Hagen. Der traditionsreiche Verein ist mit 260 Mitgliedern und Förderern stark aufgestellt. Ein Gespräch mit dem Vorstand über die aktuelle Lage.
„Wir haben auch schon Krach gehabt. Wir standen auch schon mal vor dem Zerbrechen. Aber Streit kann auch fruchtbar sein. Wir haben immer zusammengehalten und uns zusammengerauft. Die Gemeinschaft zählt. Deshalb bin ich auch 65 Jahre dabei.“
Der Mann, der das gesagt hat, starb am 21. Oktober 2023. Es war Richard Wanderer, bis dahin Alterspräsident der Heidefreunde aus Boelerheide. 65 Jahre lang war er bis dahin ein Heidefreund gewesen.
Während die Heizung im Heidetreff an der Overbergstraße an diesem Nachmittag zickt und alle Gesprächspartner die Jacken anlassen, ist es genau diese Klammer, die sich durch ein Gespräch mit Heidefreund-Vorstand Michael Werth und Schriftführer Christopher Paul zieht. 70 Jahre wird der Brauchtumsverein in diesem Jahr alt. Wo steht er heute?
Der Brief, mit dem alles begann
Der Brief ging damals an 300 Boelerheider. Josef Steinhoff, Josef Spenner, Fritz Düllmann und Heinz Jackstoff hatten ein Schriftstück unterschrieben, das so begann: „Wer weiß, wie tief die Traditionen der verschiedenen Karnevalsgesellschaften im Volke verwurzelt sind, weiß auch um ihre Verdienste, den Zusammenhalt unter dem Volk zu fördern. Dies nicht zuletzt auch in unserer Zeit, die nicht in allen Teilen dazu angetan ist, Brücken von Mensch zu Mensch zu schlagen.“
Aktuelles Credo: damals wie heute
Die Männer waren keine Hellseher, sondern gestandene, tief verwurzelte Boelerheider, so wie ihre Nachkommen, die den Namen dort heute noch tragen. Und doch haben sie damals etwas unter das Volk gebracht, das heute wichtiger denn je scheint. Der Brückenbau zwischen Menschen. Die vier Heidefreunde der ersten Stunde wollten Menschen zusammenbringen, das Miteinander fördern, den Heimatgedanken pflegen.
Eine völlig andere Zeit
70 Jahre später erzählen Michael Werth und Christopher Paul fast die gleiche Geschichte. Und darin liegt keine ermüdende Redundanz, sondern eine Kunst. Denn Steinhoff, Spenner, Düllmann und Jackstoff verschickten ihren Brief, mit dem sie die Gründung einer Karnevalsgesellschaft anregen wollten, in eine völlig analoge Gesellschaft. Es gab Festnetztelefone, Briefe, Tresen und Sportplätze. Es gab keinen Auflagen-Wust, keine überschuldeten Stadtkassen, keine Zuwanderungsherausforderungen, wenig Arbeitslosigkeit und keine gewaltige Schere zwischen Arm und Reich, sondern immer noch die Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre. Ohne das Werk der Herren zu schmälern: Ihr Brief fiel deutlich leichter auf fruchtbaren Boden, als er das heute tun würde.
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260 Mitglieder heute
Und deshalb ist die Zahl 260 möglicherweise so beachtlich. So viele Mitglieder und Förderer zählt der Brauchtumsverein nämlich heute. Ein Verein im Wandel, der über 100 Treffen und Veranstaltungen im Jahr stemmt, der immer noch das sein will, was er sich vor 70 Jahren vorgenommen hat. Motor, Heimatpfleger, Verbinder, Zusammenhalter.
„Wenn ich mich hier im Heidetreff umsehe, dann spüre ich das“, sagt Michael Werth (65) ziemlich stolz. Er führt den Verein seit 2006 und muss dabei eben nicht das Lied singen, das man vielerorts anstimmt: vom Niedergang, vom Altwerden, vom Dichtmachen. Vorstand, erweiterter Vorstand und Aktivenkreis, der den Vorstand unterstützt, sind durchsetzt von Menschen unter 50, unter 40, sogar unter 30. „Das haben wir hingekriegt“, sagt Michael Werth und zeigt auf Christopher Paul (28).
Verbindung der Generationen
Wie? „Dadurch, dass wir Verantwortung übertragen. Dadurch, dass die Jüngeren das Vereinsgeschehen wirklich mitbestimmen können“, sagt Michael Werth. Kann eine hohle Phrase sein, die Vereins-Präsidenten allerorts der Presse unter die Jacke jubeln. Aber sie sehen es ja, an den Stammtischabenden im Heidetreff. Wenn früher der Nachwuchs reinkam, dann spürte man auch mal die Grüppchenbildung, wie in vielen Clubs. Tenor: Verdient ihr euch erstmal eure Sporen, dann gehört ihr dazu.
Großes Glück mit der Anlage
Davon sind sie weg. Weit weg. „Das möchte ich echt betonen. Zusammenhalt heißt hier auch, dass die Generationen zusammenhalten. Wir lernen von den Älteren und sie hören auf unsere Vorschläge. Dass das hier so ist, ist der Grund, warum ich mich engagiere. Neben der Tatsache, dass das hier meine Heimat, mein Stadtteil ist“, sagt Christopher Paul.
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Die beiden sitzen vor einem Kunst-Fenster, das die Farben der Heidefreunde und ihren unverwechselbaren Stuken zeigt. 40 Jahre gibt es den Heidetreff auf dem Vereinsgelände in dieser Form nun. Seit etwas mehr als zehn Jahren ist das Clubheim im Besitz der Heidefreunde, die mit der gesamten Anlage großes Glück gehabt haben, als die Eigentümer und später die Stadt sie ihnen anbot.
So wuchs der Verein auch in der Fläche gut mit. Wagenbau, Osterfeuer, Zusammenkünfte – alles hier möglich. Das Sommerfest findet seit 2001 auf der Festfläche im Hameckepark statt. Bis dahin feierte man auf Steinhoffs Wiesen. Auch die Fläche im Park ist von der Stadt bereitgestellt, was die Wichtigkeit des Vereinslebens hier gut dokumentiert.
Heidetreff als letzter Treff im Ort
Wer sich mal durch den Jahreskalender der Heidefreunde klickt, findet eine Vielzahl karnevalistischer und brauchtumsgeprägter Termine. Aber auch zahlreiche Eintragungen, die schlicht den Namen „Treffen“ tragen. Denn der Heidetreff ist wahrlich der letzte Treff im Ort. Boelerheide hat sonst keine Kneipe, keinen Treffpunkt mehr. Der „Stuken“ in der Vereinsstraße ist zu. Das Vereinshaus hat keine normal besuchbare Pinte mehr. Das Heidestübchen an der Overbergstraße ist nur temporär geöffnet. Die Heidefreunde bilden das gesellschaftliche Zentrum.
Frauen mit Stimmrecht
Und als solches wollen sie sich transformieren. Der reine Männerclub wählt zur Wahrung der Interessen der im Verein aktiven Frauen bei der Jahreshauptversammlung zwei Vertreterinnen, die auf Vorschlag der Gemeinschaft der Frauen bestimmt werden – und Mitspracherecht haben. „Im Fokus steht für uns auch, dass wir uns um die Witwen verstorbener Mitglieder und Alleinstehende kümmern. Ohne die Hilfe unserer Frauen wäre der Verein gar nichts“, sagt Michael Werth.
Dem Hagener Norden treu
Die Heidefreunde steuern in ihrem 70. Jahr aktuell auf ihren großen Karnevalsabend in der Aula der Gesamtschule Helfe hin (Samstag, 8. Februar, 19.30 Uhr). Ein Kraftakt, jedes Jahr. „Wir sind hier nicht in Köln“, sagt Michael Werth. „Wir sind einfache Leute, die neben ihrem Alltag versuchen, so einen Prunkabend auf die Beine zu stellen. In den vergangenen Jahren haben wir dabei mit immer mehr Auflagen zu kämpfen gehabt. Damit sind wir nicht allein, das weiß ich. Und trotzdem macht es das alles nicht leichter.“
Verlassen können sich die Heidefreunde auf die Loßröcke aus Boele, die traditionell den Service beim großen Karnevalsabend übernehmen. „Umgekehrt tun wir dies auch seit vielen Jahren bei den Freunden aus Boele. So kann jeder seinen Abend genießen und sich auf den anderen verlassen. Wir sind eben dem Hagener Norden treu und nicht nur Boelerheide.“