Finnentrop/Lennestadt. 20 Jahre lang soll ein Mann aus Finnentrop seine Nachbarin ständig beobachtet und provoziert haben. Jetzt landet der Dauer-Stalking-Fall vor Gericht.

„Das Verhältnis des Angeklagten und der Nebenklägerin ist meines Wissens das prägendste Thema der letzten anderthalb Jahrzehnte in diesem Amtsgericht. Es gibt niemanden in dem Gebäude, der jemals hier gearbeitet hat, der diese beiden Namen nicht kennt.“ Mit diesem ungewöhnlichen Rückblick begann Amtsrichter Edgar Tiggemann seine Urteilsbegründung im Prozess gegen einen 85-jährigen Mann. Dieser musste sich zum wiederholten Mal wegen Nachstellung bzw. Stalking seiner Nachbarin vor Gericht verantworten. Die unglaublich hohe Anzahl der einzelnen Tathandlungen und die mangelnde Einsicht bringt dem Mann aus der Gemeinde Finnentrop eine Freiheitsstrafe ein - er soll für zehn Monate hinter Gitter.

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Diesmal ging es nur um den Zeitraum zwischen dem 1. September 2022 und dem 25. September 2023 sowie dem 17. November 2023 und dem 10. Juni 2024. Mehrere Minuten benötigte der Staatsanwalt, um allein die Daten der einzelnen Stalking-Handlungen vorzulesen. Permanent habe der Mann seine Nachbarin belästigt und in ihrer Lebensgestaltung beeinträchtigt, weil er immer wieder ihr Grundstück betreten und versucht habe, durch die Fenster in die Wohnung der Frau zu blicken, hieß es in der Anklage. Die 68-Jährige sei durch dieses Dauer-Stalking schwer erkrankt, leide unter Panikattacken, traue sich nicht mehr aus dem Haus. Ihr Arzt attestierte ihr einen reaktiv-depressiven Erschöpfungszustand. Diese Folgen habe der Angeklagte billigend in Kauf genommen, so der Staatsanwalt.

Begonnen hatte der Streit zwischen den beiden Nachbarn schon, als die Frau vor über 20 Jahren das Haus neben dem Eigenheim des Seniors bezog. Die Frau, die im Amtsgericht als Nebenklägerin auftrat, erinnerte sich: „Wir waren kurz vor Weihnachten noch nicht ganz drin, da stand er plötzlich in unserer Küche vor uns, ohne zu schellen und zu klopfen. Das hat mich geschockt.“ Für die Frau war dies ein Schlüsselerlebnis, sollte aber nur ein Schreckmoment von vielen weiteren sein. Immer wieder habe der Angeklagte sie beobachtet, durch ihre Fenster geschaut und dabei drohende Gesten gemacht. Mehr noch, er habe in ihrer Post gewühlt, habe an der Einkaufskasse plötzlich hinter ihr gestanden, Mülltonnen und Gartenmöbel verrückt, ihren Schuppen betreten. Mehrmals landete der Streit vor dem Amts- und Landgericht. Aus Angst vor Übergriffen und der ständigen Beobachtung habe sie einige Fenster verdunkelt und abgeklebt und lebe nur noch bei künstlichem Licht. „Ich trau mich nicht mehr allein aus dem Haus. Ich werde permanent observiert“, so die Frau.

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Der Angeklagte wies die Vorwürfe zurück. Die Frau leide seit Jahren an Depressionen. Seine eigene Frau sei von der Nachbarin letztes Jahr noch als „Miststück“ bezeichnet worden, ließ der Angeklagte kein gutes Haar an seiner Nachbarin. Seine Gattin bestätigte im Zeugenstand seine Aussagen. Der Grund für den erbitterten und jahrelangen Streit der Nachbarn liegt an den „kuriosen Grundstücksgrenzen“, so Richter Tiggemann, die zum Teil sogar durch Gebäude verlaufen. Damit der Angeklagte seine Garage neben dem Nachbarhaus erreichen kann, besitzt er ein Wegerecht für einen Weg direkt vor dem Haus der Nachbarin. „Ich gehe daher, ob es ihr passt oder nicht“, so der Rentner vor Gericht. Dass das Landgericht Siegen ihn im Sommer 2024 bereits in einem weiteren Prozess dazu verdonnert hatte, sein Wegerecht „schonend“, also nur für An- und Abfahrten oder das Rausstellen von Mülltonnen, etc. auszuüben, ignorierte er weitgehend. Das ständige Beobachten des Hauses und den Versuch, durch die Fenster zu spionieren, stritt er ab. „Ich habe nicht das geringste Interesse, bei ihr reinzuschauen“, sagte er. Und er stehe immer nur auf seinem eigenen Grundstück.

Allerdings war die Beweislast für seine Stalking-Attacken erdrückend. Um sich zur Wehr zu setzen, hatte die Nachbarin sieben Kameras installiert, damit rund 900 Fotos und Videos von ihrem Grundstück aufgenommen und penibel mit den Aufnahmedaten protokolliert. Einige von diesen wurden im Gerichtssaal gezeigt. Dort ist der Angeklagte zu sehen, wie er auf das Haus der Nachbarin schaut und sich auch an deren Gegenständen im Außenbereich zu Schaffen macht.

Sein Verteidiger räumte ein, dass sein Mandant das Grundstück betreten und auch in Richtung Fenster, aber nicht durch die Fenster geschaut habe. Und: Die Geschädigte sei an dem Streit „nicht so ganz unschuldig“. Der Angeklagte und seine Gattin hätten sich durch die Kameras ebenfalls belästigt gefühlt und seien von ihr mehrmals beleidigt worden, sagte er in seinem Plädoyer.  Der Staatsanwalt sah durch das Verhalten des Angeklagten ohne jegliche Reue den Tatbestand der „Nachstellung in einem besonders schweren Fall“ erfüllt.  Zwar sei das Maß der Nachstellung nicht extrem hoch, weil es keine tätlichen Angriffe gegeben habe, aber wegen der großen Anzahl der Verfehlungen und der hohen Rückfallgeschwindigkeit – das Amtsgericht hatte ihn am 31. August 2023 bereits zu einer siebenmonatigen Haftstrafe verurteilt, das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig – müsse „auf jeden Fall eine Freiheitsstrafe her“. Er forderte insgesamt elf Monate ohne Bewährung, der Anwalt der Nebenklägerin forderte sogar 18 Monate.

Richter Tiggemann schloss sich der Argumentation des Staatsanwalts weitgehend an. Er verurteilte den Senior zu einer Haftstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung. Der Angeklagte habe seiner Nachbarin bewusst immer wieder seelische Verletzungen zugefügt. Seine Botschaft an die Nachbarin sei: Es geht weiter, sei dir nicht sicher, so der Amtsrichter. Gegen das Urteil kann der Finnentroper noch Beschwerde beim Landgericht einlegen.