Meschede. Glassplitter, überall Rauch, Schreie im Haus: Die Nacht, in der der Geldautomat in Meschede gesprengt wurde, lässt Sinem Memis (26) nicht los.
Die Bilder und Geräusche von der Nacht als der Geldautomat der Sparkasse in Meschede gesprengt wurde, verfolgt Sinem Memis (26) noch heute. Ihre Wohnung liegt direkt über dem Bankautomaten, der in der Nacht von bislang unbekannten Verbrechern mit brachialer Gewalt zerstört und ausgeraubt wird.
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Laute Explosion um 2 Uhr
Es ist der 10. Februar 2022 gegen 2 Uhr Nachts. Ein Donnerstag. Sinem Memis ist noch wach, weil sie am nächsten Tag frei hat. Plötzlich hört sie die laute Explosion. Der Boden ihrer Wohnung bebt. Die Familie rennt zum Fenster, versucht sich einen Überblick zu verschaffen. Sinem Memis ruft die Polizei.
Der Fußboden bebt
Ihr Vater möchte raus, um nach dem Rechten zu schauen. Die Mutter schreit, er soll in der Wohnung bleiben. Ein Glück, denn kurz danach folgt die zweite Explosion. Wieder wackelt der Boden. Die Katzen reagieren panisch. „Ich dachte, das Haus stürzt ein“, sagt Sinem Memis.
In dichten Rauch gehüllt
Der Lanfertsweg ist in schwarzen Rauch gehüllt. Von der Straße ist nichts mehr zu sehen. „Wir haben dann nur noch das Auto gehört, mit dem sie schnell weggefahren sind.“ Die vermutlich vier Kriminellen rasen mit quietschenden Reifen in einem dunklen Audi davon und liefern sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei durch den Mescheder Norden und über die Autobahn. Sie flüchten über die A 46, die Polizei verliert sie auf der A 2 bei Dortmund aus den Augen. Ihr Kennzeichen wurde zuvor in Freienohl gestohlen.
Der Rauch verflog, die Angst blieb.
Der Rettungsdienst kümmert sich in der Nacht auch um, Sinem Memis’ Mutter. Die Aufregung hatte ihr sehr zugesetzt. Setzt ihr auch heute, acht Wochen später, noch zu. Sie denkt über psychologische Hilfe nach, weil sie das Erlebte sehr belastet, die Bilder nicht verschwinden wollen.
Fühlen sich im Stich gelassen
Auch Sinem Memis ist schreckhafter als vorher: „Die Nacht war der reinste Horror.“ In der eigenen Wohnung, im gefühlt sichersten Ort der Welt, plötzlich mit solchen Ängsten konfrontiert zu werden, kann sehr belastend sein.
„Ich bin traurig, dass sich bis heute niemand bei uns gemeldet hat, um einmal zu fragen, wie es uns geht. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens, die Bilder werde ich mit ins Grab nehmen. Wir fühlen uns etwas im Stich gelassen“, sagt Sinem Memis. Die Kritik richtet sie an die Polizei und auch an den Bürgermeister der Stadt.
Am liebsten umziehen
Am liebsten würde die Familie umziehen, aber die Wohnung gehört ihnen und der Wohnungsmarkt ist momentan leer gefegt, die Preise stark gestiegen. Deshalb bleibt die Familie. „Wir hoffen, dass dort nie wieder ein Automat aufgebaut wird. Auf der nächsten Eigentümer-Versammlung werden wir das auf jeden Fall ansprechen.“
Sparkasse möchte Automaten wieder aufbauen
Von der Sparkasse heißt es jedoch: „Wir wollen gerne wieder einen Geldautomaten dort betreiben“, erklärte Sparkassensprecherin Simone Rohde jüngst. Immerhin wurde der Automat im Jahr 2021 rund 55.000 Mal genutzt. Entschieden ist noch nichts. Die Gespräche mit der Bau- und Siedlungsgenossenschaft laufen noch. Die Sparkasse hat das Ladenlokal von der SBG gemietet, der Mietvertrag läuft Ende August aus.
Statik nicht beeinträchtig
Die Statik des Hauses scheint nicht beeinträchtigt zu sein. Ein Statiker hatte am Morgen des Unglücks, die Immobilie begutachtet. Für die Sparkasse entstand nach eigenen Angaben ein Schaden im niedrigen sechsstelligen Bereich.
So gehen die Täter vor
- Zum Muster der Taten steht laut dem Landeskriminalamt NRW fest: Die Tatzeiten liegen nachts zwischen 0 und 5 Uhr, verteilt über die Woche, ohne erkennbaren zeitlichen oder räumlichen Schwerpunkt, damit sich die Polizei nicht darauf einstellen kann.
- In den Autos, die sie verwenden, würden Ortungsmöglichkeiten ausgeschaltet, auf die Nutzung von Handys wird während der Taten verzichtet.
- Die Ausführungsdauer der gesamten Tat liege oft unter fünf Minuten. Bevorzugt würden hochmotorisierte Pkw, vor allem der Marke Audi.
- Nach der Sprengung würden sie „mit überhöhter Geschwindigkeit und rücksichtslosem Fahrverhalten unter Inkaufnahme von erheblichen Gefahren für Unbeteiligte, eingesetzte Kräfte und sich selbst, zurück in die Niederlande fahren“.
- Die Fallzahlen haben sich laut LKA im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verfünffacht.
- Insbesondere in NRW gibt es besonders viele Automaten, aktuell etwa 10.000. 21 davon betreibt die Sparkasse Mitten im Sauerland.