Hagen. Der Hagener Rat will im Mai noch einmal den aktuellen Hebesatz von 1139 Prozentpunkten hinterfragen. Verwaltung soll Fakten liefern.

Der mit der Grundsteuerreform in Hagen neu etablierte Hebesatz von 1139 Prozentpunkten (vormals 750) kommt spätestens in der Mai-Sitzung des Rates noch einmal auf den Prüfstand. In einer Sondersitzung hat sich die Politik am Donnerstagabend einstimmig darauf verständigt, sich in den nächsten Wochen und Monaten für den Haupt- und Finanzausschuss sämtliche Fakten, Rahmenbedingungen und Effekte der zurzeit für reichlich Unmut sorgenden Bescheide anhand aktualisierter Daten aufarbeiten zu lassen, um die gefassten Beschlüsse und ihre Sinnhaftigkeit erneut zu durchleuchten.

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Bürger machen sich Luft

Zuvor hatten auf der dicht besetzten Zuschauertribüne des Ratssaals über 60 Minuten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger die Chance genutzt, ihrem Unmut Luft zu machen und den Mandatsträgern die Sorgen sowie die Betroffenheit der Hagener vor Augen zu führen. Angesichts der mangelhaften Informationspolitik des Rathauses in den vergangenen Wochen, die FDP-Ratsgruppensprecher Claus Thielmann gar als „PR-Chaos“ titulierte, hatte sich bei vielen Bürgern der Eindruck verfestigt, dass der neue Hebesatz das Ergebnis eines Würfelspiels und weniger eines fundierten Abwägungsprozesses war. Junge Familien, die gerade erst gebaut hätten, so die Rückmeldungen aus dem Auditorium, würden von der Grundsteuerkeule so heftig getroffen, dass sie bereits über den Notverkauf ihrer Immobilien nachdenken müssten. Andere Mieter befürchten, Wohngeld beantragen zu müssen, wenn sie die nächste Nebenkostenabrechnung ereilt.

M. Kleinrensing WP Hagen Ratssitzung
Thilo Krüger hat auf einem Plakat festgehalten, was viele Hagener bewegt: der Protest gegen die Grundsteuererhöhung. © WP | Michael Kleinrensing

Kämmerer Bernd Maßmann versuchte in einem halbstündigen Fachvortrag im Rechtfertigungsmodus der Wut der Menschen einen Faktenblock entgegenzustellen. Dabei referierte er zunächst über die Idee und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das vor allem bei Wohnimmobilien mehr Steuergerechtigkeit erzielen wollte. Zugleich erläuterte er noch einmal die Berechnungssystematik, für die vorzugsweise das Finanzamt verantwortlich zeichne, und er skizzierte chronologisch die in seinen Augen umfassende Information seitens der Verwaltung auf dem Weg der politischen Entscheidungsfindung.

Beschwerden beim Finanzamt

Ausdrücklich machte er deutlich, dass für die von den Finanzbehörden neu festgesetzten Messbeträge vorzugsweise Kriterien wie die Restnutzungsdauer von Objekten, die Grundstücksgrößen sowie der Kernsanierungsstatus herangezogen würden. Dadurch, so hätten Rückmeldungen der Hagener Wohnungsgesellschaften als Verwalter von Tausenden Mietwohnungen ergeben, würden die meisten Mieter sogar um etwa 15 bis 20 Prozent entlastet. Außerdem legte Maßmann den Hausbesitzern mit exorbitanten Steigerungsraten ans Herz, noch einmal exakt ihre gemachten Angaben zu ihren Immobilien sowie die Bescheide des Finanzamtes zu überprüfen und gegebenenfalls bei der Finanzbehörde den Messbetrag in Frage zu stellen. Die Hagener Kämmerei, bei der angesichts der 50.000 versandten Bescheide natürlich auch Hunderte Anfragen auflaufen, sei hier der falsche Ansprechpartner.

„Wir müssen uns eine fundierte Grundlage verschaffen, um die Grundsteuer und den Hebesatz im Mai noch einmal ergebnisoffen und mit den aktuellsten Daten zu hinterfragen.“

Claus Rudel
SPD-Fraktionschef

SPD-Fraktionschef Claus Rudel betonte als Initiator der Ratssondersitzung, dass es seiner Fraktion vor allem darum gehe, angesichts der Empörung in der Bürgerschaft das Thema zu objektivieren und zu relativieren: „Wir müssen uns eine fundierte Grundlage verschaffen, um die Grundsteuer und den Hebesatz im Mai noch einmal ergebnisoffen und mit den aktuellsten Daten zu hinterfragen.“ Zugleich empfahl er ebenfalls, Plausibilitätsprüfungen beim Finanzamt im persönlichen Gespräch vor Ort vorzunehmen. „Die Hagener Politik wird einen verantwortlichen Umgang mit dem Thema bis zum Sommer unter Beweis stellen.“

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Die Kämmerei macht deutlich, dass bei Problemen mit dem Messbetrag das Hagener Finanzamt der richtige Ansprechpartner ist. © WP | Michael Kleinrensing

Unverzichtbare Einnahme

Dass Hagen auf die jährliche Grundsteuereinnahme von 50 Millionen Euro in voller Höhe nicht verzichten könne, stellte CDU-Fraktionschef Jörg Klepper klar. Andernfalls könnten Infrastrukturangebote wie Schulen, Kitas und Straßen kaum mehr erhalten werden. Allerdings warnte er wie die Sprecher vieler anderen Fraktionen auch davor, dass die rechtliche Basis erhalten werden müsse, um kein Ausfallrisiko einzugehen. Grünen-Sprecher Jörg Fritzsche erinnerte zudem daran, dass die Stadt sich keineswegs bereichere, sondern lediglich die Verteilung der Belastung auf den Schultern der Bürger sich geändert habe. Während Gewerbetreibende mit ihren Immobilien deutlich profitieren, müssen vor allem die Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern deutlich tiefer in ihre Taschen greifen, so der sich abzeichnende Trend.

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Deutlichen Gegenwind erfuhren derweil Hagen Aktiv und AfD, die für eine Rückkehr zu einem Hebesatz von 750 Prozentpunkten und damit für einen Einnahmeausfall von 17 Millionen Euro plädierten, aber keinerlei seriösen Gegenfinanzierungsvorschläge präsentierten.

Nun liegt es an der Stadtverwaltung, weitere Fakten zu liefern, wie beispielsweise Städte mit differenzierten Hebesätzen und somit einer ausgewogeneren Belastung von Wirtschaft und Bürgern glauben, sich auf rechtssicherem Boden zu bewegen. Hier erwartet die Politik jetzt belastbare Auskünfte und fundierte juristische Einschätzungen, um eventuell das Hagener Beschlusspaket zur Grundsteuer noch einmal aufknöpfen zu können. Das letzte Wort soll dann der Rat in der Mai-Sitzung sprechen.