Netphen. Elffamilienhaus am Petersplatz löst Kritik an „Klötzen“ im Netphener Zentrum aus. Die Politik fragt, welchen Einfluss die Stadt nehmen kann.
Hinter dem Petersplatz, an der Einmündung der Oranienstraße, wächst ein bisschen Gras auf einer großen Schotterfläche. Vor einem Jahr im Frühjahr stand hier noch ein Fachwerkhaus, „Alses“ war der Hausname. Demnächst rücken hier die Baufahrzeuge an. Gebaut wird ein Elffamilienhaus.
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Rathaus – und der „Klotz“ am Netphener Petersplatz
Ein paar Ecken weiter steht das Rathaus. Oder die Rathäuser. Das alte Amtshaus mit einem Rest von Fachwerk. Der Neubau vom Beginn dieses Jahrhunderts mit viel Beton und Glas. Und der Erweiterungsbau aus den 1970er Jahren, der so aussieht, wie man in den 1970er Jahren halt baute. „Ob wir das noch weiter tragen wollen, dass immer mehr von der alten Substanz verschwindet?“, fragt Annette Scholl. Die SPD-Gemeindevertreterin sitzt oben im vierten Stock mit dem Stadtentwicklungsausschuss im Ratssaal. Dort geht es gerade um den „Klotz“ hinter dem Petersplatz.
Lahnstraßen-Fakten
In der Lahnstraße stehen die Fassade eines Wohn- und Geschäftshauses, zwei Fachwerkhäuser sowie das Heimatmuseum und das davor stehende Kriegerehrenmal unter Denkmalschutz.Bis zum Bau der Ortsumgehung war die Lahnstraße Teil der L 729; jetzt ist sie Stadtstraße. Angekündigt ist der Ausbau des Einmündungsbereichs in die Kronprinzenstraße samt Neubau der Netphebrücke. Für mehr als 18 Monate wird der Verkehrsknoten dann gesperrt sein. Ursprünglich sollte dort ein Kreisverkehrsplatz angelegt werden; der Landesbetrieb Straßenbau konnte allerdings die benötigten Grundstücke nicht erwerben.
Und um die Lahnstraße, die einstige Ortsdurchfahrt, die die Stadt nach der Eröffnung der Ortsumgehung vor fast 13 Jahren zu einer „Dorfstraße“ umgestaltet hat, mit schmalerer Fahrbahn, Gehwegen und vielen Bäumen. „Wir haben die Lahnstraße ins 21. Jahrhundert geschossen“, sagt Manfred Heinz (SPD) oben in der Runde im Ratsaal etwas selbstkritisch. Wenn man nur gewusst hätte, was da passiert, „hätten wir womöglich anders empfohlen“.
Start – die alten und die neuen Häuser in der Netphener Lahnstraße
Am Anfang, an der Restbrücke – die so heißt, weil hier einmal der „Arrest“ für Übeltäter war – ist fast noch alles wie immer. Da reihen sich auf der einen Straßenseite kleine und etwas größere Häuser aneinander, Schiefer und Fachwerk, die ältesten noch aus dem 19. Jahrhundert. Auf der anderen Seite schon die frühen Brüche: Der Lebensmittelmarkt aus den 1970ern, inzwischen zur Tagespflege umgebaut, zwei Mehrfamilienhäuser, die nach dem herbeigesehnten Abbruch zwei verfallender Doppelhäuser entstanden sind. In der Kurve, wo die Bahnhofstraße einmündet, rechts ein bisschen versteckt das „Schlangenhaus“ – weil der Besitzer dort einmal Schlangen gehalten haben soll –, gegenüber ein neues Wohn- und Geschäftshaus: drei Etagen, Flachdach, unten Läden, oben weiß, unten schwarz und rot.
Und jetzt beginnt die bunte Reihe, auf beiden Straßenseiten: Schiefer, Fachwerk, Neubauten in weiß oder ockergelb. Manche stehen schon ein paar Jahre, andere sind noch ganz neu: die Wohnanlage zum Beispiel, wo bis vor kurzem noch das Geschäftshaus Schachtely stand. Die neuen Häuser sind nicht nur viereckiger, sondern scheinen auch höher und breiter zu sein als die Gebäude in der Dorfstraße von früher.
Begegnung – Wunsch nach Visualisierung
Was dagegen? „Wir brauchen doch Wohnraum“, sagt Beigeordneter Andreas Fresen, der gerade vorbeikommt. Hier im Zentrum, und nicht draußen auf der grünen Wiese. „Zwei Mehrfamilienhäuser mitten in die alte Bebauung“, stellt Sebastian Zimmermann fest. Der CDU-Fraktionschef formuliert seinen Wunsch konkret: Bauvorhaben sollen visualisiert werden, bevor sie in Beton gegossen sind. Und zwar so, dass die Umgebung sichtbar bleibt, dass man virtuell drumrum gehen oder drüber fliegen, dass man nah dran und weit weg, in der Gegenwart oder in der Zukunft sein kann. Geht nicht, hat Andreas Fresen schon oben im Ratssaal gesagt. Erstens, weil das teuer wird. Und zweitens, weil man das nicht darf – die Nachbarschaft ist Privatsache. „Wir haben da rechtlich keine Handhabe.“
Von hinten – Netphen ist kein Alter Flecken
Gegenüber vom alten evangelischen Gemeindehaus steht noch so ein mehrgeschossiger Neubau, Schiefer gegen weißen Putz, immerhin beide mit Satteldach. Die Lahnstraße geht noch weiter, insgesamt gut einen Kilometer, am abgebrochenen Netpher Hof und am neuen Obernetpher Marktplatz vorbei bis zum Wendehammer vor der Umgehungsstraße. Rechts aber zweigt die Talstraße ab, die den Blick über Gärten auf die Rückseiten von Lahn- und Bahnhofstraße öffnet. Ein vielgestaltiges Sammelsurium von Häusern und Schuppen aus verschiedenen Baujahren, hier Beton, da Mauerwerk – was die architektonische Harmonie angeht, ist Netphen beileibe kein Alter Flecken wie Freudenberg. Noch nicht einmal den historischen Stadtkern an sich gibt es: Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts sind Nieder- und Obernetphen zusammengewachsen. Mehr oder weniger.
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Paragraf 34 – viel Spielraum für Bauwillige
Man könnte sich hier mit Bernd Wiezorek treffen, statt mit ihm zu telefonieren. Der für die Stadtentwicklung zuständige Fachbereichsleiter erklärt, warum das Rathaus so wenig Einfluss nehmen kann auf das, was im Zentrum gebaut wird: Weil es, außer fürs Einkaufszentrum, keinen Bebauungsplan gibt, muss die Stadt alles genehmigen, was sich – so will es der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs – in die Umgebung einfügt. Und die ist nun mal, wie er es formuliert, „heterogen“. Am anderen Ende der Talstraße zum Beispiel ist irgendwann einmal ein dreigeschossiger Zweckbau entstanden. „Darauf beruft sich jetzt jeder.“ Die ganze Talstraße füllt sich gerade mit entsprechend dimensionierten Wohnanlagen. Bis zum Rathaus. CDU-Mann Rüdiger Bradtka hat dort Einfluss der Stadt gefordert, vielleicht über eine Gestaltungssatzung, wie sie Raimund Arns (FDP), von Beruf Architekt, vorgeschlagen hat. „Sonst können wir uns den Zirkus auch sparen.“
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Einkaufszentrum – hier gestaltet die Stadt Netphen
Im Einkaufszentrum, in dem die Talstraße für ein kurzes Stück Fußgängerzone wird, setzt sich die bunte Reihe fort: Der Neubau des Quartiers Talstraße mit Wohnungen und Praxen, der Rewe-Markt mit den Parkdecks obendrüber. Dazwischen eingeklemmt duckt sich ein Wohnhaus. Die Stadt hat es gekauft und gibt es zum Abriss frei, die Geschäftszeile wird geschlossen. Hier gestaltet die Stadt, die sich das Vorkaufsrecht für einen großen Teil des Ortszentrums gesichert hat. Auch für die Lahnstraße.
Abstecher – wie aus zwei Etagen sechs werden
Dass ein Bebauungsplan auch nicht vor unerwarteten Entwicklungen schützt, wird demnächst etwas weiter draußen zu besichtigen sein: In der Jungen Ecke wird ein Mehrfamilienhaus gebaut, zweigeschossig, wie es die Satzung der Stadt verlangt. In der Hanglage ist darunter Platz für Garagen und Keller, die auf der Talseite ebenfalls Wohnungen bekommen, außerdem für zwei Staffelgeschosse, von denen das obere immer kleiner sein muss als das nächstuntere, und schließlich für ein Dachgeschoss. Macht sechs Etagen. „Der Klotz wurde ja vorgestellt“, sagte Paul Legge (CDU) im Stadtentwicklungsausschuss, „wir mussten’s genehmigen, ob wir nun eine Visualisierung haben oder nicht.“
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Am Ziel – wo wollen wir eigentlich hin in Netphen?
Am Ende mündet die Talstraße in die Bahnhofstraße und die wiederum in die Lahnstraße. Der Kreis schließt sich. An der Ecke Talstraße/Bahnhofstraße stand einmal ein Haus mit einem kleinen Lebensmittelladen. Über das hoch gewachsene Gras ist der Blick auf die Lahnstraße möglich. Ein Fachwerkschuppen hat überlebt, ein Schieferhaus versteckt sich hinter einem an der Straße gelegenen alten Dorfhaus, von gegenüber leuchtet ein Neubau in Ocker. „Wo wollen wir eigentlich hin in Netphen?“, fragt Sebastian Zimmermann, „die Diskussion würde ich gern führen.“
Nachtrag
Bei dem Elffamilienhaus am Petersplatz hat die Stadt dann doch mitgeredet. Damit es zur denkmalgeschützten Peterskapelle passt, bekommt es ein Satteldach.
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