Hagen. Ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen sieht sich selbst als psychisch belastet. Woran liegt das? Und wie können Eltern ihnen helfen?
- Kinderpsychiaterin Hartisch beobachtet einen Zuwachs von Depressionen und Zwangsstörungen seit der Corona-Pandemie
- Finanzielle Engpässe im Umfeld, aber auch die Situation an den Schulen wirken sich unmittelbar auf die Kinder aus
- Die Therapeutin rät Eltern dazu, auch auf einen altersgerechten Medienkonsum der Kinder zu achten
Laut aktuellem Schülerbarometer der Robert Bosch-Stiftung zeigen sich bei etwa jedem fünften jungen Menschen (21 Prozent) psychische Auffälligkeiten. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche, deren Eltern oft finanzielle Sorgen haben (33 Prozent). Die Kinderpsychiaterin Dr. Martina Hartisch aus Hagen erklärt, wie sich das in ihrer Arbeit bemerkbar macht und was Eltern für die psychische Gesundheit ihrer Kinder tun können.
Frau Dr. Hartisch, ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen 8 und 17 Jahren in Deutschland sieht sich selbst als psychisch belastet - überrascht Sie das?
Nein, das deckt sich mit unseren Beobachtungen aus der Praxis. Seit Corona haben Depressionen und Zwangsstörungen unter Kindern und Jugendlichen zugenommen. Ängste spielen in ihrem Leben eine große Rolle, der Ausgleich für Belastungsfaktoren fehlt. Diese werden dann mitunter durch Zwangshandlungen oder Essstörungen kompensiert.
Welche Rolle spielt die finanzielle Situation des Umfelds für das psychische Wohlergehen der Kinder?
Kinder kriegen mehr mit als man denkt. Manche kommen hierher und sagen: „Vor dem Krieg war die Currywurst billiger.“ Wirtschaftliche Engpässe in der Umgebung wirken sich direkt auf sie aus, da sie von ihr noch sehr abhängig sind.
Ebenfalls 20 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen klagen über geringes schulisches Wohlbefinden - woran liegt das?
Der Personalmangel an Schulen führt häufig zu Notbetreuung. Kinder spüren, wenn Systeme an ihre Belastungsgrenze kommen - in der Familie, aber auch darüber hinaus. Wenn sie vom überlasteten Schulpersonal auf Dauer kaum persönliche Rückmeldung erhalten, bedrückt sie das.
Wie äußert sich die psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen?
Häufig beginnt es mit Schwierigkeiten in der Schule, bis hin zur Vermeidung, also dem Schwänzen. Schlafstörungen und psychosomatische Beschwerden wie Bauschmerzen sind ebenfalls typisch.
Wo setzen Sie in ihrer Arbeit an?
Wir arbeiten ressourcenorientiert und schauen gemeinsam mit den Eltern: Was sind die Belastungsfaktoren und Sorgen? Aber auch: Welche Faktoren und Strukturen bieten der Familie Sicherheit? Darauf kann man aufbauen.
Was können Eltern tun, um die psychische Gesundheit ihrer Kinder zu schützen?
Ein vernachlässigtes Thema ist der Informationsfluss. Eltern sollten wissen: Was macht mein Kind am Handy? Ein Achtjähriger, der sich den halben Tag Kriegsvideos anschaut und mit Putin beschäftigt - das ist weder altersgerecht noch gesund.
Sie suchen nach der passenden Unterstützung für Ihr Kind? Eine Orientierungshilfe bietet der Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V. unter diesem Link.