellvertretender Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses bei der Präsentation der Ergebnisse in der IHK-Geschäftsstelle Olpe.

„Digitalisierung und Transformation bringen es mit sich, dass manche Ausbildungsinhalte komplexer werden.“

André Arenz, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Olpe sowie DGB Kreisvorsitzender im Kreis Olpe

Ausbildung in Siegen: Zahl der Bewerbungen geht in vielen Bereichen zurück

154 von 270 Ausbildungsbetrieben berichten über „einen signifikanten Rückgang an Bewerbungen im gewerblich-technischen Bereich“, im kaufmännischen Bereich sind es 144. „Digitalisierung und Transformation bringen es mit sich, dass manche Ausbildungsinhalte komplexer werden“, erläutert André Arenz, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Olpe sowie DGB Kreisvorsitzender im Kreis Olpe und Gewerkschaftsvertreter im Ausschuss. „Umso wichtiger ist eine gute Vorbereitung der zukünftigen Auszubildenden durch die Schulen.“

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Allerdings fehlt es nach Einschätzung der Betriebe etlichen Auszubildenden an grundlegenden Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss, allen Bemühungen der Ausbilderinnen und Ausbilder zum Trotz. Mehr als 70 Prozent der Betriebe bemängeln die Mathematikkenntnisse der Auszubildenden, 67 Prozent gehen davon aus, dass die Deutschkenntnisse schlechter sind als früher. „Hier spiegelt sich vermutlich eine stärkere Heterogenität der Schulabgänger wider“, schreibt die IHK Siegen. Ein Drittel der Betriebe moniert die schlechteren Fremdsprachenkenntnisse, obwohl viele der aktuellen Auszubildenden bereits in der 1. Klasse mit Englischunterricht begonnen haben und obwohl im Schnitt die Jugendlichen später und mit höheren Abschlüssen in die Ausbildung gehen. Einige Betriebe schildern, dass sie seit Jahrzehnten zum ersten Mal einen Ausbildungsabbruch oder einen Prüfungsdurchfaller erleben mussten – das kratze durchaus an der „Ausbilderehre“.

„Hier in der Region macht man Karriere mit Lehre.“

Sabine Bechheim, Geschäftsführerin der IHK Siegen

Siegen: Unternehmen geben dem Schulsystem schlechte Noten

„Das erschreckende Bild wird ergänzt durch ein betriebliches Urteil über das aktuelle Schulsystem, das man nur als ,glatte Fünf‘ bezeichnen kann“, wie die IHK mitteilt. „Hier läuft aus Sicht der Unternehmen einiges grundlegend falsch.“ Mehr als drei Viertel aller Betriebe bevorzugen der Befragung zufolge Schulabgängerinnen und -abgänger mit dem Mittleren Schulabschluss (Haupt-/Realschulabschluss). „Die Schulpolitik, getrieben von Eltern- und Schülerwünschen, setzt immer stärker und mancherorts ausschließlich auf Gesamtschulen und Gymnasien. Oft genug wählen die Jugendlichen selbst bei eher schlechtem Notenschnitt aus Prestigegründen den längeren Schulbesuch, der ihnen außer einer zusätzlichen ,Warteschleife‘ wenig einbringt“, heißt es weiter. „Die Ausbildungsunternehmen haben deutlich gesagt: Hier in der Region macht man Karriere mit Lehre, gegebenenfalls plus Fortbildung. Das Studium ist in weniger als 3 Prozent für ein Fortkommen in den befragten Unternehmen erforderlich“, macht Sabine Bechheim, Geschäftsführerin der IHK Siegen, die Chancen für Fachkräfte mit Berufsausbildung deutlich. „Das Ungleichgewicht von betrieblicher Realität und dem Bild in den Köpfen ist offenkundig durch noch so viele Appelle nicht aus der Welt zu schaffen.“

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Damit Ausbildung gelingen könne, seien die Betriebe auf gut qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber angewiesen. „Deshalb kommt den Schulen eine zentrale Rolle zu“, betont die IHK. Neben den erforderlichen Kompetenzen in unterschiedlichen Disziplinen müssen sie auch auf die Auswahl von Berufswegen vorbereiten. Dieses Ziel wird heute aus Sicht der Betriebe in viel zu vielen Fällen verfehlt. „Insbesondere an Gymnasien sollte die Berufliche Bildung mit dualer Ausbildung und höherer Berufsbildung gleichgewichtiger Bestandteil neben der Studienorientierung werden“, wirbt Dirk Pöppel für mehr Gleichberechtigung der verschiedenen Wege in den Beruf. André Arenz bestätigt: „Es gibt auch Gymnasien, welche eine sehr gute und neutrale Berufsorientierung für alle Wege ins Berufsleben machen. Dies sollte Beispiel für alle Schulen sein, nicht schwerpunktmäßig in Richtung Studium zu orientieren.“ Die Gleichwertigkeit der Bildungssysteme werde so ebenso konterkariert wie die Anforderungen an Auszubildende oder die Tatsache, dass tatsächlich mehr als ein Drittel der Auszubildenden den Weg über das Abitur/Fachabitur geht – und das seien keineswegs nur die Schulabgängerinnen und -abgänger mit den schlechteren Noten.

Siegen: Unternehmen müssen oft schulische Defizite von Azubis ausgleichen

„Uns ist daran gelegen, die Themen der Berufsausbildung, Fortbildung und Personalentwicklung gemeinsam mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern im Berufsbildungsausschuss voranzutreiben“, erläutert Sabine Bechheim den Grund für die gemeinsame Präsentation der Studie. Dazu zähle auch, Initiative zu zeigen und gemeinsam daran zu arbeiten, die Situation zu verbessern. Mangelnde Schulbildung werde in etlichen Betrieben mit Werksunterricht ausgeglichen. In vielen Betrieben wäre darüber hinaus eine sozialpädagogische Betreuung notwendig, um die Defizite in personalen und sozialen Kompetenzen aufzuarbeiten. Dazu mache die IHK Siegen Angebote. Sabine Bechheim: „All dieses Engagement darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es politisch dringend und zwingend erforderlich ist zu handeln, wenn das duale System der Ausbildung, um das die Welt uns beneidet, gefestigt werden soll.“

„Zusätzlich zu den jetzt gewonnenen Erkenntnissen aus der Befragung der Betriebe haben wir uns gemeinsam für das zweite Halbjahr dieses Jahres vorgenommen, auch die Schüler und Auszubildenden zu befragen“, ergänzt André Arenz. Die Ergebnisse sollen es ermöglichen, „Ideen für positive Veränderungen gemeinsam vorzuschlagen“.

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