Gevelsberg. Nicht sichtbar, aber real: Anja Oetzel und Britta Strunck aus Gevelsberg führen stillen Kampf gegen Post-Covid - und gegen Vorurteile.

Eigentlich hatten sie sich vorgenommen, gefasst zu bleiben. Als Anja Oetzel (48) und Britta Strunck (51) aber von ihrer jetzigen Situation erzählen, kommen ihnen doch die Tränen. Beide können seit Längerem nicht mehr arbeiten, der Kampf mit den Behörden raubt ihnen die letzte Kraft. Kraft, die sie eigentlich ohnehin nicht haben. Die Frauen leiden unter Post-Covid, sind seit ihrer Corona-Erkrankung nicht wieder richtig gesund geworden. Anja Oetzel erkrankte im Frühjahr 2020, Britta Strunck im November desselben Jahres. Seitdem steht ihre Welt Kopf.

Dass sie damit nicht alleine sind, merken sie bei der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (Kiss) in Gevelsberg. Hier finden regelmäßig Gruppentreffen mit anderen Betroffenen statt. Nach einigen Startschwierigkeiten erfährt das Angebot mittlerweile einigen Zulauf. 15 Mitglieder nutzen es aktuell, um sich untereinander auszutauschen, sich gegenseitig zuzusprechen. Darunter sind keineswegs nur ältere Fälle, solche aus der Pandemiezeit. Auch relativ frisch Erkrankte finden hier eine Anlaufstelle. Und auch Menschen, die unter dem Post-Vac-Syndrom leiden, also langanhaltenden Beschwerden infolge einer Corona-Impfung.

Wenn Oetzel und Strunck über ihre Erfahrungen sprechen, tun sie das stellvertretend für alle Betroffenen, die die Gruppentreffen der Kiss besuchen. Und diese Erfahrungen sind - um es vorsichtig zu sagen - ernüchternd. Immer noch. Mehr als ein Jahr seit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Pandemie Anfang April 2023 für beendet erklärte.

Seit Jahren arbeitsunfähig

Es fühlt sich an, als hätte die ganze Welt vergessen, dass es diese Krankheit immer noch gibt, beschreiben Oetzel und Strunck, wie sie sich fühlen. „Corona ist ja vorbei“, sagt Oetzel zynisch und sagt klipp und klar: „Es ist viel zu still um dieses Thema.“ Regelmäßige und heftige Kopfschmerzen, sich ständig schlapp und ausgelaugt fühlen, sogar kognitive Probleme - das sind ihre täglichen Begleiter. „Man gerät täglich an seine Grenzen, man steht jeden Morgen mit nur 30 Prozent Akku auf“, erklärt Britta Strunck. „Nur dass die 30 Prozent unsere 100 Prozent sind“, fügt Anja Oetzel hinzu.

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Britta Strunck hat bis zu ihrer Erkrankung in der Gastronomie gearbeitet, im eigenen Restaurant. „Ich bin früher durchs Leben gerannt, 24/7“, sagt Strunck. Dann infizierte sie sich mit dem Coronavirus. Auch nach Wochen fühlte sie sich noch schlecht. „Ich musste feststellen, dass ich die Arbeit, die ich 16 Jahre lang gemacht habe, nicht mehr machen kann“, beschreibt die 51-Jährige diesen Tiefpunkt. Seit Mitte 2021 ist sie ununterbrochen arbeitsunfähig geschrieben. Anja Oetzel ist eigentlich Versicherungskauffrau. Auch sie ist bis heute arbeitsunfähig, wie sie sagt.

„Du bist doch einfach nur faul“, habe sie schon einmal gehört, erinnert sich Anja Oetzel. Nicht alle Menschen in ihrem Umfeld hätten Verständnis für ihren Zustand. „Man sieht es einem nicht an, die Leute können sich das nicht vorstellen“, weiß auch Strunck. „Diese Krankheit ist vielfach unsichtbar.“ Dabei wollten sie ja arbeiten, sagt Oetzel. „Wir wollen alle unseren Jobs nachgehen, aber vor allem unserem Alltag.“

Medizin tappt im Dunkeln

Was sie emotional zusätzlich belastet: Dass es keine Aussicht auf Besserung zu geben scheint. Zumindest nicht nach derzeitigem Stand. Beide Frauen waren bereits in der Reha. Britta Strunck besuchte recht früh eine sogenannte Post-Covid-Ambulanz. „Die hatten aber immer Aufnahmestopp“, sagt sie. Ärzte wirkten auf sie ratlos. „Man hatte das Gefühl, denen fehlt selbst die Erfahrung damit“, so Strunck.

Und auch heute: „Egal bei welchem Facharzt Sie sind, es ist alles ein Ausprobieren“, schildert Anja Oetzel ihren Eindruck. Britta Strunck versucht sich auf allen möglichen Kanälen über Post-Covid und neue Therapien zu informieren. „Der O-Ton ist aber immer, dass es den Durchbruch noch nicht gibt“, zeigt sie sich resigniert.

Mittlerweile kämpfen beide Frauen mit der Angst vor dem sozialen Abstieg. Kann ich nächsten Monat noch meine Miete zahlen? Eine Frage, die Britta Strunck sich schon gestellt hat. „Über die Monate könnte man ja auch schon unter einer Brücke wohnen“, dreht sie das Gedankenkarussell weiter. „Das belastet sehr.“

Hoffnung auf Verständnis

In der Kiss können sie über all das reden. Die Post-Covid-Gruppe trifft sich dort an jedem dritten Freitag im Monat in der Kölner Straße 25 in Gevelsberg, ab 16 Uhr und für etwa eineinhalb Stunden. Zumindest, wenn es genügend Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut genug geht für ein Treffen. Ansonsten schreiben sie in einer gemeinsamen Whatsappgruppe miteinander. Mit Menschen, die sie verstehen. Weil sie es selbst kennen.

In der Hoffnung, dass ihnen vielleicht doch irgendwann jemand helfen kann. Oder dass sie wenigstens gesehen und verstanden werden. Denn eines ist Anja Oetzel und Britta Strunck besonders wichtig - und das bringt Strunck in etwa so auf den Punkt: „Betroffene sollten ernst genommen werden. Es ist wichtig, dass man ihnen glaubt.“

Wer selbst von Post-Covid betroffen ist und sich mit anderen Betroffenen austauschen möchte, kann sich gerne bei der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (Kiss) in Gevelsberg melden: 02332/664029, E-Mail: kiss-ensued@en-kreis.de

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