Fröndenberg/Menden. Über 40 Jahre war Alex drogenabhängig, jetzt ist er clean. In Fröndenberg gründet sich eine Selbsthilfegruppe der Narcotics Anonymous.
An den Beginn seiner Sucht erinnert sich Alex noch ganz genau. Damals, er war gerade 13 oder 14 Jahre alt, trank er jeden Tag zwei Bier – aus Angst vor den Schlägen seines Vaters. Es folgte eine jahrzehntelange Odyssee mit Drogen. Heute ist Alex 58 Jahre alt und seit eineinhalb Jahren clean. Dabei unterstützt ihn die neue Selbsthilfegruppe der Narcotics Anonymous in Fröndenberg.
Ende des vergangenen Jahres gründete ein Mendener, der anonym bleiben möchte, in Fröndenberg die Selbsthilfegruppe. Jeden Freitag treffen sich die Gruppenmitglieder unter dem Motto „Clean ins Wochenende“ im Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde Fröndenberg (Eulenstraße). Alex (vollständiger Name der Redaktion bekannt) besucht das Treffen regelmäßig – genau wie jede Woche auch weitere Treffen in umliegenden Städten. Denn durch ein Treffen der Narcotics Anonymous in einer anderen Stadt wurde Alex (58) drogenfrei.
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„Ich bin mein Leben lang drauf gewesen“, sagt Alex. Alkohol, Cannabis, Kokain, Heroin gehörten in wechselnden Variationen zu seinem Leben dazu: „Ich war mal vier Wochen clean, und dann ging’s wieder los.“
Die Drogen betäubten seine Angst – ursprünglich vor den Schlägen seines alkoholabhängigen Vaters, dann vor anderen Dingen, vor dem Leben. „Als Kind habe ich gemerkt, dass ich mit Bier keine Angst mehr vor meinem Vater hatte und vor seinen Schlägen. Das lernt man schnell.“ Mit Anfang 20 nahm er Heroin und Kokain, spürte: „Da hatte ich gar keine Angst mehr.“
Tiefe Krise, nachdem seine Familie zerbrach
Nach der Trennung von seiner einstigen Ehefrau, als seine Familie zerbrach, „bin ich in eine tiefe Krise gestürzt“, erinnert sich Alex: „Das ging nicht mit Alkohol weg, aber mit Heroin.“
Je länger er konsumierte, desto mehr spürte er irgendwann, dass die Drogen ihm nicht mehr gegen seine Ängste halfen: „Die Angst ging gar nicht mehr weg. Mit und ohne Drogen, es hat einfach nicht funktioniert. Das war eine ganz schlimme Zeit.“
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Berufstätig trotz der Abhängigkeit
In den meisten Jahren hat Alex trotz seiner Süchte gearbeitet: „Mit Alkohol und Cannabis konnte ich arbeiten“, sagt Alex. Wichtig sei, auf die Menge zu achten: „Kein Schnaps. Dafür acht Bier und fünf Tüten Cannabis. Dann hatte ich abends die Bettschwere und konnte trotzdem am nächsten Tag arbeiten.“ Er habe immer nur so viel konsumiert, „dass ich noch funktioniert habe“. Das sei eine Frage der Disziplin für ihn gewesen: „Ich habe meine Arbeit gut gemacht, auch wenn ich drauf war.“
Wie viel ihn seine Abhängigkeit finanziell gekostet hat, möchte Alex gar nicht so genau wissen. „Wenn der Lohn nicht ausreichte, hab‘ ich Kredite bekommen“, erzählt er. Das sei aufgrund seiner Berufstätigkeit leicht gewesen. Grob überschlagen hat er die Kosten für die Drogen in den vergangenen zwei Jahren, bevor er clean wurde: „Das waren mindestens 900 Euro für Drogen im Monat – plus Alkohol und Zigaretten.“
Immerzu kreisten seine Gedanken um die Frage, wie und woher er seinen Drogen-Nachschub bekommt: „Ich hatte meine Dealer“, erinnert er sich. „Ich konnte es mir nicht erlauben, einen Tag nichts zu bekommen.“ Denn dann hätte er „ein richtiges Problem“ gehabt: „Ich bin auch mal nach Düsseldorf gefahren, weil ich hier nichts bekommen habe. Und ich wäre im Extremfall auch bis München gefahren.“
Zwölf-Schritte-Programm wie die Anonymen Alkoholiker
Die Narcotics Anonymous haben das Programm der Anonymen Alkoholiker übernommen, erläutert Alex. Sie befolgen ebenfalls das Zwölf-Schritte-Programm, um die Sucht zu überwinden. „Ich habe da zum ersten Mal über meine Gefühle gesprochen“, sagt Alex. Vorher „habe ich immer gedacht, ich der bin einzige, der so fühlt“. Und – fast noch wichtiger für ihn – durch die Selbsthilfegruppe habe er ein Gefühl der Zugehörigkeit, des Verstandenwerdens, entwickelt. Nach mehrmonatigen stationären Therapien sei er in der Regel wieder alleine gewesen: „Dann bricht der Kontakt ab.“
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Eigentlich hat Alex (58) nicht mehr daran geglaubt, dass er nach mehr als 40 Jahren Abhängigkeit langfristig ohne Drogen leben könnte. Zu oft schon hatte er einen Entzug gemacht, auch zahllose Therapien lagen hinter ihm. Und immer wieder war er rückfällig geworden. Als er am Tiefpunkt seines Lebens angekommen war, besuchte er ein Treffen der Narcotics Anonymous.
Narcotics Anonymous
Das Treffen der Narcotics Anonymous in Fröndenberg findet an jedem Freitag von 19.30 bis 21 Uhr im Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde Fröndenberg (Eulenstraße 12) statt. In der jeweils letzten Woche des Monats sind auch Nichtsüchtige willkommen. Kontakt zu Alex unter Telefon 01792411229.
Nach einigen Wochen spürte er, „dass das so nicht mehr passte – die Selbsthilfegruppe besuchen und weiter Drogen nehmen“. Er entzog Bier und Cannabis und setzte sein Heroin-Substitutionsmittel selbst immer weiter runter. „Ich komme mir jetzt manchmal vor wie ein kleiner Junge, der Sachen neu lernt“, sagt Alex. „Ich lerne eine Gefühlswelt kennen, die ich nie hatte.“ Die Drogen betäubten einst seine Gefühle, „ich wollte nichts fühlen“.
Heute ist Alex ab und zu selbst ein kleines bisschen erstaunt, dass er es „geschafft“ hat: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal clean werde. Ich bin demütig geworden.“ Gleichzeitig möchte er die Botschaft der Narcotics Anonymous in die Welt tragen: „Ich möchte anderen Menschen mit meiner Geschichte helfen. Wenn ich es nach mehr als vier Jahrzehnten geschafft habe, können es andere auch schaffen.“ Und er weiß, dass die Gefahr eines Rückfalls immer lauert, würde nie überheblich sein.
Die Angst, sagt Alex, sei nach seinen Erfahrungen der Ursprung aller Süchte: „Wir sprechen offen über unsere Ängste. Und wir versuchen, mit der Angst umzugehen.“ Dazu gehört auch, Angst zuzugeben, mit dem unangenehmen Gefühl offen umzugehen – und angstbesetzte Situationen nicht mehr zu vermeiden. Und Alex weiß, „dass mich Drogen nicht weiterbringen. Was würde besser in meinem Leben, wenn ich wieder Heroin nehmen würde? Am ersten Tag wäre es vielleicht o.k., aber am zweiten viel, viel schlimmer.“ Das zu lernen, sei ein Prozess – einer, der im besten Fall ein Leben lang andauert. Und die größte Unterstützung für ihn seien die Treffen der Narcotic Anonymous: „Die Meetings sind meine Versicherung, mein Anker.“