Meschede. Anja Ullrich (Meschede) wird vom Amtsgericht bestellt, wenn Tote keine Erben haben. Sie verwaltet Nachlässe und erlebt Unfassbares.

Anja Ullrich aus Meschede arbeitet seit 2012 als Nachlasspflegerin. Sie wird von den umliegenden Amtsgerichten angerufen, wenn Tote keine Erben haben. Das ist der Fall, wenn Verstorbene so hohe Schulden hatten, dass die Verwandten das Erbe ausgeschlagen haben, oder wenn Tote gar keine Verwandten hatten. Immer häufiger seien Suizide die Todesursache.

Viele Kaufsüchtige

Als sie vor zwölf Jahren mit diesem Job anfing, waren es wenige Jobs. Nun sind es bis zu 40 Nachlässe, um die sie sich jährlich kümmert. „Das nimmt deutlich zu“, erklärt sie. Zum einen gibt es viele einsame Menschen, und zum anderen viele Menschen, die sich durch Online-Shopping maßlos verschulden. „Das sind Leute, die haben ein gutes Einkommen, arbeiten bei Busch oder Honsel, aber kommen trotzdem nicht mit dem Geld aus“, berichtet sie. Deshalb stünden die Wohnungen oft voll mit fast neuen Sachen.

Das Team um Anja Ullrich (hinten) organisiert den Nachlass-Trödel: Markus Tillmann, Ramona Bünner (Mitte) und Sylvia Linneboden.
Das Team um Anja Ullrich (hinten) organisiert den Nachlass-Trödel: Markus Tillmann, Ramona Bünner (Mitte) und Sylvia Linneboden.

108.000 Euro im Wohnzimmerschrank

Es gibt viele unfassbare Geschichten, die Anja Ullrich erzählt. In einem Fall fand sie zum Beispiel 108.000 Euro in einem Wohnzimmerschrank - in 100 Euro Scheinen. „Die Frau lebte sehr spartanisch, hatte nur einen Sessel, die Klobürste steckte in einer Bonduelle-Dose. Sowas vergisst man nicht“, erzählt sie. Die Tochter hatte das Erbe ausgeschlagen, weil sie dachte, dass ihre Mutter hoch verschuldet gewesen sei.

1100 Euro an Pfandflaschen

Blick in den Nachlass einer Frau.
Blick in den Nachlass einer Frau.

In der Wohnung eines Alkoholikers lagen Pfandflaschen im Wert von 1100 Euro. In einem anderen Fall fand die Nachlasspflegerin in einer Kulturtasche 38.000 Euro, eingewickelt in Milka-Schokoladenpapier, und zwei Taschen Zigaretten ohne Banderole. Letztere musste sie zum Zollamt bringen, wo die Vernichtung veranlasst wurde.

Trödelmarkt in Eversberg

Die Nachlasspflegerin ist dafür verantwortlich, den Nachlass bestmöglich zu verwalten. Es geht zum einen darum, die nächsten Verwandten aufzuspüren, und darum, den Nachlass zu prüfen und Wertvolles aufzulisten. Da geht es dann auch um Immobilien, Fahrzeuge und Inventar. Auch der Trödelmarkt in Eversberg, auf dem sechs Nachlässe verkauft werden, dient dazu, die Schulden der Toten möglichst zu begleichen. „Und wenn es nur die Kosten für die Beerdigung sind“, so Ullrich. Im Endeffekt zahle sonst die Gemeinschaft.

„Das sind Leute, die haben ein gutes Einkommen, arbeiten bei Busch oder Honsel, aber kommen trotzdem nicht mit dem Geld aus.“

Anja Ullrich
Nachlasspflegerin

Am Ende wartet der Container

Der Trödelmarkt bereitet ihr und ihrem ehrenamtlichen Team allerdings auch großen Spaß. Sie hat das Trödel-Gen. „Mir blutet das Herz, wenn Dinge entsorgt werden, die noch so gut in Schuss sind“, sagt sie. Denn es ist so: Wenn der Nachlass abgeschlossen wird, werden die verbliebenen Gegenstände vernichtet. Denn behalten darf sie die Sachen nicht.

Eigene Kosten sind Verhandlungssache

Die Kosten für ihre Dienstleistungen als Nachlasspflegerin seien Verhandlungssache mit den Gerichten. Entscheidend sei der Aufwand. Eine Messi-Wohnung auszuräumen, sei zum Beispiel aufwändig. Eine Faustregel sei: „Je weniger Informationen es vom Gericht gibt, desto heftiger sieht es in den Wohnungen aus.“

Eine Verstorbene sammelte Elefanten: 5000 Artikel gehören zum Nachlass.
Eine Verstorbene sammelte Elefanten: 5000 Artikel gehören zum Nachlass.

Der Tod und der Charakter

In der Nachlasspflege benötigt man ein dickes Fell, lauscht man den Ausführungen von Anja Ullrich. Denn sobald es ums Erbe geht, kommen oftmals miese Charaktereigenschaften bei Angehörigen zum Vorschein, die das Erbe eigentlich ausgeschlagen hatten. „Es ist doch seltsam, wenn im Wohnzimmer der Toten ein Fernseher steht, an dem keine Programme eingestellt sind“, so Ullrich. Da liegt doch der Verdacht nahe, dass ein Angehöriger heimlich sein altes TV-Gerät gegen das neuere Modell der Toten getauscht hat. „Bei meiner Arbeit gibt es nichts, was es nicht gibt.“ Autos, die auf dem Totenbett überschrieben wurden, verschwundene Miele-Waschmaschinen und Geldabhebungen am Todestag....

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