Menden. Es war eine eindrucksvolle Begegnung des Mendener Netzwerks „Augen auf“ mit der Holocaust-Überlebenden in Berlin, geprägt von tiefen Emotionen.
Auch in diesem Jahr hat sich das Mendener Netzwerk „Augen auf!“ wieder auf eine bewegende Reise gemacht. Neben einer Führung durch die Hauptstadt Berlin und Geschichtskunde hatte das Team auch diesmal wieder die Gelegenheit, der 103-jährigen Zeitzeugin Margot Friedländer zu begegnen. „Es ist krass jemanden zu treffen, der all das erlebt hat, worüber wir die ganze Zeit reden“, beschreibt eine Schülerin die Stimmung kurz vor dem Treffen.
Zunächst aber stand eine gemeinsame Führung durch den Fichtebunker, der vor der NS-Zeit als Gasometer diente, auf dem Programm. Dabei wurde den Schülerinnen und Schülern bewusst, mit welcher Angst und welchen Umständen die Menschen während des Zweiten Weltkrieges um ihr Überleben kämpfen mussten. Was es heißt, nicht frei zu sein und in ständiger Angst zu leben, das konnten die Schülerinnen und Schüler spätestens bei dem Treffen mit Margot Friedländer nachfühlen, die den jungen Mendenern ihr Schicksal hautnah erzählte.
„Es ist krass jemanden zu treffen, der all das erlebt hat, worüber wir die ganze Zeit reden.“
Große Anspannung vor der Begegnung mit Margot Friedländer
Margot Friedländer ist eine der letzten Überlebenden des Holocausts, die sich schon seit Jahren als Zeitzeugin und gegen Antisemitismus und Ausgrenzung engagiert. Mit ihrer Stiftung setzt sie sich ebenso wie „Augen auf“ für Toleranz und Menschlichkeit ein. Vor der Begegnung macht sich eine große Anspannung bei allen bemerkbar. „Ich fühle Aufregung, eine totale Freude, aber ich habe auch riesigen Respekt davor“, berichtet eine Schülerin über ihre Gefühlslage.
Netzwerk „Augen auf! Für Menden“
Gemeinsam mit insgesamt 24 Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Mendener Schulen (Placida-Viel-Berufskolleg, Gymnasium an der Hönne, Realschule Menden, Gesamtschule Menden, Hönne-Berufskolleg und die Walburgisschulen) reiste das Mendener Netzwerk „Augen auf! Für Menden“ vom 8. bis 10. Februar 2025 nach Berlin.
Das Netzwerk setzt sich schon seit 2017 für Menschlichkeit, Vielfalt und Toleranz ein. „Augen auf“ bemüht sich darum, über die dunklen Flecken in unserer Geschichte aufzuklären. Mit Veranstaltungen wie dem jährlichen Gedenken am 9. November für die Opfer der Reichspogromnacht kämpft das Netzwerk gegen das Vergessen.
Die 103-Jährige betritt den Raum und durchdringt mit ihrer herzlichen Begrüßung die sich breitmachende Stille. Daraufhin lauschen alle einer abgespielten Lesung der Zeitzeugin, Ausschnitte aus ihrer 2008 veröffentlichten Biografie. Darin erzählt sie, wie sie 1943 ihren Bruder und ihre Mutter verlor, die von der Gestapo erwischt und nach Auschwitz deportiert wurden, weil sie Juden waren. Ihre Mutter ging mit ihrem Sohn mit und hinterließ Margot einen Abschiedsbrief mit den Worten „Versuche, dein Leben zu machen“. So heißt auch der Titel ihrer Biografie. Daraufhin tauchte sie im Untergrund ab und verändert ihr Aussehen, um unerkannt zu sein. „Diese Margot darf es nicht mehr geben“, schreibt sie.
„Versuche, dein Leben zu machen.“
Später wurde sie selbst in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Margot überlebte knapp und ging daraufhin mit ihrem Mann, den sie im KZ kennengelernt und noch dort geheiratet hat, in die USA. Die grauenhaften Erlebnisse hinterließen Narben und beeinflussten Margots Leben maßgeblich, sodass sie sich 2010 dazu entschloss im Alter von 88 Jahren nach Berlin zurückzukehren.
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Die Lesung verstummt, die Schülerinnen und Schüler wirken bedrückt und fassungslos. Margot Friedländer blickt in die Menge und richtet ihre Worte an alle. Sie ist zurückgekommen, um den jungen Menschen die Hand zu reichen und sie zu bitten, die „Zweitzeugen“ zu sein, die sie und alle Überlebenden bald nicht mehr sein können. Margot erklärt, „Ich möchte nicht, dass einer, ein Mensch, es auch nur einen Tag erleben muss, was wir erlebt haben.“ Bei allen bildet sich ein Kloß im Hals. Tränen fließen. Sie fährt fort: „Bitte denkt daran, ganz egal welche Religionen und welche Hautfarbe wir Menschen haben: Wir sind Menschen. Ich liebe Menschen, ich respektiere Menschen.“ Margot macht deutlich, dass sie trotz all dem Schmerz, den sie erfahren hat, nach wie vor Vertrauen in Menschen setzt. Sie gibt den Menschen nicht auf und sieht das Gute in ihm.
„Ich möchte nicht, dass EINER, EIN Mensch es auch nur einen Tag erleben muss, was wir erlebt haben.“
Anschließend dürfen die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen. Peter Hoppe, der „Augen auf“ mit Herz und Seele unterstützt und ein guter Freund der Zeitzeugin ist, erklärt, dass es Margot sehr wichtig ist, mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Es gibt ihr Mut und es würde uns auch helfen, erklärt sie.
Margot Friedländer: Mache es, damit ihr Menschen seid und es weitertragen könnt
„Hatten Sie in der schweren Zeit Hoffnung?“, fragt eine Schülerin. Die Worte ihrer Mutter „Versuche, dein Leben zu machen“ hätten ihr Hoffnung darauf gegeben, dass sie es schaffen könnte. „Ich hatte eine Verpflichtung, ich wollte es für sie tun“, erklärt die Zeitzeugin. Die Schülerinnen und Schüler sind sehr beeindruckt über die Kraft und den Willensgeist dieser Frau. Es wird weiter gefragt.
„Die, die ich nicht erreichen kann, werde ich nie erreichen und die anderen hoffentlich genügend, dass es nie wieder passiert.“
„Wie schwer ist es für Sie heute zu ertragen, dass es wieder Menschen gibt in diesem Land, die Menschen nicht respektieren?“, fragt Mendens Bürgermeister Roland Schröder. Die Frage trifft Margot tief, sie zögert etwas: „Glauben Sie mir, ich weiß genau, was ist. Ich bin mir ja auch sehr klar darüber. Ich bin 103 Jahre alt und damit Kind von Leuten, die damals auch erst gejubelt haben.“ Sie wolle nicht wissen, wie es ausgehen wird. Mit eindringlichem Blick fährt sie fort: „Die, die ich nicht erreichen kann, werde ich nie erreichen und die anderen hoffentlich genügend, dass es nie wieder passiert.“
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Margot Friedländer endet mit einem Appell: „Deshalb mache ich es, damit ihr Menschen seid und es weitertragen werdet. Für euch, für eure Zukunft, die nächsten Generationen und die Demokratie.“ Peter Hoppe lächelt Margot an mit den Worten: „Wer dich hört, muss Mensch sein.“ Ein schönes Schlusswort.
„Wer dich hört, MUSS Mensch sein.“
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Schülerinnen und Schüler überwältigt und tief ergriffen
Nach der Begegnung sind die Schülerinnen und Schüler überwältigt und tief ergriffen. „Ich habe sehr viel geweint, muss ich ehrlich sagen. Ich fühle mich sehr frei. Ich weiß, wenn ich gleich auf diese Straßen rausgehe, bin ich frei“, schildert eine Schülerin. Auch Bürgermeister Roland Schröder, der dieses Jahr mitgereist ist, ist sehr berührt. „Eine unglaubliche Kraft, die aus dieser Frau rauskommt“, staunt er. Die Schulsozialarbeiterin des Placida-Viel-Berufskollegs Irina Rebbe findet folgende Worte zu ihren Gedanken: „Tatsächlich ist es so, dass ich jedes Mal das Gefühl habe, ich will zwischendrin mal aufspringen und ganz laut rufen ,Ich verspreche, dass ich für immer alles tue, dass sich das nicht wiederholt‘, und manchmal habe ich Angst vor diesem Versprechen.“
„Tatsächlich ist es so, dass ich jedes Mal das Gefühl habe, ich will zwischendrin mal aufspringen und ganz laut rufen ,Ich verspreche, dass ich für immer alles tue, dass sich das nicht wiederholt‘, und manchmal habe ich Angst vor diesem Versprechen“
Begegnung mit Margot Friedländer wird allen immer in Erinnerung bleiben
Die Holocaust-Überlebende hat „Augen Auf“ nochmal vor Augen geführt, wie wichtig Toleranz und Demokratie ist. Viele sind beeindruckt von der Zeitzeugin, andere verspüren Mitleid und Wut auf die grausamen Menschen, die nicht nur einem, sondern so vielen Menschen dieses Leid angetan haben. Die Nächsten sind dankbar für das Privileg, Margot treffen zu dürfen. All diese unterschiedlichen und schwer greifbaren Emotionen sagen aber eines aus: Es ist eine Begegnung, die allen für immer in Erinnerung bleibt. Ein Weckruf, seine Menschlichkeit zu bewahren.
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Auch Bürgermeister Schröder appelliert an die Schülerinnen und Schüler. Er bittet sie, wählen zu gehen, um für die Entscheider unserer Zukunft unsere Stimme vorzugeben und die wankende Demokratie wieder ins Gleichgewicht zu bringen. „Gebt eurer Stimme einen Ausdruck!“