Siegen. Aus Pfandbon-Diebstahl wurde im Januar 2021 eine wilde Verfolgungsjagd mit der Polizei – mit der Waffe in der Hand stoppte der Angeklagte Autos.
Bei einem Punkt sind sich Staatsanwalt Markus Bender und Verteidiger Andreas Trode einig. Der Angeklagte, der am 23. Januar 2021 Pfandbons im Siegener „Kaufland“ an der Hagener Straße klaute und dann eine Verfolgungsjagd zu einer anderen Filiale in der Fludersbach verursachte, soll wegen seiner Drogenabhängigkeit in einer Entziehungseinrichtung untergebracht werden.
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Beim daneben zu verhängenden Strafmaß gibt es dagegen große Abweichungen. Bender kommt auf fünf Jahre und zwei Monate. Trode findet das „krumm“, legt aber selbst auch eine ungerade Zahl vor: Drei Jahre und drei Monate. Damit endet die Hauptverhandlung am Montag. Das Urteil ist für Dienstag, 10. Mai, um 15 Uhr angekündigt.
Diese Erkenntnis für das Landgericht Siegen bringt ein LKA-Gutachten
Eine wichtige Grundlage für die Schlussvorträge wird direkt zu Beginn verlesen: Es ist tatsächlich kurzfristig gelungen, die vom Angeklagten mitgeführte Schreckschusswaffe beschießen zu lassen, nun doch nicht von der Siegener Polizei, sondern durch das Landeskriminalamt. Anwalt Trode hatte Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Walther P22 geäußert, zumal die mit Pfeffer geladenen Patronen scheinbare Spuren eines früheren Abschusses trugen.
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Das Gutachten ergibt allerdings, dass die Waffe in Ordnung ist und auch die Patronen ordnungsgemäß abgefeuert werden konnten. Der Anklagevertreter nutzt dies, um dem Beschuldigten schon beim Diebstahl der Pfandbons aus der Spendenbox des Supermarktes zu unterstellen, die Pistole im Bewusstsein ihrer Funktionsfähigkeit mitgeführt zu haben. Was die Strafe im Vergleich zu einem einfachen Diebstahl deutlich erhöht.
Wie der Staatsanwalt Siegen die Taten des Angeklagten sieht
Insgesamt zerlegt Bender den gesamten und im Zeitablauf gar nicht so lange anhaltenden Vorgang in fünf Abschnitte. Nach Abgabe der Bons mit Erlös von 213,76 Euro nötigt der Angeklagte einen Taxifahrer, ihm zur Flucht vor den anrückenden Mitarbeitern zu verhelfen, erwähnt die Pistole, zeigt sie aber nicht. Abschnitt drei ist für Bender die Flucht aus dem Taxi vor den Polizeibeamten und deren Bedrohung mit der nach hinten gehaltenen Waffe, ein schwerer Fall des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.
Direkt danach zwingt der Täter mit vorgehaltener Waffe einen Autofahrer und dessen Begleiterinnen, ihm den Wagen zu überlassen und setzt diesen einige Meter weiter in einen Zaun. Das wird als räuberischer Angriff auf einen Autofahrer sowie eine Sachbeschädigung gewertet. Weil sich eine der Frauen verletzte, gibt es auch noch eine fahrlässige Körperverletzung als Straftatbestand. Es folgen zwei Versuche des räuberischen Angriffs, weil der Mann wiederum auf die Straße läuft und Fahrer bedroht, die aber wegfahren. Einer nimmt ihn dabei mit und bringt ihn zu Fall.
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Bender sieht das Geständnis grundsätzlich positiv, glaubt dem Mann aber nicht, dass er die schweren Vorfälle vergessen hat, den Diebstahl hingegen erinnert. Immerhin habe der 35-Jährige aber nichts abgestritten, sich überzeugend entschuldigt und sei auch bereit, nach einer Therapie ein neues Leben zu beginnen. Trotzdem blieben Taten, die bei einigen Betroffenen nachhaltige Ängste verursacht hätten. Ohne eine grundlegende Behandlung der Sucht könne sich bei ihm gar nichts ändern, sagt Bender und fordert die Unterbringung für wenigstens zwei Jahre.
So bewertet der Verteidiger die Tat seines Klienten in Siegen
Fast eine Stunde hat dieses Plädoyer gedauert, der Verteidiger bittet sich eine Viertelstunde zum Nachdenken aus. Andreas Trode möchte danach den gesamten dynamischen Vorgang am liebsten als einzige Tat beurteilen, weiß aber, dass dies nicht geht. Für ihn sind es aber nur drei Abschnitte, die er jeweils durch den unberechtigten Waffenbesitz verklammert. Die Waffe wird er nicht los, geht aber dennoch bei der ersten Tat von einem einfachen Diebstahl aus. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sein Mandant die Pistole später einsetzte. Wo diese aber zu Beginn der Aktion war, wisse keiner. Bekannt sei nur, dass er sie bei seinem Dealer mitgehen ließ. Das bedeute nicht, dass er die Funktionsfähigkeit kannte oder die Waffe im Kaufland griffbereit trug. Solche Details seien aber wichtig.
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Die späteren Versuche, die Autofahrer zur Aufgabe ihrer Fahrzeuge zu nötigen, wertet Trode als minderschwere Fälle. Es sei etwas anderes, ob ein Fahrer von einem Täter im Fahrzeug überrascht und bedroht werde, als wenn die Gefahr von außen komme. Mit so etwas müsse immer gerechnet werden, etwa mit einem Reh. Die Reaktion beider Betroffener zeige auch, dass es vergleichsweise leicht gewesen sei, sich der Gefahr zu entziehen.
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Der Angeklagte selbst entschuldigt sich noch einmal und würde „alles tun, es ungeschehen zu machen“. Er wolle natürlich auch Schadenersatz leisten und die Arztkosten der Betroffenen übernehmen. Er hofft auf eine Haftentlassung bis zum Strafantritt.