Dortmund. Das Aus der Partei „Die Rechte“ hat Dortmunds Naziszene wichtiger Strukturen beraubt. Gewalttaten werden dadurch wieder wahrscheinlicher, sagt ein Experte.

„Die organisierte rechte Szene in Dortmund ist zerschlagen“ – mit diesen Worten kommentierte die Polizei im April den neuen Verfassungsschutzbericht. Es handele sich nur noch um einzelne, nicht organisierte Rechtsextremisten; Straftaten gingen demnach seit 2015 um 64 Prozent zurück. Geht von Dortmunds Naziszene keine Gefahr mehr aus?

Lukas Schneider von der Beratungsstelle U-Turn vermutet genau das Gegenteil. Gerade durch das Aus der Partei „Die Rechte“ Anfang 2024 sei die Szene schwieriger auszurechnen: „In Phasen, in denen sich Nazis in Parteistrukturen bewegen, sind sie sehr sichtbar und es ist relativ ruhig“, sagt der Experte. Dagegen komme es in Phasen ohne solche Strukturen häufiger zu Straftaten.

Nazis in Dortmund: Rechtsextreme suchten bei Corona-Protesten neue Anhänger

Gewaltexzesse, so Schneider, seien in der Vergangenheit meist durch Organisationen verübt worden, die heute verboten sind. An Stelle dieser Organisationen habe sich die Szene vermehrt um „Die Rechte“ herum formiert: „Das führte dazu, dass man ein gewisses Bild repräsentierte: legalistischer, inhaltlich konsistenter.“ Gleichzeitig habe der seriöse parteipolitische Anstrich die Szene für junge Menschen weniger attraktiv gemacht.

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Seit sich der Landesverband von „Die Rechte“ aufgelöst hat, wechselten zwar einige Anhänger zur Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD). Die wird ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachtet und ist auch im Dortmunder Stadtrat vertreten. Dennoch finde man nun eher eine „subkulturelle Gemengelage“ vor, beobachtet Lukas Schneider – Radikale mit unterschiedlichem Hintergrund schlössen sich zusammen: „Es gab zum Beispiel bereits Bündnisse von Personen aus einem eher migrantischen Milieu und Personen aus der Naziszene.“

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So drohe Gewalt durch Menschen, die vorher mit der rechten Szene kaum Berührung hatten. „Es geht dabei um verbindende Elemente wie Antisemitismus, Homophobie, Antifeminismus“, erklärt Schneider diese Vermischung. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen hätten das befördert – eine Einschätzung, die der Verfassungsschutz teilt. Auch in Dortmund waren Nazis im Umfeld von Demonstrationen anzutreffen.

Dortmunder Nazi-Influencer Steven Feldmann: „Er könnte jeder Jugendliche sein“

Örtlichen Schwerpunkten wie dem sogenannten „Nazi-Kiez“ in Dorstfeld misst Lukas Schneider weniger Bedeutung zu als früher: „Gerade in der Corona-Pandemie haben sich viele Leute in ganz unterschiedlichen Stadtteilen ideologisch angenähert, ohne dass es in Dorstfeld von Parteikadern gesteuert wurde.“

Der sogenannte „Nazi-Kiez“ an der Emscher- und Thusneldastraße in Dortmund-Dorstfeld.
Der sogenannte „Nazi-Kiez“ an der Emscher- und Thusneldastraße in Dortmund-Dorstfeld. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Wichtiger Akteur der Rechten in Dortmund ist heute der untergetauchte Nazi-Influencer Steven Feldmann. Der wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht namentlich genannt; um ihn habe sich „eine lose organisierte Szene“ entwickelt. Feldmann, gegen den ein europaweiter Haftbefehl vorliegt, erreicht über soziale Netzwerke wie TikTok insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene – einzelne Videos werden über 100.000 Mal aufgerufen. Aber warum?

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Steven Feldmann ist ein unspektakulärer Typ, „total durchschnittlich, ohne besondere Skills“, sagt Schneider. „Aber er ist ein Prototyp vieler junger Leute aus den Dortmunder Vororten, die sozial abgehängt sind. Feldmann könnte jeder Jugendliche in Marten oder Eving sein, und hat auf einmal so eine Strahlkraft und Reichweite.“ So erreiche und beeindrucke er auch Menschen, die sonst eher nicht im Umfeld der Naziszene anzutreffen wären.

Nazis profitieren vom gesellschaftlichen Klima: „Leute fühlen sich ermächtigt“

Schließlich, so Schneider, könne auch das gesamtgesellschaftliche Klima bei Einzelpersonen neue Gewaltbereitschaft erzeugen: „Leute fühlen sich ermächtigt gegen Bevölkerungsgruppen vorzugehen, die zum Beispiel von der AfD zum Abschuss freigegeben wurden.“

Zwar distanzieren sich Neonazis von der AfD und lehnen diese als bürgerlich ab. Lukas Schneider glaubt jedoch: „Die Partei schafft ein Klima, in dem man vor sich selber rechtfertigen kann, im Sinne eines vermeintlichen Common Sense zu agieren – selbst wenn man gewalttätig ist und Straftaten begeht.“

U-Turn ist eine Beratungsstelle mit Sitz in Dortmund. Das Team unterstützt Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit oder in ihrem sozialen Umfeld mit rechtsextremen Personen konfrontiert sind. Hilfe gibt es auch für Jugendliche, die die rechtsextreme Szene verlassen möchten. Mehr Informationen: www.u-turn-do.de