Ruhrgebiet. Sind die neuen Hells-Angels-Charter in NRW „Nachfolger“ der Bandidos und damit verboten? Dazu gibt es nun eine offizielle Einschätzung.

Diese Nachricht dürfte Rocker freuen: Die neuen Ortsvereine der Rockerbande Hells Angels werden vom Innenministerium nicht als Nachfolgeorganisation der verbotenen Bandidos eingestuft. Sie dürfen erstmal ganz offiziell weiterexistieren. Der Hintergrund: Die Bandidos sind 2021 in NRW als kriminell eingestuft und komplett verboten worden. Nun, drei Jahre später, sind nach Informationen des Innenministeriums 150 offiziell „heimatlose“ Bandido-Rocker zu den konkurrierenden Hells Angels übergelaufen. Dadurch sind 22 neue „Charter“ der Hells Angels entstanden, die meisten im Ruhrgebiet.

Damit stellt sich die Frage, ob es sich rechtlich gesehen bei den neuen Gruppen um Nachfolgeorganisationen handelt. Falls ja, wären sie automatisch ebenfalls verboten. Wer eine Nachfolgeorganisation gründet und Kennzeichen verbotener Organisationen nutzt, macht sich strafbar. „Vereinsverbote sind Ausdruck unserer wehrhaften Demokratie“, heißt es dazu beim Bundesinnenministerium, das die Bandidos seinerzeit verboten hatte – genau wie zuvor die Rockergruppen „Satudarah Maluku MC“ (2015) und „Osmanen Germania BC“ (2017) sowie später „United Tribuns“ (2022). Doch allzu „wehrhaft“ scheint das rechtliche Instrumentarium nicht zu sein.

Nur ein „Klon“ wäre verboten

Das Landesinnenministerium, das sich nun mit den neuen Ortsgruppen der Hells Angels beschäftigen muss, kommt jedenfalls zu dieser Einschätzung: „Der Übertritt vieler ehemaliger Bandido-Mitglieder zu den Hells Angels führt nicht automatisch dazu, dass es sich bei den lokalen Hells-Angels-Chartern um eine Nachfolgeorganisation handelt. Eine solche liegt nur dann vor“, erklärt ein Sprecher, „wenn die neue Vereinigung ein identischer ,Klon‘ der verbotenen Vereinigung ist, insbesondere hinsichtlich der Mitglieder und der verfolgten Ziele.“

Doch in diesem Fall mischen sich die Rocker einmal komplett durch. Etwa zwei Drittel der im Jahr 2021 aktiven Bandidos werden nun Hells Angels, schließen sich bestehenden, ehemals verfeindeten Chartern an oder gründen neue Ortsgruppen. Ein verbotenes Dortmunder Bandidos-Chapter „Metropol“ wird so zu einem Hells-Angels-Charter „Steel Side Dortmund City“. Allerdings scheinen sich in die neue Gruppe einige „Alt-Hells-Angels“ zu mischen, jedenfalls wird sie nicht einfach als „Klon“ eingestuft. Was die verbliebenen Bandidos treiben, ist nicht bekannt. Die Ermittler konnten jedenfalls bis zum Massenüberlauf Ende September keine Nachfolgeorganisationen der Bandidos feststellen.

Die Juristen kennen noch „Ersatzorganisationen“, welche die verfassungswidrigen Bestrebungen eines verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen. Und wenn eine bereits bestehende Struktur dazu genutzt wird, spricht man von einer „Fortführungsorganisation“, erklärt das Landesinnenministerium. Beides müsste „in Abhängigkeit von der Vereinsstruktur der neu gebildeten Organisation gesondert behördlich festgestellt werden.“

„Aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen“

Allerdings unterscheiden sich „die in NRW tätigen Hells-Angels-Charter hinsichtlich ihrer Struktur und Organisation so stark von den verbotenen Organisationen der Bandidos, dass ein Feststellungsbescheid, der die Wirkung des „Bandido-Verbots“ auf die Hells Angels Charter erweitern würde, aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist.“

Fazit des Landesinnenministeriums: „Der einzige Weg, Hells-Angels-Charter zu verbieten, sind daher neue Vereinsverbote.“

Mit anderen Worten: Die Rocker haben „den Rechtsstaat ausgetrickst“. Mit ihrer Vereinsstruktur. So hat es Michael Ahlsdorf schon vor der Einschätzung des Ministeriums vermutet. Der ehemalige Chefredakteur des Rocker-Magazins „Bikers News“ und Buchautor („Auf heißem Stuhl im Rockerkrieg“) hält Vereinsverbote für „lächerlich“. „Damit drängen sie die Mitglieder und Clubs nur in den Untergrund.“ So ist der Hamburger Ableger der Hells Angels schon seit 1983 verboten. „Aber gehen Sie nur auf eine Biker-Veranstaltung“, sagt Ahlsdorf, „dann sehen Sie, wer da ist.“

Rocker-Experte Michael Ahlsdorf war Chefredakteur des Magazins Bikers News und hat ein Buch darüber verfasst: „Auf heißem Stuhl im Rockerkrieg“.

„Es kann immer alles passieren. Aber die beiden Gruppen sind schon so viele Jahre miteinander im Dialog. Übertritte gab es schon öfters und diese geschehen nicht überraschend. Heute telefoniert man viel, bevor man eine Ortsgruppe übernimmt und verhandelt das.“

Michael Ahlsdorf

„Den Bandidos wurde auch ihre Organisationsstruktur nach Regionen zum Verhängnis“, erklärt Ahlsdorf. DIese hatten einen dachverband gegründet. Zum 2021 verbotenen „Bandidos MC Federation West Central“ gehörten zuletzt 28 „Chapter“ genannte Ortsvereine mit 740 Mitgliedern (in drei Bundesländern“. Das machte es den Behörden leicht, den Gesamtverband und alle NRW-Ortsgruppen zu verbieten. „Wie weit man sich aufgliedert“, sagt Ahlsdorf, „ist also auch eine Frage des Taktierens.“

Die Hells Angels haben Erfahrung mit Verboten

Die Hells Angels verzichten auf Dachorganisationen, auch aus ihrer langen Erfahrung mit Verboten einzelner lokaler Gruppen heraus. Neben Berlin und Frankfurt zum Beispiel kamen in jüngerer Zeit in NRW Düsseldorf, Bonn und Erkrath (MC Concrete City) hinzu. Doch der Weg zum Verbot ist mühsam: Ermittler müssen die mutmaßlichen kriminellen Aktivitäten jeder einzelnen Ortsgruppe durchleuchten, müssen nachweisen, dass Einzeltaten krimineller Rocker mit dem Zweck ihrer Vereinigung zu tun haben. Dann folgt der Weg durch die Instanzen.

So ist es einzuordnen, wenn das Landesinnenministerium erklärt: „Die Entwicklungen werden durch die Sicherheitsbehörden genau beobachtet und bei Bedarf unverzüglich gehandelt.“