Herdecke. Grund-, Haupt- und Realschule gegenüber: Am Bleichstein haben jahrzehntelang Kinder und Jugendliche Naschereien im Kiosk gekauft. Aus und vorbei.
Die erste Recherche führt direkt zur Örtlichkeit. Adresse: Am Sonnenstein 3 in Herdecke. Dort hat über Jahrzehnte der Schulshop geöffnet. Nun arbeitet ein Handwerker in dem früheren Verkaufsraum von dem Kiosk. Mit dem Reporter kann oder will er nicht sprechen. Auf ein Türklingeln im hinteren Teil des beleuchteten Gebäudes öffnet niemand, also ein Visitenkärtchen sowie ein kurzes Anschreiben mit der Bitte um einen Anruf in der Lokalredaktion in den Briefkasten werfen. Doch niemand meldet sich.
Eingemauerter Anbau
Die Primärquelle entpuppt sich als Sackgasse. Wer sonst kann etwas zur offensichtlichen Geschäftsaufgabe und zur Geschichte dieses Ladens sagen? Denn die Veränderungen in dem Anbau am Herdecker Schulzentrum Bleichstein sind doch eine Berichterstattung wert. Für jeden erkennbar: Der Schulshop wird quasi eingemauert, an den Kiosk erinnert nichts mehr. Dabei haben hier Generationen von Kindern und Jugendlichen Süßigkeiten oder ähnliches gekauft. Für die meist jungen Kunden haben sich kurze Wege ergeben, für eine gemischte Tüte mussten sie im Prinzip nur die Straßenseite wechseln.
Zwei Schulen direkt gegenüber
Bis 2015 hat sich schräg gegenüber die Herdecker Hauptschule befunden, heute die Heimat der Werner-Richard-Grundschule. Auch das Friedrich-Harkort-Gymnasium liegt fußläufig nur wenige Schritte entfernt. Noch näher dran am einstigen Büdchen ist beim Betrachten der Luftlinie die Realschule am Bleichstein. Dort mal anrufen. „Der Kiosk hat schon länger geschlossen“, heißt es aus Lehrerkreisen. „Er war für uns immer wieder ein Dorn im Auge, wenn Kinder und Jugendliche in Unterrichtszeiten oder Pausen dort unerlaubt hingingen, dabei kam es schon mal zu gefährlichen Verkehrssituationen.“
Weiter recherchieren. Gespräch mit Hans-Jürgen Sellmann, früher stellvertretender Bürgermeister und sehr lange SPD-Fraktionsvorsitzender im Herdecker Rat. Bis 2006 hat der heutige Pensionär die Realschule am Bleichstein geleitet. „Der Shop am Sonnenstein dürfte Ende der 70er-Jahre oder Anfang der Achtziger erstmals geöffnet haben. Das muss zu jener Zeit gewesen sein, als wir mit der Realschule schon in den damaligen Neubau eingezogen waren“, meint der ehemalige Lehrer und erinnert sich an seine Anfangszeit als Rektor. Die hat 1976 in Pavillons an der Hengsteyseestraße begonnen.
Zurück in die Neuzeit. Im Archiv der Redaktion tauchen verschiedene Namen von Personen auf, die den Schulshop mal geführt haben. Branislavka und Christian Becker etwa bieten um 2014 auch Postdienstleistungen an. Oder Markus und Kirsten Klimek. Ab 2005 haben sie nach einer Renovierung Süßes, Schreibwaren, Zeitungen, Lebensmittel, Hygieneartikel, Snacks und Tabakwaren verkauft. Letzteres hat manchen Lehrern aus der nahen Umgebung ebenfalls missfallen. Vor einigen Jahren ist der Kiosk auch während der jeweiligen Maiwoche in die Kritik geraten. Denn beim „betreuten Saufen“, wie die Ansammlung junger Leute auf der Bleichsteinwiese prägnant heißt, haben mitunter Minderjährige ihren Alkohol im Sonnenstein-Büdchen erworben.
Ab und an berichtet auch die Polizei unfreiwillig über den Laden. Fünf Einbrüche oder Raubüberfälle lassen sich allein aus der Statistik von 2014 bis 2016 herauslesen, teilweise haben Täter mit einem Messer und Gewalt gedroht. Manche Kriminelle sind mit Bargeld und anderer Beute entkommen, andere nicht.
Doch zur Geschichte des Geschäfts gehören auch erfreuliche Ereignisse. Der Höhepunkt sicher: das Jahr 2010. Die Ruhr-Region als Kulturhauptstadt Europas. Ein Projekt heißt damals „Designkiosk“. Die Idee: Büdchen als Orte für Kunst darstellen. Einziger Teilnehmer in Herdecke: der Schulshop. Dort befindet sich wochenlang Ware von Künstlern und Kunsthandwerkern auch aus der Region zum Preis von weniger als 20 Euro.
Nächster Zeitsprung in die Gegenwart. In den Schulen hat sich viel verändert, in einer entsprechenden Mensa oder ähnlichen Einrichtungen gibt es mittlerweile Essen und auch Nachtisch. Das dürfte dem Sonnenstein-Kiosk das Geschäftsleben erschwert haben. Der hat früher entweder als willkommene Ergänzung oder als zentrale Lebensmittel-Anlaufstelle gegolten, zum vorbildlichen Pausen- oder Butterbrot haben insgesamt Tausende Pennäler Geld für Süßigkeiten sowie im Sommer Eis ausgegeben. Einst Pfennige, später Centstücke. Oder mehr.
Gewerbe im Herbst 2023 abgemeldet
Die letzte Recherche ergibt doch noch Handfestes. Aus zuverlässiger Quelle erfährt der Reporter, dass Verantwortliche das Gewerbe bereits am 10. September 2023 abgemeldet haben. Danach habe sich niemand mehr offiziell um einen Neustart bemüht. Die Spur zum Eigentümer weist nach Gelsenkirchen. Doch das würde jetzt einfach zu weit führen.