Dortmund. Die Dortmunder Ratsfrau Antje Joest hat die FDP verlassen, weil sie sich von Männern übergangen fühlte. Ein Interview über Bodyshaming, Quotenregelung und Eitelkeiten.

Frauen in der Politik: Dass das nicht immer einfach ist, hat auch Antje Joest erfahren müssen. 2020 war sie für die FDP in den Dortmunder Stadtrat gewählt worden. Doch auf der Kandidatenliste für die kommende Kommunalwahl fehlt die 55-Jährige. Die Liberalen haben die vorderen vier Plätze an Männer vergeben. Joest fühlte sich übergangen und zog die Konsequenzen. Sie trat aus der Partei aus und schloss sich stattdessen der Pro-Europa-Partei Volt an. Ihr Ratsmandat nahm sie dorthin mit. Inzwischen ist es ihr gelungen, eine neue Fraktion zu gründen. Zusammen mit Christian Gebel (ehemals Piraten) und Emre Gülec („Bündnis für Vielfalt und Toleranz“) bildet sie die Fraktion „Volt und Vielfalt“. Beim Eröffnungstreffen der Kampagne „She for Democracy“ haben wir mit der Hörderin über die Probleme von Frauen in der Politik gesprochen.

Wie ist es, als Frau Politik zu machen?

Nicht immer leicht. Was man da an Kommentaren im Netz zu lesen bekommt, ist manchmal ganz schön haarig. Vor allem in der Corona-Zeit war es schlimm, das ging zum Teil ziemlich unter die Gürtellinie. Wobei ich sagen muss, dass ich persönlich größtenteils verschont worden bin, ich blockiere sofort jeden, der hetzt.

Ich dachte eigentlich mehr an die Querelen innerhalb der Partei.

Ja klar, die gibt es auch. Und ich muss zugeben, sie haben mich in den vergangenen Jahren viele Nerven gekostet. In den letzten Monaten ging es für mich wirklich ans Eingemachte. Aber da muss man wohl eine gewisse Resilienz entwickeln – ich bin noch dabei, das zu lernen.

Kick-Off-Veranstaltung für Frauen „Dein Weg in die Dortmunder Lokalpolitik“
Über 100 Frauen waren zur Kick-Off-Veranstaltung „Dein Weg in die Dortmunder Lokalpolitik“ am Freitag (17.1.) ins Rathaus gekommen. Auch Antje Joest (vorne rechts) nahm daran teil. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Braucht man als Frau in der Öffentlichkeit denn ein dickeres Fell?

Ja unbedingt. Als Frau ist man im besonderem Maße Bodyshaming ausgesetzt, wenn man zum Beispiel einmal an Ricarda Lang denkt. Und als Frau bekommt man schnell einen Stempel aufgedrückt: Männer gelten als durchsetzungsstark, Frauen als krawallig. Männer als lautstark, Frauen als hysterisch. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Das ist nicht immer leicht zu ertragen.

Ist das ein Problem der FDP?

Nein, das ist ein Problem in allen Parteien und Bereichen, die von Männern dominiert werden. Da hat man es schwer als Frau. Denn wenn du in der Minderheit bist, brauchst du jemanden, der dir die Mehrheiten besorgt. Und darin sind Männer oft besser, die gehen abends zusammen ein Bier trinken und verbünden sich. Meins ist das nicht, ich bin keine Strippenzieherin.

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Gibt’s das Problem bei Volt nicht auch?

Nein, denn wenn alle Positionen so wie bei Volt 50:50 mit Männern und Frauen besetzt werden, entstehen die Streitereien ja gar nicht erst. Wobei ich sagen muss: Die Frauen in der FDP waren tatsächlich die größten Gegnerinnen der Quote. Sie haben einfach nicht verstanden, dass es so für sie nicht vorangeht.

Sie meinen also, mit Ihrem Engagement für die Partei hat die Entscheidung für die männlichen Kommunalwahl-Kandidaten gar nichts zu tun?

Nein, und das ist es, was mich am meisten an der Sache stört: Die wussten genau, dass ich als wichtigste Frau in der Dortmunder FDP auf die Liste gehöre. Dass ich, im Gegensatz zu zwei anderen Kandidaten auf der Liste, komplett in Dortmund verankert bin, mit Job und Haus. Dass ich am sichtbarsten vernetzt war, am meisten Stimmen geholt habe. Aber die Männer haben sich zusammengesetzt und abgekaspert, wer es wird. So einfach ist das. Ihr Fehler war nur: Sie haben mir nicht zugetraut, dass ich die Konsequenzen daraus ziehe. Sie haben mir vermutlich auch nicht zugetraut, dass ich eine Fraktion gründe.

Was glauben Sie: Warum ticken Männer so?

Keine Ahnung. Narzissmus, Machthunger und Eitelkeit gehören sicher dazu. Und davon kann ich mich selbst ja auch gar nicht freisprechen: Ich sehe mein Bild auch gerne auf einem Wahlplakat. Dazu kommt bei mir aber auch, dass Kommunalpolitik mir unglaublich Spaß macht, weil man so viel Neues lernt. Nur will ich mir morgens im Spiegel immer noch ins Gesicht schauen können. Nach dem, was manche in der Politik abziehen, könnte ich das nicht.

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Da klingt immer noch viel Wut durch.

Ja klar, Wut, Trotz, Trauer – ich habe alle Emotionen durchlaufen. Ich bin traurig, dass ich meine Leute bei den Liberalen verloren habe, mit denen ich seit 2017 zusammengearbeitet habe. Ich vermisse die Kollegen, obwohl Volt wirklich alles dafür tut, dass ich mich wohlfühle. Es ist ein gutes Gefühl, jetzt meine Tatkraft da einzubringen, wo es einfach mehr wertgeschätzt wird. Volt ist eine tolle Gemeinschaft, so viel Unterstützung habe ich bislang von Parteikollegen noch nie erfahren.

Und inhaltlich, was ist ja jetzt anders?

(lacht) Ich kann jetzt endlich mit meiner Fraktion für den Gleichstellungsausschuss stimmen.  

Was können Sie den jungen Frauen hier in der Diskussionsrunde mitgeben?

Es lohnt sich. Ich habe im Stadtrat unglaublich viel gelernt – wie Entscheidungen fallen, wie man Politik macht. Auch von meinem früheren Parteikollegen Michael Kauch. Und das meine ich gar nicht ironisch.

Und kann man auch etwas bewegen?

Das auch. Aber Demokratie ist vor allem ein zähes Ringen um Kleinigkeiten.

Künftig ringen Sie bei Volt darum. Was wünschen Sie sich fürs nächste Jahr?

Dass Volt bei der Kommunalwahl die Fraktionsstärke schafft – und zwar aus eigener Kraft.  

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