Ennepetal/Gevelsberg/Wetter. Vier Stunden verbringt Stefan Scherer für den Corona-Booster im Ennepe-Ruhr-Kreis in der Kälte. Immer mehr Erstimpfungen.

Ich muss nicht lange überlegen, ob ich eine Auffrischungsimpfung gegen Corona haben möchte, als klar ist, dass sich jeder boostern lassen kann, der seinen zweiten Piks vor mindestens einem halben Jahr bekommen hat. Denn: Impfen find’ ich gut. Der Weg dorthin allerdings ist gepflastert von nicht so schlauen Entscheidungen, fast abgefrorenen Zehen und der Frage, ob der Typ hinter mir mit dem Satz „Alter, ich bin grad Impfbus weil wegen Chef“ schonungslos offenbart, warum wir die Pandemie bislang nicht in den Griff bekommen. Ein Impfspiel im Ennepe-Ruhr-Kreis in drei Akten.

1. Akt: Die Suche

Im Nachhinein betrachtet bin ich oft schlauer und würde Dinge anders machen. Zum Beispiel wäre ich am Montagabend nicht wieder auf dem Parkplatz des Impfezentrums in Ennepetal umgedreht, weil mir die Warteschlange zu lang erschien. „Klar“, dachte ich, „nach Feierabend ist es hier eben voll.“ Wie man sich täuschen kann. Denn auch, wenn niemand mein Gesicht gesehen hat, als ich am Dienstag um 14 Uhr erneut auf den Impfzentrumsparkplatz rollte, bin ich doch sicher, dass ich ausgesprochen dumm aus der Wäsche geblickt habe im Angesicht der Warteschlange, die locker doppelt so lang war wie am Vortag. Das Wendemanöver beherrsche ich noch vom Abend zuvor, und ab geht es nach Gevelsberg. Dort steht der Impfbus vor der Volkshochschule bis 15 Uhr. Und vor dem Impfbus eine Schlange, die verspricht: Wenn hier um 15 Uhr Ende ist, ist das Ende der Schlange noch lange nicht erreicht. Zumindest gehe ich davon aus, als ich den Plan für den vierten Booster-Anlauf fasse.

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Am Mittwoch steht der Impfbus am Bahnhof in Wetter, geimpft wird im Rathausgebäude. 9 Uhr soll es losgehen, ich will um halb neun da sein, rechne bei so viel vorbildlichem Vorlauf mit einer Spitzenposition unter den Wartenden.

2. Akt: Das Warten

„Bist Du sicher, dass Du warm genug angezogen bist?“, höre ich, bevor ich das Haus verlasse. „Klar, heute ist es nicht so kalt. Ich war ja schon mit dem Hund“, antworte ich und habe keine Ahnung, wie sehr ich daneben liege. Die Zeiger stehen auf 8.47 Uhr, als ich mich einreihe. Andere waren wohl schon früher da. Sehr viele andere. Denn bis zum Impfbus muss ich zweimal abbiegen. Gut, das kann dauern. Zum Glück stellte ich ja fest, dass es nicht so kalt ist. Während dessen beginnt die Atemluft unter der FFP2-Maske zu kondensieren. Die Stimmung in der Warteschlange indes ist super. Die Leute lachen, scherzen. Noch.

9.42 Uhr: Ich habe die erste Abbiegung noch nicht genommen, schreibe den Kollegen besser mal, dass es etwas später werden könnte, bis ich am Schreibtisch sitze. Ich drehe mich um. Irgendwie beruhigt mich der Blick auf die vielen Menschen, die noch nach mir gekommen sind. Wir kriechen um den ersten Abzweig. Ist das etwa der Wochenmarkt mit einer Kaffee-Bude ganz vorn? Ich wickel den Schal enger. Geht dieser Reißverschluss an der Jacke echt nicht noch ein bisschen höher?

Diesen Anblick genießt Stefan Scherer vier Stunden lang, als er mit der Warteschlange zum Impfbus durch die Stadt Wetter kriecht.
Diesen Anblick genießt Stefan Scherer vier Stunden lang, als er mit der Warteschlange zum Impfbus durch die Stadt Wetter kriecht. © WP / Stefan Scherer | Stefan Scherer

10.29 Uhr: Einige Warteplätze hinter mir sind junge Männer Anfang 20, die meisten tragen Arbeitssachen mit Firmenlogos darauf. Sie erzählen darüber, dass sie bald bei ihren Eltern ausziehen wollen. Einer geht an sein Handy. Mit den Worten „Alter, ich bin grad Impfbus weil wegen Chef“ begrüßt er wen auch immer am anderen Ende der Leitung. Pause. Er fährt fort. „Nee, echt hätt’ ich nicht gemacht. Aber wegen Arbeit muss ich impfen.“ Er ist nicht der Einzige, der sich an diesem Vormittag so oder so ähnlich äußert. Generell ist das Durchschnittsalter meiner Mitwartenden deutlich jünger, als ich erwartet hatte. Diese Beobachtung korreliert durchaus mit den Mitteilungen aus dem Schwelmer Kreishaus, von wo aus das Impfen im Ennepe-Ruhr-Kreis und seinen neun Städten organisiert wird.

In den ersten sieben Tagen seit dem Neustart des Impfzentrums wurden in Ennepetal 4001 Menschen geimpft. Im Schnitt also 571 pro Tag. Die meisten – 3.258 – steuerten den Standort an der Kölner Straße für ihre Drittimpfung an. 493 ließen sich erstmals gegen Corona schützen, 249 zum zweiten Mal. „Bei den Erstimpfungen ist der Trend seit Tag zwei eindeutig, er geht nach oben. Aus 32 Erstimpflingen am vergangenen Donnerstag waren am Sonntag bereits 78 geworden, am Dienstag war ihre Zahl mit 119 erstmals dreistellig“, teilt Pressesprecher Ingo Niemann mit.

11.53 Uhr: Die Kälte kriecht durch die Sohlen und Socken in meine Füße, die Beine hoch. Ich spüre meine Zehen nicht mehr. Hat sich Reinhold Messner so am Nanga Parbat gefühlt? Auch vor und hinter mir trippeln die Leute von einem Bein auf das andere. Ich hatte mir – wie viele andere – einen Kaffee geholt. Der wärmte kurzzeitig die Hände. Der Herr vor mir hatte seine beiden ersten Impfungen mit Astrazeneca, die Frau vor ihm mit Johnson und Johnson, ich bekam beide Schüsse mit Biontech. Heute bekommen wir alle drei Moderna. Kreuzimpfungen gelten als besonders wirksam, da passt es ja, dass gerade vor allem Moderna im Angebot ist.

3. Akt: Der Piks

Impftrilogie 2021. Durchgefroren aber mit Covid-Schutz geht es für Stefan Scherer wieder nach Hause.
Impftrilogie 2021. Durchgefroren aber mit Covid-Schutz geht es für Stefan Scherer wieder nach Hause. © WP / Stefan Scherer | Stefan Scherer

Der nette Mann vom Roten Kreuz sagt um 12.43 Uhr den erlösenden Satz: „Jetzt bitte die nächsten Vier.“ Zähneklappernd zähle ich durch. Ich bin Nummer drei und darf nach vier Stunden ins Warme. Hier – und das ist keine Schleimerei sondern völlig ernst gemeint – ist nicht nur die Raumtemperatur freundlich. Egal ob beim Papierkram, bei der Beratung oder beim Impfen an sich; die Männer und Frauen des DRK sind herausragend nett – auch wenn der Impfbus natürlich bei dem Andrang extremer Stress für sie bedeutet. Ich fühle mich bestens an jeder der vier Stationen aufgehoben. Mit einem Lächeln drückt ein junger DRK-Mann sogar noch auf den Auslöser meiner Kamera, als Marco Körner mir den Impfstoff in den Oberarm drückt. Noch einmal Papierkram und dann war es das auch schon.

Auch ein paar Stunden später spüre ich keinerlei negative Reaktionen meines Körpers. Das war nach der ersten Impfung genauso. Lediglich nach Impfung zwei fühlte ich mich schwer verkatert, obwohl ich vollkommen nüchtern war. Ich glaube ohnehin, dass die vier Stunden in der Kälte mir mehr zugesetzt haben, als die Moderna-Dröhnung. Ich bin bereits jetzt gespannt, ob und wann sich der Vorhang für den vierten Stich hebt. Wenn ich einen Wunsch im Namen aller Wartenden dazu äußern dürfte, dann diesen: Bitte startet die Impfkampagne dazu dann im Sommer.