Herdecke. Michele Ufer lief Ultramarathons, durch Wüstensand und Eis. Zwei Schlaganfälle rissen ihn aus dem Leben. Wie er in nur zwei Jahren zurückfand.

Der längste Lauf seines Lebens war keine 100 oder gar 250 Kilometer lang, er führte nicht durch die sengend heiße Wüstensonne oder die beißende Eiseskälte der Antarktis. Denn das alles wären ganz normale Herausforderungen für Michele Ufer, den Ultramarathon-Läufer. Das hatte er schon dutzende Male gemacht. Nein, der längste und strapaziöseste Lauf seines Lebens führte ihn von zwei Schlaganfällen zurück ins ganz normale Leben.

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Es erwischte ihn im Schlaf. Wenige Tage zuvor war er durch die Atacama-Wüste in Chile gerannt, eines der schwersten Wüstenrennen überhaupt. Und mit 50 Jahren war er wieder Bester in seiner Altersklasse geworden, so wie der topfitte Athlet und Sportpsychologe aus Herdecke es beinahe schon gewohnt war. Nun war er im Flieger aus der Hauptstadt Santiago auf dem Weg zurück nach Europa. Irgendwo zwischen Santiago und dem Zwischenstopp Paris schlief er ein.

Dann passierte es: Ein Riss in der Halsschlagader, es bildeten sich Blutpfropfen und verschlossen die Arterie, so dass das einige Areale des Hirns nicht mehr ausreichend versorgt, werden konnten: ein Schlaganfall.

Ultramarathon-Läufer Michele Ufer ist nach Schlaganfall durch die Antarktis gelaufen
Ein Eisberg als Kulisse: Nicht nur die Kälte, auch die Aussicht in der Antarktis waren atemberaubend für Michele Ufer. © Thiago Diz | Thiago Diz

Von einem Moment auf den anderen konnte Michele Ufer nicht mehr sprechen, nicht mehr richtig sehen, sich nicht mehr richtig bewegen. Und im Krankenhaus in Paris, wohin man ihn zunächst brachte, waren die Zustände katastrophal, man erkannte erst nicht, was geschehen war. Ufer erlitt dort einen zweiten Schlaganfall.

Das war im Oktober 2022. Alles schien vorbei zu sein. Aber Ufer lebte noch. Und er hatte den eisernen Willen, sich zurückzukämpfen. „Es ist mir wichtig zu erwähnen, dass dieser Schlaganfall keine Folge meines Sports war. Das haben die Ärzte mir immer wieder bestätigt. Es ist sogar das Gegenteil der Fall: Dass ich diesen Riss in der Halsschlagader überlebt habe, verdanke ich meiner Fitness“, sagt der Läufer heute – und seiner Stimme merkt man in keiner Sekunde an, dass er noch vor etwas mehr als zwei Jahren die Fähigkeit zu sprechen verloren hatte, er fühlte sich, als wäre er in seinem Körper eingeschlossen.

Schlaganfall: Ein Riss in der Halsschlagader war der Grund

Ein Schlaganfall aufgrund eines Risses in der Halsschlagader ist die häufigste Ursache bei jungen, gesunden Menschen.

Nur die Genesung, die Michele Ufer gelungen ist, die findet man selten. Sein Therapeut sagte: „Dies in so kurzer Zeit zu erreichen, hab ich noch nie gesehen.“

Von einem Tag auf den anderen saß der Mann, der vorher anderen Athleten beigebracht hat, systematisch an ihre Grenzen zu gehen und darüber hinaus, selbst im Rollstuhl. Doch hier klammerte sich Michele Ufer an den Satz, den er selbst immer wieder gepredigt hatte – und nahm ihn ernst: „Come back stronger!“

„Ich habe einige der schwierigsten Rennen auf dem Planeten überlebt, aber die waren nichts im Vergleich zu meiner Neuro-Rehabilitation. Das war definitiv der bisher schwierigste und herausforderndste Ultramarathon meines Lebens. Da helfen meine Mentaltrainings-Techniken und die Erfahrungen aus den bisherigen Ultramarathon-Rennen ungemein, um die Leistung und die Resilienz zu fördern“, sagt er. „Ich hatte einfach auch im Kopf: Du musst sofort dein Hirn unter Dampf setzen und ihm neue Lernimpulse verpassen!“

Michele Ufer
Wieder voll da: Sportpsychologe und Mentaltrainer Michele Ufer. © Ralf Litera | Ralf Litera

Dafür reichten die Stunden mit dem Logopäden und bei der Reha auf dem Fitness-Rad nicht aus. Er begann relativ schnell, zu Hause im Garten zu laufen, immer im Kreis. „Und ich bin da öfter doch schon ganz schön gestolpert. Oder gegen einen dünneren Ast gelaufen, weil ich ihn nicht gesehen habe.“ Einschränkungen im Sichtfeld gehörten zu den Folgen des Schlaganfalls. Und wenn er versuchte sich zu merken, dass er bei der nächsten Runde besser aufpassen müsste, manchmal machte ihm sein damals noch lückenhaftes Kurzzeitgedächtnis einen Strich durch die Rechnung.

„Es war unfassbar anstrengend und frustrierend“, berichtet er. Aber er hatte immer im Kopf, was ihm auch sein Therapeut gesagt hat: „Das Beste, was du machen kannst, ist: Bewegung!“

Und so ging es für Ufer buchstäblich Schritt für Schritt zurück zu mehr Normalität im Leben. Auch wenn all die Dinge, die ihm vorher so selbstverständlich erschienen, heute immer noch anstrengend sind. Aber: „Ich kann meine Gedanken wieder äußern. Und dadurch bin ich wieder im Leben drin. Der Rest kommt mit den Übungen schon zurück.“

Ultramarathon am Südpol

Mehr noch: Im Dezember war Michele Ufer in der Antarktis – und absolvierte dort wieder einen Ultramarathon. „The Last Desert“ (Die letzte Wüste) heißt dieser Lauf, weil er der Abschluss der Renn-Serie „4 Deserts“ (4 Wüsten) des „Time“-Magazins ist. 148 Kilometer lief er dort in fünf Tagen – eine Herausforderung am Südpol, bei der auch die meisten durchtrainierten Athleten irgendwann aufgeben müssten. Aber nicht Michele Ufer. „Mit dem Antarktis-Rennen habe ich gleichzeitig die Renn-Serie ,4Deserts‘ erfolgreich abgeschlossen. Das haben bisher nur rund 300 Menschen auf der Welt geschafft!“

Er war diesmal nicht mit dem Wettbewerbsgedanken unterwegs, sondern demütig und dankbar dafür, dass er dabei sein konnte. In der weißen, kalten, feindlichen Landschaft, bei teils minus 20 Grad.

Und dies war für den Sportpsychologen im vergangenen Jahr nicht die größte Herausforderung. Die lag auf einem ganz anderen Gebiet. Er erhielt eine Einladung von der Ruhruniversität Bochum, einen Vortrag zu halten über seine Erlebnisse mit dem Schlaganfall – und wie es ihm gelungen ist, sich durch Mentalstrategien zurückzukämpfen ins Leben. In einem Seminarraum zu stehen und zu referieren, das hatte ihm selbst sein Neuropsychologe nicht mehr zugetraut. Doch Ufer hat es durchgezogen. Und der Vortrag wurde ein Erfolg.

Mittlerweile hat er sogar schon wieder mehrere Einladungen zu Vorträgen. Und ein weiteres großes Ziel: Er schreibt ein neues Buch, das seine alten Themen mit der neuen Lebenssituation verknüpft. Nicht nur für Schlaganfall-Patienten, sondern für alle, die sich für Motivationspsychologie, Willenskraft, Resilienzstrategien und Mentaltraining interessieren. Denn die Genesung von Michele Ufer ist kein Wunder, sondern die Konsequenz aus seiner körperlichen Fitness in Kombination mit seiner geistigen Stärke. „All das ist nichts anderes als mentales Training.“

Mehr Infos und Kontakt: www.micheleufer.com