Herdecke. An sechs Opfer der Nazis erinnern Steine im Herdecker Pflaster. Infos beim Heimatverein gab’s schon länger. Jetzt kommt ein neues Projekt hinzu.

Die letzten Worte galten seiner großen Liebe. Weil Wilhelm Vormbaum in Frankreich desertiert war, verurteilten ihn die Nazis wegen Fahnenflucht zum Tode. Ein besonderer Pflasterstein erinnert an den Marinesoldaten aus Herdecke, der nur 24 Jahre alt wurde – ein Stolperstein. Sechs solcher Steine sind in Herdecke verlegt worden. Jetzt lassen sie sich sogar in einer App und übersichtlich im Netz finden, teils auch mit den traurigen Vorgeschichten der Ermordung wie bei Wilhelm Vormbaum.

Die Ortseingabe Herdecke unter stolpersteine.wdr.de genügt, und schon erscheinen sechs Namen und die Adressen, wo mit einem Stein im Herdecker Pflaster an sie erinnert wird. Willi Creutzenberg, bis zur Pensionierung Lehrer an der Friedrich-Harkort-Schule, kennt sie alle. Und er kennt auch das Material, das der WDR auszugsweise zu einzelnen der Herdecker Opfer gestellt hat – es stammt aus seinem Archiv.

Noch als aktiver Lehrer hat Creutzenberg mit seinen Schülern die Verlegung von fünf Stolpersteinen vorbereitet. Über 80.000 dieser Steine sind seit den Neunziger Jahren im Rahmen des Projekts von Künstler Gunter Demnig in ganz Europa zur Erinnerung an den Opfer des NS-Terrors verlegt worden. Demnig kam selbst, als im Zusammenwirken von FHS-Schülern und dem ehemaligen Lehrer Creutzenberg der sechste Herdecker Stolperstein verfugt wurde. Es war der vor dem Haus des hingerichteten Fahnenflüchtigen.

In vielen Fällen halten die Stolpersteine die Erinnerung an jüdische Opfer der Nazis fest. Sally, Paula und Heinz Grünewald wurden wegen ihrer Herkunft ermordet oder vertrieben. Seit einigen Jahren gibt es eine Tafel auf dem ehemaligen Jüdischen Friedhof an der Bahnhofstraße. Weitere Namen finden sich hier. Zu allen hat Willi Creutzenberg Informationen zusammen getragen.

Länger schon sind die Lebensgeschichten der Jüdischen Opfer aus Herdecke im Internet abrufbar. Der Heimatverein hat dem Jüdischen Friedhof eine Unterseite gewidmet und listet die Verschleppten und Ermordeten auf. 19 Namen sind es, von Erna Bastheim bis zu Johanna Samuel, so wie sie auf dem Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust aufgelistet sind.

Aber es gab auch noch andere Opfer wie den Sozialdemokraten Wilhelm Huck. Nach dem Attentat auf Adolf Hitler war der 66-Jährige festgenommen worden. Über ihn steht in einem Textfeld, das der WDR zu einem Fotos seines Stolpersteins gestellt hat: „Wilhelm Huck kehrt nie wieder zu seiner Familie zurück. Er stirbt im Konzentrationslager Sachsenhausen an Entkräftung und Unterernährung.“

Geschichten von Leid und Verfolgung

Opfer des Rassenwahns und der Euthanasieprogramme wurde Inge Streerath. Gut umsorgt wuchs sie im Haus ihrer Eltern in Herdecke auf. Wegen einer schwierigen Geburt war das Gehirn geschädigt. Von einem Heim in Niedermarsberg wurde sie ohne Wissen der Eltern nach Hadamar verlegt und in der dortigen Tötungsanstalt noch am Tag ihrer Ankunft mit Gas ermordet. Für die Opfer der Militärgerichtsbarkeit schließlich steht der 24-jährige Wilhelm Vormbaum, der seinen Eltern einen rührenden Abschiedsbrief über seine große Liebe in Frankreich hinterlassen hat: „Das Schicksal hat mich von Andrée getrennt, aber ich habe nicht aufgehört, sie zu lieben. Andrée ist mein größter Schatz, den ich auf dieser Welt habe.“

Geschichtsinteressierten allgemein, vor allem aber Schülern und Lehrern will der WDR mit seiner App Werkzeug an die Hand geben, Geschichte zu begreifen und vielleicht selbst mit zu erforschen. Der Herdecker Geschichtslehrer war frühzeitig in die Entstehung von App und Web-Auftritt einbezogen und ist mit dem Ergebnis im Grundsatz einverstanden. Noch nicht alles Material, das er geliefert habe, sei in das Großprojekt eingeflossen. Manchmal werden allgemeine Infotexte angeboten, wo es mehr zu den Personen geben könnte. Und Sally Grünewald ist als verfolgte Jüdin schlichtweg falsch eingeordnet: Auch wenn es den englischen Frauennamen Sally gibt, Sally Grünewald war ein Mann.

Hoffnung auf digitale Karte der Stadt

Auf einem Stadtplan in der App sind die Orte vermerkt, wo die Stolpersteine ins Herdecker Pflaster eingefügt sind. Bei den Grünewalds ist es drei Mal vor dem Haus Hauptstraße 72, in der weiteren Innenstadt erinnern Steine an Inge Streerath und Wilhelm Vormbaum, weit draußen in Ende liegt der Stolperstein für Wilhelm Huck. Auf den Kartenausschnitten für Touristen oder Kunden in der Stadt sind die Steine nicht vermerkt. Vielleicht würde das auch zu unübersichtlich, fürchtet Will Creutzenberg. Aber im digitalen Angebot der Stadt Herdecke kann sich der Geschichtslehrer eine Verortung im Kartenmaterial gut vorstellen, um über die schreckliche Vergangenheit zu stolpern.