Herdecke. Bei seinen Recherchen über verstorbene Persönlichkeiten aus Herdecke sichtet ein langjähriger Jurist Unterlagen, als die NSDAP an der Macht war.
Seit einiger Zeit legt Dr. Michael Füllkrug eine Datenbank für verstorbene Persönlichkeiten aus Herdecke an. Hunderte Namen befinden sich bereits in einer Liste, die der ehemalige Oberstaatsanwalt – wie berichtet – dann in Zusammenarbeit mit dem hiesigen Heimat- und Verkehrsverein veröffentlicht. Der 70-Jährige arbeitet an weiteren Einträgen und hofft, dass sich Nachfahren bei ihm melden und weitere Auskünfte liefern.
Wenig über Wehrführer Pötter bekannt
Zum Beispiel über Karl Pötter. Der leitete von 1945 bis 1963 die hiesige Freiwillige Feuerwehr. Doch über den Wehrführer hat Füllkrug kaum Informationen vorliegen. Der langjährige Jurist geht davon aus, dass Pötter hier geboren wurde und wohl an einem anderen Ort gestorben ist. Die Stadt Herdecke hat dem Feuerwehrhauptmann 1970 den Ehrenring überreicht und so sein Engagement gewürdigt.
Füllkrug legt Wert auf eine sorgfältige Recherche und die Angabe von Quellen. Auch eine Festschrift der Freiwilligen Feuerwehr aus dem Jahr 1976 hat der amtierende Vorsitzende von Haus & Grund für Herdecke und Ende ausgewertet. Er führt eine Liste der verstorbenen Wehrführer, in der Pötter als erster Verantwortlicher nach dem Zweiten Weltkrieg eine besondere Stellung einnimmt. Zu den hiesigen Entwicklungen in der Nazi-Zeit liegen weitere Erkenntnisse vor.
NSDAP-Mitglied an der Spitze
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begann das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. „Veränderungen waren auch in Herdecke spürbar“, so Dr. Füllkrug und meint damit unter anderem die heimische Feuerwehr. Das NSDAP-Mitglied August Albrecht Mellinghaus löste 1933 den bisherigen Wehrführer Gustav Bredenbrücher ab. „Ob dieser Wechsel aus Altersgründen erfolgte oder politisch motiviert war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen“, meint der Heimatforscher. Die Nazis gingen bei solchen Entscheidungen aber durchaus taktisch „klug“ vor. So beließen sie den bisherigen Bürgermeister Robert Bonnermann zunächst im Amt, weil seine Wahlzeit im Sommer 1933 ohnehin endete.
Weltoffen und pragmatisch
Neben dem Wehrführer gab es in der hiesigen Feuerwehr weitere NSDAP-Mitglieder. „Ihr Anteil korreliert in etwa mit den Werten bezogen auf die Gesamtbevölkerung Herdeckes, war also eher gering.“ Laut einer Liste aus Juni 1945 gab es in der hiesigen Kleinstadt 789 NSDAP-Mitglieder. Füllkrugs zentrale Erkenntnis: „Die Feuerwehr Herdecke in ihrer Gesamtheit war jedenfalls keine den Nazis nahestehende Organisation. Das Gegenteil ist eher richtig. Man verhielt sich weltoffen und pragmatisch.“
Das belegt der Heimatforscher, selbst ein Herdecker Urgestein, anhand von zwei Personalien: Am 9. März 1939 trat Fritz Graefe in die Freiwillige Feuerwehr ein. An sich hieß er Johann Friedrich Graefe, alle kannten ihn aber nur unter dem Vornamen Fritz. Im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur KPD wurde er durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 24. Juli 1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Diese Strafe hat Graefe in der JVA Limburg verbüßt. Der Vorwurf lautete: Verbreitung kommunistischen Schriftgutes.
Verhaftung wegen Flugblatts
Im Gespräch mit der Westfalenpost sagte Fritz Graefe 1983 im Alter von 77 Jahren: „Ich wurde verhaftet, weil ich ein Flugblatt mit Parolen gegen Hitler besaß. Während der U-Haft in Hagen und in der Steinwache in Dortmund wurde ich misshandelt.“ Auf diese Schilderung weist Willi Creutzenberg hin, der ehemalige Lehrer am Herdecker Friedrich-Harkort-Gymnasium hat ebenfalls Dokumente aus der Nazi-Zeit ausgewertet. Füllkrug: „Den Beteiligten (und wahrscheinlich ganz Herdecke) war diese Vorgeschichte sicherlich bekannt. Gleichwohl ist Graefe bei der Wehr aufgenommen worden.“ Nach 1945 bekannte er sich zur SPD. Im gesetzteren Alter wechselte er in die Ehrenabteilung der Feuerwehr und war dort bis zu seinem Tode „ein hoch angesehenes Mitglied“.
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Eine andere Personalie betrifft Kurt Zweibäumer. Er trat am 1. April 1930 in die Freiwillige Feuerwehr Herdecke ein. Seine Mutter war jüdischer Herkunft. Nach dem Verständnis der Nazis war er mithin Halbjude. Füllkrug schlussfolgert: „Man hat dies anscheinend akzeptiert und ihn nicht aus den Reihen der Wehr ausgeschlossen.“
Sieben Wehrführer verstorben
Der Heimatforscher hat zudem eine Liste der verstorbenen Wehrführer mit teils stadtbekannten Namen angefertigt. Erster Chef der ehrenamtlichen Einsatzkräfte war von 1876 bis 1912 Theodor Habig jun., der auch in jenem Jahr starb. Auf ihn folgte sieben Jahre lang Wilhelm Mellinghaus. Von 1919 bis 1933 war Gustav Bredenbrücher verantwortlich, August Albrecht Mellinghaus übernahm bis 1945. Nach Karl Pötter führte Albert Jungheim von 1963 bis 1986 die Feuerwehr an. Letzter in der Liste der verstorbenen Verantwortlichen ist dann der gebürtige Wetteraner Bernd Miethling, der bis 2002 an der Spitze der Ehrenamtler stand und 2018 in Herdecke starb.