Gevelsberg. Das jüngste Hochwasser ist nicht das erste, das Gevelsberg so stark getroffen hat. Eine kleine Zeitreise in das Jahr 1960.

Im Zuge der Berichterstattung über das Unwetter, die starken Regenfälle und die Überflutungen, die Teile von Deutschland und darunter auch Gevelsberg vor knapp zwei Wochen getroffen haben, ist schon mal von einem Jahrhundertereignis die Rede. Das ist ein Wetterereignis, das – vereinfacht gesagt – im statistischen Durchschnitt nur einmal im Jahrhundert vorkommt.

Eine Bezeichnung, die für den bisherigen Teil des Jahrhunderts vielleicht zutreffen mag. Allein in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts musste Gevelsberg aber schon zweimal die Erfahrung mit starkem Hochwasser machen.

Starkregen kurz vor Nikolaus

Unsere bald 80-jährige Leserin Marlene Krefting erinnert sich noch gut an das Jahr 1960. Damals war sie 19 Jahre alt. „Ich habe in der Buchhaltung der Versicherungsagentur Potthoff und Refflinghaus an der Wittener Straße gearbeitet“, blickt sie im Gespräch mit der Redaktion zurück.

Das Büro habe direkt neben der heutigen Commerzbank gelegen. Kurz vor Nikolaus habe es dann ein Hochwasser gegeben, das auch Gevelsberg getroffen habe. „Das war vom Ausmaß her durchaus mit unserem jetzigen Hochwasser vergleichbar“, sagt Krefting.

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Detlef Raufelder, der Gevelsberger Stadtarchivar im Ruhestand, hat die entsprechenden Dokumente dazu schnell zur Hand. So titelte die Gevelsberger Zeitung in ihrer Ausgabe vom 6. Dezember zwar „Es hätte schlimmer kommen können“. Wer den Artikel über die Ereignisse am 4. Dezember liest, merkt aber, dass es auch damals zu erheblichen Schäden gekommen ist.

Firmen und Familien betroffen

So ist zu erfahren, dass einzelne Betriebe und Familien vor bald 61 Jahren stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das Hochwasser damals fiel auf einen Sonntag. „Mit den in Mitleidenschaft gezogenen Firmen an der Ennepe konnte man nicht telefonieren“, ist zu lesen. „Ebenfalls waren die Leitungen nach Rüggeberg gestört.“

Die Gevelsberger Zeitung berichtete auch damals über Probleme mit dem Versicherungsschutz nach dem Hochwasser.
Die Gevelsberger Zeitung berichtete auch damals über Probleme mit dem Versicherungsschutz nach dem Hochwasser. © Detlef Raufelder | Stadt Gevelsberg

Allerdings hätten sich die Abschaffung der Freileitungen und die Verlegung der Kabel in die Erde gelohnt. „Bei Freileitungen hätte der orkanartige Sturm, der zeitweise mit einer Geschwindigkeit von 100 km in der Stunde daherbrauste, wahrscheinlich größeren Schaden angerichtet“, heißt es weiter in der Gevelsberger Zeitung. Die Rede ist von weit über 100 Millimetern Niederschlag am Samstag und Sonntag.

Der Abschnitt der Talbahnstrecke zwischen Hagen und Harkorten habe gesperrt werden müssen. Später hätten Triebwagen auch zwischen Vogelsang und Haufe nicht fahren können, so dass der gesamte Schienenverkehr auf der Talbahn habe stillgelegt werden müssen.

Teils erhebliche Schäden

„Erheblich sind die Hochwasserschäden im Kruiner Gußstahlwerk“, steht es außerdem im Artikel. „Die Betriebsräume, vor allem Gießerei und Formerei, sind mit Schlamm überflutet.“ Maschinen und Motoren seien stark in Mitleidenschaft gezogen worden, der Schlamm habe mit Lastwagen abgefahren werden müssen.

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Bei der Firma W. Krefft A.G. kam es nicht zum Produktionsausfall. „Der Regen hat gerade rechtzeitig aufgehört“, hatte der damalige Direktor Körner gesagt. An der Mühlenstraße sei die Feuerwehr einen Tag nach dem Hochwasser noch damit beschäftigt gewesen, das Wasser aus den Kellern zu pumpen.

Fest stehe, dass fast alle Betriebe und Wohnhäuser an der Ennepe etwas abgekommen hätten. „Sehr groß dürfte auch der Schaden bei der Firma Hühn am Vogelsang sein, deren Betriebsräume völlig unter Wasser standen und wo man sich nur unter großen Schwierigkeiten Zugang verschaffen konnte“, schrieb die Gevelsberger Zeitung.

Kein Versicherungsschutz

Aber, so schrieb es die Gevelsberger Zeitung auch: „Es hätte schlimmer kommen können, vor allem wenn der Regen am Sonntag gegen 21 Uhr nicht aufgehört hätte. Es wäre dann der Schaden in der Gesamtheit wahrscheinlich nicht zu übersehen gewesen.“

Kritisch wurde es auch schon damals beim Thema Versicherung. „Tragisch, daß alle Geschädigten für den angerichteten Schaden selbst aufkommen müssen. Eine Versicherung für derartige Wasserschäden gibt es nicht“, steht es in einem anderen Artikel vom 6. Dezember 1960.

Einblicke in Schulchronik

Stadtarchivar im Ruhestand Detlef Raufelder hat außer den Artikeln der Gevelsberger Zeitung auch einen Bericht aus der Schulchronik der Gemeinschaftsschule Vogelsang aufgetan, der sich ebenfalls mit dem Hochwasser vom 4. Dezember 1960 beschäftigt. „In der Zeit von mittags bis zum Einbruch der Dunkelheit war das Hochwasser so weit gestiegen, daß beide Schulhöfe und der gesamte Keller unter Wasser standen“, heißt es darin. „Als Reaktion auf dieses Hochwasser wurde hinter der Schule und der angrenzenden Firma Hühn ein Hochwasserschutzdamm gebaut“, sagt Raufelder. Sein Vater war damals Hausmeister an der Schule.

Da wird auch klar, wie unliebsam die Aufgabe gewesen sein muss, die Marlene Krefting damals zu Teil wurde. Sie habe den Vertretern der betroffenen Firmen nämlich erklären müssen, dass sie gegen die Hochwasserschäden nicht versichert sind.

„Alle möglichen Firmen haben bei uns angerufen, Dieckerhoff Guss, Stockey und Schmitz, das Kruiner Gußstahlwerk“, weiß Marlene Krefting noch. Da die Versicherungsvertreter wegen des Hochwassers unterwegs waren, sei sie als Buchhalterin die einzige gewesen, die ans Telefon habe gehen können. „Die Firmen hatten damals die FBU, die Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung“, erklärt Krefting. „Die hat aber nicht bei Wasserschäden gegriffen, das gab es damals ja noch nicht.“

Weiteres Hochwasser 1925

Einige der Anrufer seien zwar verständig gewesen. „Es gab aber auch welche, die dann ausfällig wurden“, erinnert sich die Ur-Gevelsbergerin. In den 60er Jahren sei die Industrie gerade im Aufschwung gewesen, daher sei das Hochwasser besonders tragisch für die Unternehmen gewesen.

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Auch die Privatleute seien dagegen nicht versichert gewesen. „Das Stichwort hieß damals ,Höhere Gewalt’, damit waren alle Schäden erledigt“, sagt Krefting.

Die Gevelsberger Zeitung nahm in ihrer damaligen Berichterstattung auch Bezug auf ein noch schlimmeres Hochwasser, dass die Stadt am 30. Dezember 1925 getroffen hatte. Das letzte Hochwasser davor wütete in Gevelsberg 1890. Als kurios sahen es die Berichterstatter damals, dass die Ereignisse 1890, 1925 und 1960 jeweils 35 Jahre auseinander lagen.