Siegen. Beton über Kopf abstemmen, stehend überm Fluss auf einem Behelfsgerüst, das jeden Tag wieder abgebaut werden muss: Arbeiten unter Siegens Zentrum
Der Stahl ist Blätterteig und der Beton hat Blasenentzündung. Eine Brückensanierung mitten in der Innenstadt, unterirdisch, unter einer eigentlich vielbefahrenen Verkehrsstraße, ist zumindest mal „interessant“, sagt Nils Fouquet. Der Bauleiter der Firma Eurovia begutachtet die Decke der Röhre, durch die die Weiß unter der Koblenzer Straße herplätschert. Ein Hammerschlag unter die Decke und der Beton bröselt zu Boden, der Bewehrungsstahl ist so rostig, dass man ihn mit der Hand abzupfen kann.
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Die Brücke ist eigentlich ein rechteckiges Rohr – genauer: mehrere als „Durchlass“ bezeichnete Rohre. Die sind mit den Jahren durch Feuchtigkeit und Streusalz schadhaft geworden. Besonders die beiden ältesten Teile aus den 1950er Jahren, vor der Deutschen Bank, und der zweite Bauabschnitt aus den 60ern, der ungefähr von der Straßenmitte bis knapp vor die Häuserzeile reicht.
Betonsanierung: Abdichten mit mehreren Schichten – Sorgfalt gefragt
Wasser, das in Beton eindringt, ist immer schlecht, das Material platzt auf, der Stahl rostet, die Konstruktion verliert an Tragfähigkeit, für Schwertransporte ist die Koblenzer Straße daher schon länger gesperrt. „Die Qualität der Bauausführung war damals nicht so gut“, sagt Sascha Bäcker, verantwortlicher Planer des Ingenieurbüros Schmidt. Etwa alle 20 bis 25 Jahre muss die Abdichtung solcher Bauwerke erneuert werden, erklärt Thomas Griese, bei der Stadt Projektbetreuer für Brücken und Stützmauern.
Für die Abdichtung braucht es zunächst eine einheitliche Oberfläche. Bis auf den nackten Beton muss alles weg, was uneben ist oder bröselt – Versorgungsleitungen auch, die auf eine Gerüstbrücke hochgelegt sind. Von oben ist das so gut wie erledigt, der erste Bauabschnitt ist komplett freigelegt und instandgesetzt. Ist alles bis auf den Beton ab, wird die Oberfläche per Kugelstrahler angeraut, darauf kommt ein Harz-Sand-Gemisch, darauf eine weitere Harz-Schicht, darüber die Schweißbahnen und zuletzt Gussasphalt – „dann ist das Bauwerk dicht“, sagt Nils Fouquet. Wichtig sind die Fugen und Übergänge: Wird nicht sorgfältig gearbeitet, ist das Bauwerk im ungünstigsten Fall eben nicht dicht.
Die Weiß kann in Siegens Mitte in kürzester Zeit bedrohlich anschwellen
Von unten dauert es nicht mehr lange. Von Hand und zu weiten Teilen über Kopf stemmen die Arbeiter in der Röhre Schadstellen auf. Die Weiß führt zwar wenig Wasser, mit nassen Füßen arbeitet es sich aber trotzdem schlecht, über ein Behelfsgerüst arbeiten sie sich auf voller Breite des Durchlasses vor – poröses Material an den Schadstellen entfernen, strahlen, Betonersatz aufbringen und abdichten. Außerdem werden im Flussbett die Ufersteine erneuert, sagt Nils Fouquet – das geht nur im Sommer, wenn die Weiß wenig Wasser führt. Und für Abdichtung muss es trocken sein, sonst verzögert sich alles. „Harz reagiert allergisch auf Wasser.“ Schon eine zu hohe Luftfeuchtigkeit und der Zeitplan ist dahin.
Ein festes Gerüst für die Arbeiten ist nicht zulässig, Auflage der Wasserbehörde: „Die Weiß kann bei Regen sehr schnell anspringen“, erklärt Sascha Bäcker – an den umliegenden Hängen strömt das Wasser zu Tal und sammelt sich im Flussbett, die Weiß kann vom Rinnsal in kürzester Zeit bedrohlich anschwellen. Also muss alles täglich rein und wieder rausgeschafft werden.
Nächster Bauabschnitt noch spannender: Dann wird Straße in Siegen-Mitte voll gesperrt
Man hätte das Bauwerk auch abreißen und neu bauen können – aber das wäre in ein paar Monaten nicht machbar gewesen, schon die Planung für die Teilerneuerung dauerte Jahre. Und mit zumindest teilweise fließendem Verkehr auch nicht. Seit „Siegen zu Neuen Ufern“ lege die Stadt wert darauf, dass eine Straßen möglichst einspurig befahrbar bleibt, die betreffende Fahrspur nur mal verschwenkt wird, sagt Thomas Griese. Zum Glück für die Stadt als Bauherrin wurde die Baumaßnahme vor einiger Zeit schon vergeben, das Material wurde vergangenes Jahr schon gekauft, so Bauleiter Fouquet – heute, bei gestiegenen und weiter steigenden Preisen, würde das 30 oder 40 Prozent mehr kosten.
Noch interessanter wird der zweite Bauabschnitt, der unter der anderen Straßenhälfte, meint Nils Fouquet. Da führen nicht nur dicke Rohre für Gas- und Wasserleitungen durch den Fließquerschnitt. Die müssen für die Arbeiten gekappt und nachher platzsparend wieder verlegt werden; so, dass im Hochwasserfall ein treibender Baumstamm sie nicht wegreißen kann. Mit Betonsanierung ist in diesem Abschnitt insgesamt nicht viel zu machen – die ganze obere Hälfte kommt neu.
Kran bugsiert tonnenschweres Fertigbauteil auf wenig Platz in Siegener Innenstadt
Wenn die Straßenoberfläche entfernt und ausgeschachtet ist, wird der Beton per Hochdruck-Wasserstrahl bis auf den Bewehrungsstahl und eine „Reststummelwand“ abgetragen, erklärt Sascha Bäcker, um die beidseits ein neues Fundament gegossen wird. Dann wird ein Stahl-Fertigteil per Kran abgesenkt, das als Hilfskonstruktion für die Betonierung der neuen, oberen Röhren-Hälfte dient und am Ende wieder entfernt wird – abstützen von unten geht nicht, der Gewässerschutz. Eine Herausforderung dabei ist auch die Enge des schmalen Durchgangs „Hammerhütter Weg“ zwischen den Gebäuden – der Kran braucht Platz, die Straße muss über Nacht komplett gesperrt werden. Und morgens muss sie wieder frei sein. „Wenn was schiefgeht, wird die Nacht trotzdem nicht länger“, sagt Nils Fouquet.
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Ohnehin kann beim Bauen im Bestand immer etwas dazwischenkommen – aktuell sind sie leicht hinter dem Plan, die Oberfläche war beim Freilegen stärker beschädigt als zunächst vermutet – kann passieren, Ausgangspunkt der Planungen waren eine Handvoll Bohrkerne, von denen auf das gesamte Bauwerk geschlossen wurde. Thomas Griese nimmt’s gelassen: Bei einer solchen Sanierung, sagt er, „klappt’s nie mit angepeilter Zeit und Geld“.
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