Freudenberg/Siegen. An zwei Gesamtschulen entwickelt die Uni Siegen ein neues Konzept für die Wissensvermittlung. Jugendliche planen in freier Arbeit ein Projekt.
„Wir haben in den letzten Wochen viel experimentiert“, sagt Anna Sophie Ziegler. Zusammen mit ihrer Gruppe entwickelt die Schülerin der Gesamtschule Freudenberg Einwegbesteck aus nachhaltigen Materialien. Auch wenn bei den Experimenten nicht alles glatt gelaufen sei, die Gruppe kann ein positives Ergebnis ihrer monatelangen Arbeit vorweisen: „Wir haben einen Stoff einwickelt, der dem PBS sehr ähnlich ist“, erläutert Anna Sophie Ziegler. Dieser biologisch abbaubare Plastikersatz sei allerdings noch zu flexibel, um aus ihm eine brauchbare Gabel zu produzieren.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Die Schülerinnen dieser Gruppe, sind Teil eines Projektkurses der Oberstufe der Gesamtschule Freudenberg. Zusammen mit der Gesamtschule Auf dem Schießberg in Siegen kooperiert sie mit der Universität Siegen im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Projekts „Next Generation Design for Climate“. Ziel ist es, in den Schulen eine neue Form des Unterrichts zu etablieren, in der Schülerinnen und Schüler in freier Arbeit ein eigenes Projekt planen und entwickeln. Ein Vorhaben, das Alexander Lisai, Leiter der Gesamtschule Auf dem Schießberg, auch notwendig findet. Im Vergleich zu anderen Ländern wie den Niederlanden sei der Unterricht in Deutschland rückständig: „Wenn ich sehe, wie dort Schule funktioniert, denke ich darüber nach, auszuwandern.“
Fachübergreifende Projekte
Wie können wir in Zukunft unser Leben nachhaltig gestalten? Wie lässt sich unser Konsum ökologisch organisieren? Das sind Fragen, die in Projektkursen in der Mittel- und Oberstufe beantwortet werden sollen. Begleitet werden die Schüler von einem Lehrer, der zunächst die fachlichen Grundlagen zum Thema Nachhaltigkeit an die Hand gibt und bei der Planung und Umsetzung im Anschluss mit Rat zur Seite steht.
Das Projekt
„Next Generation Design for Climate“ ist Teil des deutschlandweiten Projekts des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung „The Next Generation for a better Environment“.Die Sparkasse Siegen fördert das Projekt jährlich mit 30.000 bis 40.000 Euro.
Florian Kraft, Chemielehrer an der Gesamtschule Freudenberg, begleitet den Projektkurs der Jahrgangsstufe 12, der sich aus Schülern eines Sozialwissenschafts- und eines Chemiekurses zusammensetzt. Für ihn ist diese neue Form der Projektarbeit eine „tolle Möglichkeit, den Unterricht mal anders zu gestalten, als man es gewohnt war“.
Lehrkräfte benötigen Weiterbildung
Weiterer Aspekt des Projekts, das sich aktuell in der zweiten von drei Phasen befindet, ist die Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Sie müssen, erläutert Christian Klein, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Universität Siegen, dazu befähigt werden, diese neue Form des Unterrichts durchzuführen. Die Arbeitsgruppe Chemiedidaktik der Uni steht den Schülern mit Chemielaboren zur Seite und besorgt die benötigten chemische Stoffe.
Die Herangehensweise an Projekte ist dabei unabhängig von den Kursen, die die Schüler belegen. Fächerübergreifend kommen bei der Umsetzung der Gruppenarbeit verschiedene Themen zur Sprache: technische Aspekte, Chemie und auch Fragen der Finanzierung und der rechtlichen Grundlagen, die in den Sozialwissenschaften wichtig seien, erläutert Florian Kraft. Die anfängliche Befürchtung, die Schüler könnten mit der offenen Form des Unterrichts wenig anfangen, resümiert er, habe sich nicht bestätigt.
Handy aufladen mit Muskelkraft
Das zeigen die vielfältigen Projekte, die die Teilnehmer des Kurses präsentieren: Ein Sportgerät, das wie ein Hamsterrad funktioniert. Aufgestellt an öffentlichen Orten wie Spielplätzen oder Parks sollen Menschen sich sportlich betätigen und dabei mithilfe eines Generators ihr Handy aufladen können. Die Idee einer weiteren Gruppe ist Knetseife: „Die Kinder waschen sich ja nicht so gerne die Hände“, erläutert Sophie Kalender. Gefertigt haben die Schüler die Knetseife aus nachhaltigen Produkten: Maisstärke, Speiseöl, Mehl, Salz und einem nachhaltigen Shampoo. Ein Problem, das die Schüler in den kommenden Wochen noch angehen wollen: „Sie hat einen weißen Film auf den Händen hinterlassen“, sagt Sophie Kalender.
+++Lesen Sie auch: Siegens vielleicht ungewöhnlichste Schule-AG: Rollstuhlfahren+++
Eine andere Gruppe hat die Idee einer App für einen lokalen Lieferdienst erarbeitet. In Umfragen haben die Schüler ermittelt, was sich mögliche Kunden wünschen. Darunter: Produkte vom Bauernhof, Backware sowie Obst und Gemüse. „Wir wollen in den nächsten Unterrichtsstunden mit Unternehmen sprechen, die daran teilnehmen würden“, sagt Leon Weber.
Schülern macht das freie Arbeiten Spaß
Zufrieden sind die Schülerinnen und Schüler des Projektkurses allemal. Sophie Kalender freut es, „dass einem gezeigt wird, wie etwas entwickelt und produziert wird“. Es gebe in ihrer Gruppe durchaus einen Mitschüler, der nie anwesend sei und sich nicht beteilige, doch letztlich sei das freie Arbeiten „ganz gut“. Auch Anna Sophie Ziegler ist von der Kombination weniger Vorgaben und freien Arbeitens überzeugt: „Ich denke, das hat am meisten Spaß gemacht.“
Die Ergebnisse aus den Projektkursen sollen zunächst in einer überregionalen Tagung für Lehrkräfte vorgestellt werden. Im Zuge dessen soll entschieden werden, ob auch im dritten Projektjahr 2022 bis 2023 die Kurse an Schulen im Siegerland durchgeführt werden.
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++