Lendringsen. Verzweiflung der Bürger ist groß. Stadtverwaltung verspricht in Sondersitzung Sofortmaßnahmen gegen die Überschwemmungen.

Es ist ein Lacher, der an diesem Mittwochabend zugleich die ganze Verzweiflung der Lendringser über die fortwährenden Überschwemmungen ihres Stadtteils deutlich macht: „Wenn wir uns beim nächsten Starkregen selber auf die Lendringser Hauptstraße stellen und die Autos stoppen, könnten Sie uns dann Straffreiheit gewähren?“, will ein Anlieger von Ordnungsamtschefin Manuela Schmidt wissen. Die spielt nicht mit: „Das kann ich Ihnen leider nicht erlauben.“ Der ernste Hintergrund: Im Unwetter vom vorvergangenen Donnerstag waren es Wellen durch vorbeifahrende Autos, die den Anliegern noch mehr Wasser in Wohnhäuser und Geschäfte schwemmten (die WP berichtete). „Einige haben uns draußen sogar noch angegrinst und extra Gas gegeben.“

Mehr als 80 Betroffene aus Lendringsen füllen den Alten Ratssaal, um den Politikern das Überschwemmungsproblem im größten Stadtteil Mendens zu schildern – und Lösungen einzufordern.
Mehr als 80 Betroffene aus Lendringsen füllen den Alten Ratssaal, um den Politikern das Überschwemmungsproblem im größten Stadtteil Mendens zu schildern – und Lösungen einzufordern. © Westfalenpost | Thomas Hagemann

Betroffener Senior klagt: „Möbel sind alle nass, ich kann nachts nicht mehr schlafen“

Gut 80 Bürgerinnen und Bürger aus Lendringsen füllen den alten Ratssaal an diesem Mittwochabend bis auf den letzten Platz. Sie sollen und wollen den Politikern und der Stadtverwaltung in dieser Sondersitzung des Ausschusses für Öffentliche Sicherheit, Ordnung und das Feuerwehrwesen (ÖSOF) ihr Leid klagen. Ein älterer Mann, den Tränen nah, berichtet besonders eindrucksvoll: „Wir haben immer noch die durchnässten Möbel in den Zimmern stehen. Ich kann nachts nicht mehr schlafen. Das müssten Sie mal erleben“, schreibt er den Politikern ins Stammbuch. Eine Frau sagt: „Wir erhalten keine Hilfe, viele bleiben auch auf Kosten sitzen, die in die Zehntausende gehen. Wir stehen alleine da.“

Keine Finanzhilfe von der Stadt: „Wir schützen Sie auch nicht vor Sturm“

Städtische Direkthilfen für Flutopfer gibt es gleichwohl nicht, antwortet Stadtkämmerer Uwe Siemonsmeier, als er direkt danach gefragt wird: „Wir könnten Sie finanziell ja auch nicht vor den Folgen eines Sturms schützen.“ Immerhin aber gibt es heute das Versprechen einer schnellen Behelfslösung. Dirk Wiegand, Chef der Abteilung Straßenbau im Rathaus, erklärt sie: „Wir werden zusätzliche Abflussgarnituren, also Gullys, einbringen. Dann kann das Regenwasser schneller abfließen. Und wir werden ein Provisorium zur Behebung des Tiefpunktes im Bieberberg-Kreisel einbauen.“ Das werde teuer für die Stadt, „aber wir gewinnen damit womöglich Monate Zeit“.

Soforthilfe durch zusätzliche Gullys in Aussicht gestellt

Und die Zeit drängt. Der nächste Starkregen kann auch wieder Lendringsen treffen wie am Dienstag erst die Platte Heide und Bösperde, und das Drama würde erneut seinen Lauf nehmen. Für die durchgreifende Lösung in Lendringsen ist indes Michael Mathmann zuständig. Der Leiter des Stadtentwässerungsbetriebs Menden, kurz SEM, erläutert, was die WP bereits berichtet hat: Im Sommer 2025, also in knapp einem Jahr, sollen die zu schmalen Kanäle in der Otto-Weingarten-Straße durch größere ersetzt sein.

Starkregen in Lendringsen: Bei Katastrophen wie dieser helfe auch kein neues Kanalsystem mehr, erklären die Stadt-Experten.
Starkregen in Lendringsen: Bei Katastrophen wie dieser helfe auch kein neues Kanalsystem mehr, erklären die Stadt-Experten. © Feuerwehr Menden | Stefan Deitel

Ende November sollen Arbeiten für größeren Kanal beginnen

Zwar könne kein Kanalsystem in Deutschland eine Regenkatastrophe abwenden, doch ein dreijähriges Regen-Ereignis würden die neuen Leitungen problemlos abführen. „Die Ausschreibungen“, versichert der SEM-Chef, „gehen nächste Woche raus“. Dann müssten die Angebote durch ein Fachbüro geprüft werden, und wenn es gut läuft, könnten nach der Auftragserteilung die Bagger Mitte bis Ende November losbuddeln. Wenn es gut läuft. Die Lieferzeit für Kanalrohre liegt derzeit bei sechs Wochen. Ende Juni 2025, sagt Mathmann, könnte im Idealfall alles fertig sein.

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Neue Abwasserplanung der Stadt für Lendringsen offenbar zu erweitern

Die Anwohner fragen dann erwartungsgemäß, wie es denn jeweils um die Entwässerung ihrer Straße steht. „Wir sind zuletzt zwei Mal abgesoffen“, „Wir sind zuletzt drei Mal abgesoffen“, so eröffnet hier fast jeder sein Anliegen. Das macht das Ausmaß des Problems, der Betroffenheit und der Angst vor neuen Überschwemmungen deutlich. Es geht eben nicht nur um die Hauptstraße und den Bieberberg-Kreisel, es geht auch um viele Nebenstraßen in Lendringsen. Für die Straße Oberm Rohlande, die bislang nicht unter den zehn identifizierten Problemstellen in der neuen Zentralen Abwasserplanung der Stadt für Lendringsen steht, sagt Mathmann schließlich eine neuerliche Prüfung der hydraulischen Planung zu.

Nicht nur die Anlieger der Hauptstraße, hier die Physiotherapiepraxis Fiebig, sind die beständigen Überschwemmungen leid.
Nicht nur die Anlieger der Hauptstraße, hier die Physiotherapiepraxis Fiebig, sind die beständigen Überschwemmungen leid. © WP Menden | Thomas Hagemann

Bürger stecken schon viel privates Geld in den Hochwasserschutz

Der SEM-Chef dürfte indes noch mehr zu prüfen bekommen: Die CDU-Fraktion hat soeben beantragt, das Lendringser Kanalnetz im Bereich der Hauptstraße „mit abgehenden Straßen von der Fischkuhle bis zum Kress-Kreisel am Salzweg und den Straßen Salzweg, Clemens-Brentano-Straße, Oberm Rohlande und Luise-Hensel-Straße auf Verbesserungs- und Optimierungsbedarf für solche Regenereignisse“ zu untersuchen. Im alten Ratssaal kommen heute weitere Straßen hinzu. Mathmann appelliert indes mehrfach an die Anwohner, ihre Grundstücke vom SEM individuell und kostenlos prüfen zu lassen. Rückstauklappen könnten wahre Wunder wirken. In Lendringsen, entgegnen mehrere Bürger, hätten sie diese Klappen längst. Und noch viel mehr privates Geld in den Hochwasserschutz investiert.

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Für Feuerwehr und Ordnungsamt gehören Tornado-Warnungen längst dazu

Nach der Fragestunde beschreiben dann Manuela Schmidt und Feuerwehr-Wachenleiter Christian Boike ihre Aufgaben und Probleme bei Starkregen. Wo genau sich eine herumwirbelnde Gewitterzelle entlädt, welchen Stadtteil sie unter Wasser setzt, sei unmöglich vorherzusagen, berichtet Schmidt. Mittlerweile gehörten sogar Tornado-Warnungen zum Alltag. Christian Boike, der nach den letzten Einsätzen für seine Feuerwehrleute ein großes Dankeschön und starken Applaus der Lendringser Bürger erntet, beschreibt viele praktische Probleme bei Hochwasser, etwa bei Sicherung der Einsatzstelle: „Unsere Pylonen würden ja einfach weggeschwemmt.“ Die Feuerwehr Menden sei allerdings zuletzt hervorragend ausgerüstet worden, auch mit 35 großen Pumpen.

Politiker einig wie selten: Problem soll auf der Tagesordnung bleiben

Die Politiker sind sich schließlich einig wie selten: Das Problem soll unmittelbar nach der Sommerpause auf der Tagesordnung bleiben. Die Auslegung der Kanäle, betonen Sprecher von CDU, SPD und FDP, entspreche grundsätzlich wohl nicht mehr den Anforderungen in Zeiten des Klimawandels. Wie gesagt: Auf Michael Mathmann und seinen SEM dürfte noch einiges zukommen.