Dortmund. Der Tunnel Ardeystraße bietet ideale Brutbedingungen für Dortmunds Stadttauben. Aber jetzt müssen die Tiere weg – und die Taubenhilfe rückt an.

„Wenn ich durch den Tunnel fahre, bekomme ich Herzrasen und schweißnasse Hände. Das tut körperlich weh!“ Kathrin Birr schüttelt‘s fast bei dem Gedanken. Aber was setzt der Dortmunderin im B1-Tunnel Ardeystraße so zu? Enge, Dunkelheit oder Klaustrophobie sind es definitiv nicht. Auch die aktuelle Baustelle macht ihr keine Probleme. Es sind die Tauben. Die Vögel, die sie und ihre Mitstreiterinnen von der Taubenhilfe Dortmund/Lünen so lieben.

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Für Tauben ist der 220 Meter lange Tunnel, der gerade saniert wird, ideal: Über die komplette Länge brüten sie auf einer Kabelschiene aus Metall. Dutzende Nester reihen sich wie eine Perlenschnur aneinander. Dort oben haben die Tiere perfekte Bedingungen. Die Rinne ist genau nestbreit, komplett eingefasst und hängt direkt unter der Tunneldecke. Dort ist es sicher. Niemand stört, Fressfeinde kommen kaum ran.

Lorena Ratzke tastet die Kabelschiene im Tunnel Ardeystraße nach Taubeneiern  ab.
Lorena Ratzke tastet die Kabelschiene im Tunnel Ardeystraße nach Taubeneiern ab. © FUNKE Medien NRW | Katrin Figge

Tunnel Ardeystraße: Perfekte Bedingungen für Taubennester

Trotzdem: Hin und wieder fällt ein Küken auf den schmalen Notfall-Gehstreifen am Rand der Fahrbahn. Jetzt gerade ist das kein Drama. Der Tunnel wird komplett saniert, die Röhre stadtauswärts ist gesperrt. Aber vorher, sagt Birr, sei sie manchmal an einem hilflosen Küken vorbeigefahren, habe gedreht und dann auf der Nothaltebucht vorm Tunnel gehalten. Ja, illegal. Aber moralisch habe sie keine Wahl gehabt: „Die saßen da wie ein Häufchen Elend und kamen alleine nicht weg. Direkt neben der Straße. Die musste ich doch retten!“ Um nicht angefahren zu werden (der gepflasterte Randstreifen ist gerade einen halben Meter breit) griff die Taubenretterin tief in die Trickkiste: „Ich habe ganz frech ein Auto angehalten und gebeten, vor dem Tunnel die Straße zu blockieren. Das haben die auch gemacht, so überrumpelt wie sie waren.“

Jetzt rückt das Tiefbauamt auch der Kabelschiene stadtauswärts zuleibe. Die Gegenrichtung ist längst fertig. Und die Tauben? Die müssen weg. „Wir wussten ja, dass das kommt“, erklärt Lorena Ratzke von der Taubenhilfe Dortmund/Lünen. Einen kurzen Schockmoment gab es dennoch: „Das Tiefbauamt hat angerufen und gesagt, wir hätten zwei Tage Zeit, um die Küken aus dem Tunnel zu holen. Wie sollen wir in zwei Tagen Pflegestellen für 16 Taubenküken finden?“ Zum Glück habe die Stadt das Problem schnell geklärt. Es war ein Versehen. Jetzt haben Lorena Ratzke und die anderen Taubenretter drei Wochen Zeit, sich um die Tiere zu kümmern.

Zu weit entwickelt? Die Dortmunder Taubenretterinnen checken jedes Ei. Falls es frisch genug ist, wird es gegen eine Gips-Attrappe ausgetauscht.
Zu weit entwickelt? Die Dortmunder Taubenretterinnen checken jedes Ei. Falls es frisch genug ist, wird es gegen eine Gips-Attrappe ausgetauscht. © FUNKE Medien NRW | Katrin Figge

Zu viele Küken – Bis Baustellen-Start möglichst viele Eier tauschen

Die Idee: Bis zum Beginn der Bauarbeiten sollen alle Küken flügge sein, damit sie gar nicht erst in die Pflegestelle müssen. Flügge werden Tauben spätestens nach 30 Tagen. Heißt: Es dürfen keine frischen Eier mehr dazukommen. Deshalb kontrolliert die Taubenhilfe alle paar Tage sämtliche Nester entlang der 220 Meter auf neue Gelege. Sind die Eier ganz frisch, werden sie durch Gipseier ersetzt. Darauf brüten die Tauben dann weiter. Sind die Eier schon zu alt (also das Embryo zu weit entwickelt) legen die Taubenretterinnen es zurück ins Nest. „Die Eier einfach wegzuwerfen wäre mies. Das können wir nicht machen“, meint Lorena Ratzke voller Überzeugung.

20 Eier hat die Taubenhilfe bei der letzten Tunnelbegegung ausgetauscht. Davor waren es 14 Eier.
20 Eier hat die Taubenhilfe bei der letzten Tunnelbegegung ausgetauscht. Davor waren es 14 Eier. © Lorena Ratzke/Taubenhilfe Dortmund-Lünen

Am vergangenen Donnerstag haben die Taubenretterinnen Lorena Ratzke, Penelope Petzold und Kathrin Birr 20 Eier ausgetauscht. Am Samstag davor waren es 14 Eier. Und das allein an zwei Tagen. Wie viele Taubenküken daraus bis zum Tag X geschlüpft wären ist schwer zu sagen. Aber so sind es auf jeden Fall erheblich weniger Jungtiere, die in einer Pflegestelle unterkommen müssen. „Wir sind jetzt schon am Limit“, klagt Ratzke. Täglich kommen 10 bis 15 Notfall-Anrufe bei der Taubenhilfe an. „Die können wir gar nicht alle aufnehmen, auch wenn‘s uns das Herz bricht.“ Aber dafür reichen die ein Dutzend Pflegestellen des kleinen Vereins einfach nicht aus.

„Die Tiere erwartet wirklich Elend“

„Die Tiere erwartet wirklich Elend. Daran mag ich gar nicht denken“, meint Kathrin Birr. Also machen die Taubenretterinnen weiter. Tauschen Eier aus, nehmen verletzte Tiere mit, füttern (mit Sondererlaubnis) etwas zu – und lindern so ein wenig das Leid der bei vielen so verhassten Vögel.

Kathrin Birr von den „Ruhrpottmöwen“ mit Penelope Petzold und Lorena Ratzke von der Taubenhilfe Dortmund/Lünen im B1-Tunnel Ardeystraße.
Kathrin Birr von den „Ruhrpottmöwen“ mit Penelope Petzold und Lorena Ratzke von der Taubenhilfe Dortmund/Lünen im B1-Tunnel Ardeystraße. © FUNKE Medien NRW | Katrin Figge

INFO: Seit Ende 2023 wird der Tunnel Ardeystraße, also die Unterführung der B1 an der Westfalenhalle, komplett saniert. Beton, Beleuchtung und Straßenbelag werden erneuert. Die zweispurige Röhre Richtung Innenstadt ist seit Juni fertig – jetzt wird die Röhre stadtauswärts saniert. Anfang 2025 soll alles fertig sein.