Menden. Ein Mann aus Algerien verfolgt einen Mendener Rentner und reißt ihm seine wertvolle Goldkette kurz vor der Haustür vom Hals.
„Ich bin früher zur See gefahren“, sagt ein 74 Jahre alter Mendener im Zeugenstand des Mendener Amtsgerichts. „Ich war auf der ganzen Welt unterwegs in den schlimmsten Kaschemmen und mir ist nie etwas passiert. Aber dass mir jetzt im hohen Alter von so einem Strolch vor der Haustür die Kette weggerissen wird, das ärgert mich.“ Der Frust sitzt tief, auch Monate nach dem Vorfall. Doch was ist am 24. Juli 2024 genau passiert? Das versucht Richter Martin Jung mit zwei Schöffinnen nun zu klären.
„Ich war auf der ganzen Welt unterwegs in den schlimmsten Kaschemmen und mir ist nie etwas passiert. Aber dass mir jetzt im hohen Alter von so einem Strolch vor der Haustür die Kette weggerissen wird, das ärgert mich.“
Opfer bis fast zur Haustür gefolgt, um Kette zu stehlen?
Angeklagt ist ein 24-jähriger Algerier, der seit 2022 in Deutschland lebt, zuletzt in Menden. Ihm wird von der Staatsanwaltschaft Arnsberg räuberischer Diebstahl vorgeworfen, weil er dem 74-jährigen Mendener eine rund 2000 Euro teure Goldkette von Hals gerissen haben soll. Dazu soll er dem späteren Opfer in den Bus bis nach Bösperde gefolgt sein. Gegen 22.55 Uhr stieg der 74-Jährige an der Straße „Am Gillfeld“ aus, der Täter folgte ihm laut Anklageschrift. Wenig später soll der Angeklagte dem Mann die Goldkette vom Hals gerissen haben, um mit ihr wegzurennen.
Darüber hinaus wird dem Angeklagten vorgeworfen, dass er unter anderem mehrfach gewerbsmäßig Whiskey-Flaschen im Wert von jeweils rund 20 Euro in einem Supermarkt an der Unteren Promenade gestohlen haben soll, um sie - genau wie bei der Kette - gewinnbringend zu verkaufen. Die mutmaßlichen Tatzeiträume (12. bis 25. Juli 2024) liegen dicht beieinander, teilweise soll der Angeklagte mehrfach pro Tag Flaschen in dem Lebensmittelgeschäft entwendet haben. Auch Chips und Nüsse habe er gestohlen.
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Bereits gegen zwei Bewährungsstrafen verstoßen
Mit Handschellen, Daunenjacke und Turnschuhen betritt der Angeklagte den Saal. Das Justizpersonal führt ihn vor und nimmt ihm die Handschellen ab, bevor sich die beiden Männer vor den Ausgängen des Saals in Position bringen. Nötig ist das, weil der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und zweifach gegen Bewährungsstrafen verstoßen hat. Deshalb befindet er sich in Untersuchungshaft.
„Er hat finanzielle Probleme und kann kaum Deutsch.“
Seine Verteidigerin Hanna Klee redet nicht lange um den heißen Brei herum: „Die Taten werden eingeräumt. Er hat das getan“, sagt sie nach der Anklageverlesung. Ihr Mandant habe keine Arbeit, seine Eltern seien tot und seit seiner Ankunft in Deutschland habe er mehrere Stadtwechsel hinter sich. „Er hat finanzielle Probleme und kann kaum Deutsch.“ Außerdem, so sagt sie, trinke er sehr viel Alkohol und nehme Drogen. Die Kette habe er an sich genommen, Details kenne er nicht mehr, weil er betrunken gewesen sei. Den Alkohol habe er zum Eigenkonsum geklaut. Es tue ihm leid.
Mehrere Überwachungsvideos: 16 Flaschen Whiskey zum Eigenkonsum?
Richter Martin Jung nimmt das zur Kenntnis, stellt dennoch Nachfragen. Entzugserscheinungen seien ihm aus der Justizvollzugsanstalt keine bekannt. Das sei verwunderlich. „16 Flaschen Jack Daniels an einem Tag und am nächsten Tag dann wieder. Können Sie sich denn daran erinnern?“, will er wissen. „Ich weiß, dass ich gestohlen habe, aber nicht wie viel“, so die Antwort des Angeklagten. „So viele Flaschen zum Eigenkonsum... das wundert mich“, ergänzt der Richter. „Ich trinke sehr viel“, so der Angeklagte. „Zwei bis drei Flaschen Whiskey am Tag.“ Andere Flaschen habe er gegen Kokain eingetauscht.
„16 Flaschen Jack Daniels an einem Tag und am nächsten Tag dann wieder. Können Sie sich denn daran erinnern?“
Dann werden zahlreiche Überwachungsvideos aus dem Lebensmittelgeschäft gesichtet. Zu sehen sind mehrere Männer, die sich immer wieder am Regal mit dem teuren Whiskey bedienen, um die Flaschen dann im Rucksack verschwinden zu lassen - darunter auch der Angeklagte. Eine Aufnahme zeigt ihn dabei, wie er seelenruhig im Deutschlandtrikot sechs Flaschen in seinem Rucksack versenkt und geht. Als der 24-Jährige das sieht, beginnt er zu lachen. „Ja, das ist ziemlich eindeutig“, stimmt auch der Richter zu. Auch ein Mitarbeiter des Geschäfts wird befragt. Man habe den Angeklagten schon länger beobachtet. Er sei immer wieder aufgefallen, bis er schließlich ertappt werden konnte.
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Mendener in ein Gespräch verwickelt und dann zugeschlagen
Auch das 74-jährige Opfer schildert seine Eindrücke. „Ich bin an dem Tag um 17 Uhr in die Stadt gefahren, um einen alten Kollegen zu treffen“, sagt er. Man habe sich lange nicht gesehen, gequatscht und einen lustigen Abend in einer Gaststätte verbracht. „Irgendwann war es dann genug und ich wollte mit dem letzten Bus nach Hause fahren vom Westwall.“ An der Haltestelle habe er den Angeklagten und einen weiteren Mann stehen sehen. „Er kam auf mich zu und fragte, welchen Bus ich nehme.“ Er habe es ihm erzählt und sei dann vorne eingestiegen, habe nicht weiter auf den Mann geachtet und sich mit dem Busfahrer unterhalten.
„Ich habe ihn angesprochen und gesagt, dass er zwei Haltestellen vorher in der Wunne hätte aussteigen müssen.“
„Ich habe den Busfahrer gebeten, direkt an der Straße „Am Gillfeld“ zu halten“, beschreibt das Opfer weiter. Kurz vor seinem Haus habe er sich dann umgedreht und festgestellt, dass der junge Mann ihm gefolgt sei. Es sei ziemlich dunkel gewesen. „Ich habe ihn angesprochen und gesagt, dass er zwei Haltestellen vorher in der Wunne hätte aussteigen müssen.“ Es sei zu einem kurzen Gespräch gekommen und als der junge Mann ihn fragte, wo er denn wohne, habe er sich zur Seite gedreht, um auf sein Haus zu zeigen. „Da riss er mir die Kette vom Hals und lief los in die Sackgasse und über die Wiese.“
„Da riss er mir die Kette vom Hals und lief los in die Sackgasse und über die Wiese. Er hat Fersengeld gegeben.“
Alkoholgeruch oder Drogeneinfluss habe er nicht bemerkt. „Der war ganz normal“, so der 74-Jährige. „Er hat Fersengeld gegeben, große Schritte. Er hatte eine weiße Flagge um, die am Wehen war. Die sehe ich heute noch vor mir.“ Zuhause habe er die Polizei gerufen. Die Kette sei wenig später, als der Angeklagte bei einem Diebstahl erwischt wurde, wieder aufgetaucht. 265 Euro habe die Reparatur des Verschlusses gekostet, aber er hänge an der Kette.
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Richter spricht bei Urteilsverkündung von „Blödsinn“
Nach kurzer Beratungspause steht das Urteil. Der Angeklagte wird zu einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstraße verurteilt. Insgesamt könne ihm nachgewiesen werden, dass er 12 Flaschen Whiskey zum Preis von je 20 Euro gestohlen habe sowie Nüsse und Chips. Außerdem habe er die Kette gestohlen. Da dem Zeugen dabei glücklicherweise nichts passiert sei und sich die Gewalt gegen die Kette und nicht gegen den Mann gerichtet habe, handle es sich nicht um Raub.
„Scheinbar weiß der Angeklagte nicht einmal, wie es ist, zwei bis drei Flaschen zu trinken, sonst hätte er diesen Blödsinn nicht in den Mund genommen.“
Dennoch: „Es handelt sich um deutlich über 2000 Euro Beute in dem Monat. Dafür wird sonst hart gearbeitet“, so der Richter. „Die Aussage, dass er zwei bis drei Flaschen Jack Daniels pro Tag getrunken hat, ist schlicht unvereinbar mit der Sachlage“, so Martin Jung weiter. „Scheinbar weiß der Angeklagte nicht einmal, wie es ist, zwei bis drei Flaschen zu trinken, sonst hätte er diesen Blödsinn nicht in den Mund genommen.“ Eine positive Bewährungsprognose sei nicht gegeben. Der Angeklagte lasse sich davon nicht beeindrucken. „Solche Taten wollen wir hier nicht weiter. Deshalb bleibt auch der Haftbefehl bestehen.“
Gegen das Urteil können Rechtsmittel eingelegt werden.