Ruhrgebiet. Am Donnerstag beginnen viele Weihnachtsmärkte im Ruhrgebiet. Nach dem Anschlag von Solingen sorgen sich Menschen um die Sicherheit. Zurecht?
Am Donnerstag starten in zahlreichen Städten in NRW und im Ruhrgebiet die Weihnachtsmärkte. In Essen, Duisburg, am Centro in Oberhausen laufen sie schon seit Samstag. Insgesamt sind es bald fast 340 in NRW und mehr als 60 allein im Ruhrgebiet. „Friedliche Grundstimmung“ wünschen sich die Veranstalter. Wie sicher aber ist der Budenzauber? Die Messer-Attentate auf den Stadtfesten von Solingen und Siegen haben die Terrorgefahr auch auf Jahrmärkten erneut in den Blickpunkt gerückt, Schausteller fühlen sich seit Jahren „immer unter Spannung“. Sind Sicherheitsvorkehrungen überhaupt noch steigerbar?
Es ist bloß Werbung für die eigene Branche, aber ein Securitydienst preist in diesen Tagen seine Mitarbeiter so an: „Für Großveranstaltungen wie die in nahezu jedem Ort stattfindenden Weihnachtsmärkte muss man bei der Planung die wachsenden Terrorgefahren berücksichtigen.“ Diese seien „sehr real“, das bestätigt auch ein Sprecher des NRW-Innenministeriums: „Veranstaltungen anlässlich des Weihnachtsfestes stellen ... aufgrund ihrer Symbolik für christliche Werte ein ideologisch geeignetes Ziel für islamistisch motivierte Täter dar.“ Der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) sieht die Lage nüchtern; Security gehöre „seit Jahren zu den Weihnachtsmärkten wie Lichterketten und Maronenstände“.
Berlin Breitscheidplatz, das war 2016 der Anfang. Seit dort ein Terrorist mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt fuhr und zwölf Menschen tötete, schützen Städte ihre adventlichen Märkte mit Pollern, Wassersäcken, Betonblöcken. Das soll helfen gegen Kraftwagen als Waffe, auch acht Jahre später noch: Einfahrsperren gibt es auch diesmal in Dortmund, Essen, Duisburg, Bochum; die meisten Städte im Ruhrgebiet haben dafür viel Geld ausgegeben. „Die Poller“, sagt Michael Mertens, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), „hatten Sinn, haben Sinn und werden Sinn haben.“
Polizei: „Terror hat uns mit Solingen getroffen“
Sie werden also bleiben. Aber sie helfen nicht mehr gegen die neue Art des Terrors: gegen die Einzeltäter, wie sie im vergangenen Jahr zur Weihnachtszeit den Kölner Dom und einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen bedrohten, wie sie in diesem wahllos Menschen auf Stadtfesten und Marktplätzen töteten und verletzten – mit einem Messer. Keine Autosperre wird einen solchen Attentäter aufhalten, der zu Fuß kommt, eine Waffe in der Tasche. Aus der „abstrakten Bedrohung“, auch vom NRW-Innenministerium oft bemüht, „ist eine konkrete Bedrohung geworden“, sagt Polizeigewerkschafter Mertens. „Der Terror ist da. Und er hat uns mit Solingen getroffen.“
Solingen war auch der Auslöser für NRWs Innenminister Herbert Reul, die Sicherheitsmaßnahmen noch ein weiteres Mal zu verschärfen. Zwar sei es „nicht möglich, derartige Gewalttaten gänzlich zu verhindern“, schrieb Reul Anfang September an die Polizei im ganzen Land und bezog sich auch allgemein auf „die generell steigende Anzahl von Gewaltdelikten unter Nutzung des Tatmittels Messer“. Weitere extremistische Anschlagsplanungen seien zu befürchten, heißt es in einem Erlass des Ministers: Die Polizeipräsenz bei und im Umfeld öffentlicher Veranstaltungen wie Volksfesten müsse deutlich erhöht werden, „Personen- und Taschenkontrollen auf Waffen oder andere gefährliche Gegenstände“ werden ausdrücklich genehmigt. Es sei, so Reul, „an der Zeit, staatliche Entschlossenheit und Stärke zu zeigen“ und damit „potenzielle Attentäter von ihrem Vorhaben abzubringen“.
Eine Floskel? „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“
Was die Städte selbst dagegen tun und wie sie ihre Sicherheitsvorkehrungen noch weiter verstärken wollen, dazu halten sich Veranstalter, Kommunen, auch die örtlichen Polizeien lieber geschlossen. Man sei im Gespräch, heißt es, bewährte Konzepte würden „auf nötige Anpassungen und Aktualisierungen überprüft“, gegebenenfalls nachgebessert. Der Schutz vor Unfällen, Notfällen „oder sonstigen Gefahrenlagen“, betont die Stadt Bochum, habe oberste Priorität. Oberhausen verspricht, am Centro besonders auf die Sicherheit zu achten, Details gibt es „aus taktischen Gründen“ nicht. „Aktuelle Entwicklungen weltweit“, heißt es von der Dortmunder Polizei, wie der Nahost-Konflikt würden „berücksichtigt“. Mehr verraten möchte fast niemand, „wir wollen den Idioten ja nicht zeigen, was wir machen“, sagt ein Sprecher aus dem Ruhrgebiet. Aber immer wieder fällt dieser Satz, den die Kommunikationsabteilungen selbst längst „eine Floskel“ nennen: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“
Auf dem Bochumer Weihnachtsmarkt stehen über 100 Absperrungen, in Dortmund werden Zufahrtsstraßen gesperrt, Duisburg setzt auf Poller, Essen verweist auf private Sicherheitsdienste und überhaupt darauf, dass man alle Auflagen erfülle. In Dortmund werden die Schausteller kurz vor der Eröffnung der „Weihnachtsstadt“ nochmals geschult, an vielen Buden wird das Sicherheitspersonal aufgestockt. Schausteller-Chef Patrick Arens sagt zwar: „Wir können aus unserem Leben keine Festung machen“, er rechnet aber mit noch stärkerer Polizeipräsenz als zuletzt. Dabei steckt in einem der Marktstände schon seit Jahren eine mobile Wache.
„Jeder Weihnachtsmarkt wird noch mehr geprüft, die Polizei ist immer mitten drin“
Dass vor allem die Anwesenheit von Polizisten in diesem Jahr noch relevanter und ergo intensiver sein wird, erwartet die GdP. Aber geht das noch? Nicht erst seit der Fußball-EM, sagt Landeschef Mertens, „dreht die Zahl der Überstunden im roten Bereich“. Sie abzubauen, „dieser Zahn ist uns gezogen worden“. Auch durch Solingen. Nun werde „jedes Volksfest, jede Kirmes und jetzt auch jeder Weihnachtsmarkt noch mehr geprüft, und die Polizei ist immer mitten drin“. Durch sichtbare und auch verdeckte Anwesenheit, natürlich werde man auch das wieder stemmen, Personaldecke hin oder her: „Die Menschen sollen ja nicht darunter leiden.“
Davon, Weihnachtsmärkte einzuzäunen und Besucher nur an einzelnen Eingängen zu kontrollieren, halten vor allem die Schausteller selbst nicht viel. Nicht nur wegen der schlechten Erfahrungen bei der Loveparade von Duisburg 2010, wo im Gedränge 21 Menschen ihr Leben verloren. Weihnachtsmärkte „einzubunkern“, sagt Albert Ritter, Essener Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, „wäre unser Untergang“. Das Volksfest an sich lebe von seiner Offenheit. Die Buden würden ja schon aufgebaut, soll man etwa ganze Einkaufsmeilen sperren?
Private Sicherheitsdienste hätten gern eingezäunte Märkte
Privaten Sicherheitsdiensten indes, die von Veranstaltern mehr und mehr eingesetzt werden, wäre eine geschlossene Fläche lieb. Ein Weihnachtsmarkt mit nur zwei Eingängen sei durch Taschenkontrollen ganz anders zu schützen, sagt eine Sprecherin des Branchenverbandes. Einfacher, denn „die Situation ist nicht zu vergleichen mit einem offenen Weihnachtsmarkt mit 100 Zugängen“.
Eine weitere Idee, von Schaustellern seit langem gefordert, wird in diesem Herbst erstmals umgesetzt: Das Innenministerium hat zehn Videobeobachtungsanlagen angeschafft, unter anderem auf den Kirmessen von Soest (Allerheiligen) und Münster (Herbst-Send) bereits eingesetzt. Gewerkschafter Mertens hält den Einsatz moderner Videowagen für ein „sehr sinnvolles und wirkungsvolles Instrument“, die Marktbeschicker indes sind nicht vollends überzeugt: Anträge bei der zuständigen Polizeibehörde LZPD müssen mit einer akuten Gefahrenlage gut begründet werden; dass der eigene Weihnachtsmarkt besonders gefährdet sei, werde aber niemand öffentlich sagen wollen, fürchtet Schausteller-Chef Albert Ritter. „Wir wollen nicht, dass unsere Veranstaltungen als kriminelle Hotspots eingestuft werden.“
Zehn Videoanlagen für das ganze Land klingen außerdem nicht viel. „Sollte es mehr Nachfragen als verfügbare Geräte geben“, heißt es von der zuständigen Polizeibehörde LZPD, „wird aufgrund einer einsatzfachlichen Bewertung eine sachgerechte und transparente Priorisierung vorgenommen.“ Bislang sehen allerdings auch die Kreispolizeibehörden selbst offenbar keinen Bedarf: Für den Einsatz der Videobeobachtung auf Weihnachtsmärkten in NRW liegen keine Anträge vor.
Und selbst wenn, müssten Polizeibeamte zuvor intensiv geschult werden. Darauf pochen auch die Sicherheitsdienste. Für den Einsatz auf Weihnachtsmärkten seien Ausbildung und Zuverlässigkeitsprüfung notwendig, sagt eine Sprecherin des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft. Ohnehin gebe es in der Öffentlichkeit „ein falsches Bild, von dem, was wir sichern können“: Früher sei man gegen Diebstähle und Vandalismus engagiert worden; „Terrorangriffe zu unterbinden, dafür sind wir weder ausgebildet noch zuständig“. Man könne die Weihnachtsmärkte „nicht gegen alles schützen“.
Für noch mehr Security war Solingen „zu spät“
Veranstalter von Weihnachtsmärkten, die derzeit versuchen, die Security kurzfristig zu verstärken, sind überdies offenbar zu spät dran: Personal für einen begrenzten Zeitraum weniger Wochen zu finden, noch dazu draußen bei übler Witterung, sei ohnehin schwierig. Wer da nicht schon im Sommer disponiert hat, hat nicht mehr nachsteuern können, warnt die Verbandssprecherin: „Solingen war zu spät.“
An die Menschen, die Solingen aber im Kopf haben, wenn sie überlegen, einen Weihnachtsmarkt zu besuchen, appelliert Innenminister Reul: „Gehen Sie auf die Weihnachtsmärkte, genießen Sie die Adventszeit, treffen Sie Freunde und Familie.“ Es sei nicht hinnehmbar, dass die Menschen in unserem Land aus Angst vor Gewalttaten auf die Teilnahme an Volksfesten verzichten“. Man dürfe Terroristen diese Macht nicht geben. „Ziel dieser Leute ist es, Angst zu verbreiten, Sorgen zu schüren und das, was uns lieb und teuer ist, kaputtzumachen.“
„Zu 99,9 Prozent ist auf den Weihnachtsmärkten alles sicher“
Die Polizei sorge für die Sicherheit, verspricht Reul. „Zu 99,9 Prozent“, rechnet auch Albert Ritter in Essen aus, „ist auf den Weihnachtsmärkten alles sicher.“ Aber auch der Präsident der deutschen Schausteller weiß, dass man „leider eine andere weltpolitische Lage“ habe. Dennoch hat Ritter diesen Weihnachtswunsch: „Alle Menschen müssen unbeschadet kommen und auch wieder gehen.“
Die für die Sicherheit zuständig sind, wollen es versuchen, machen sich aber auch keine Illusionen: „Kein Konzept dieser Welt“, ahnt Polizeigewerkschafter Mertens, „schließt alle Möglichkeiten aus.“ Und der Innenminister weiß es ja auch: „Absolut sicher kann es nirgendwo sein.“