Herdecke. . Schüler des Gymnasiums holen Künstler Gunter Demnig nach Herdecke. Erinnerung an „Fahnenflüchtigen“ Wilhelm Vormbaum hat jetzt einen Ort
Kleiner als ein halber Schuhkarton ist das Loch, das die Technischen Betriebe in den Gehweg an der Habigstraße gefräst haben. Dort, im Haus mit der Nummer 3, hat einst Wilhelm Vormbaum gewohnt. Am 4. Mai 1944 ist er in Marseille hingerichtet worden. So steht es auf dem Stein, den Gunter Demnig gleich einlassen wird. Ein „Stolperstein“, wie der Künstler seine Aktion genannt hat.
Während Demnig den Sitz noch einmal überprüft, spielt Jonas Kebsch am Straßenrand „Somewhere over the rainbow“. Während Demnig die Fugen mit Schnellestrich füllt, erinnert Kebschs Mitschüler Jan Schaf an den Verwaltungsobergefreiten Vormbaum, der 1943 unerlaubt seiner Einheit fern blieb und fast ein Jahr später wegen Fahnenflucht hingerichtet wurde. Während Demnig mit einem Handfeger die Inschrift sichtbar macht, stellt Hendrik Friese, ebenfalls Schüler, die Aktion des Künstlers vor: Da, wo Opfer des NS-Regimes ihren letzten frei gewählten Wohnort gehabt haben, soll ein „Stolperstein“ an sie erinnern.
Untergetaucht aus Angst vor Strafe
Vor zwei Jahren haben sich Jungen und Mädchen der Friedrich-Harkort-Schule mit dem Schicksal des Herdeckers beschäftigt, der bei der 6. Sicherungsflottille in Marseille stationiert war. Einmal von der Truppe fern geblieben, tauchte der 24-Jährige aus Angst vor Strafe unter und knüpfte Kontakte zum Widerstand. Ein ehemaliger Kamerad erkannte ihn, Vormbaum wurde verhaftet, vor ein Kriegsgericht gestellt und dann hingerichtet.
Es hat ein wenig gedauert, bis Gunter Demnig einen Platz frei hatte im Kalender. 69 000 Steine hat er gesetzt in gut 25 Jahren, darunter auch schon in Herdecke.
69 000 Steine der Erinnerung
69000 Stolpersteine hat Gunter Demnig seit 1992 gelegt.
Statt weniger seien es mit der Zeit mehr geworden, sagt er.
Für viele ermordete Juden gebe es keinen Grabstein, aber einen „Stolperstein“.
Auch Opfern der Wehrmacht und Behinderten wird gedacht.
Nachdem er nun Kelle und Besen zur Seite gelegt hat, wendet er sich den Schülern zu. „Das Verlegen könnte ich mittlerweile im Dunklen machen“, sagt er und sieht doch keine Routine. „Es sind immer wieder andere Schicksale, an die erinnert wird“, weiß Demnig. Gerade baut er eine allgemein zugängliche Datenbank mit all den Geschichten auf zu den Namen, die in die quadratischen Messingtafeln eingekerbt sind.
Wenn die Steine mit dem übrigen Pflaster oder wie in Herdecke mit dem Asphalt eine Oberfläche bilden, stehen sie keinem Fuß mehr im Weg. „Aber man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen“, habe bei einer anderen Aktion ein Schüler gesagt. Das Andenken an die Opfer der Nazis werde buchstäblich mit Füßen getreten, nennt Demnig als Haupteinwand gegen seine Aktion. Er hält dagegen: „Du musst, wenn Du das lesen willst, eine Verbeugung machen.“