Ruhrgebiet. Heike K. aus Dortmund, Josef M. aus Bergkamen, Günter K. aus Mülheim: Wie es nach mehr als 30 Jahren gelang, ihre Mörder zu fassen.
Sie hatten die Fingerabdrücke. Sie hatten auch Genmaterial des Täters. Und dennoch: Jahrzehntelang konnten Ermittler diese Spuren niemandem zuordnen. Wer hat 1991 den Mülheimer Friseur Günter K. umgebracht? Das glaubt die Polizei Essen 33 Jahre später zu wissen: Im April meldete die neue Ermittlungsgruppe Cold Cases einen Treffer, den ersten seit ihrer Gründung vor gut einem halben Jahr. Ein Deutsch-Pole soll für den Tod des damals 63-Jährigen verantwortlich sein. Der heute 62-Jährige war in Polen mal bei einem Pkw-Aufbruch aufgefallen.
Am Abend des 19. Januar 1991 geht Günter K. feiern, gegen halb sechs morgens verabschiedet er sich vor seiner Wohnung in der Mülheimer Innenstadt von einem Freund. Später an jenem Samstag melden Angestellte seines Salons den Chef als vermisst. Die Polizei findet den 63-Jährigen zuhause, der Vater einer Tochter wurde erdrosselt. Die Ermittler gehen schon damals von einem Raubmord aus, es fehlen Goldmünzen und teure Uhren. Sie sichern Spuren, einen Treffer in einer Datenbank landen sie nicht.
Bis jetzt: Im Kriminalkommissariat 11 haben sie sich 56 ungelöster Fälle wieder angenommen, zusammen mit drei schon pensionierten Beamten, den sogenannten „Rentner-Cops“. Detlef Büttner, 62, ist dabei, einst Chef der Mordkommission in Essen, der drei Jahre nach seinem Ausscheiden vom Spurensuchen nicht lassen mag. Weil er bei den Cold Cases „von Alltagszwängen befreit“ ist, keine Schicht- und Nachtarbeit mehr leisten muss und, das sagt Büttner mit einem Augenzwinkern: „So brauche ich keine Krimis zu gucken.“
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Und diesmal hilft neue Kriminaltechnik – und dass der Austausch über Landesgrenzen sich verbessert hat. Der Verdächtige lebte, offenbar „unter geordneten Verhältnissen“, in Mülheim. Die Polizei durchsucht seine Wohnung, der nicht vorbestrafte Mann kommt in U-Haft. Der Vorwurf: Mord aus Habgier. „Der war sich im Klaren darüber, warum wir da sind“, sagt Dustin Wisnewski, Chef der Essener Ermittlungsgruppe. Derzeit wird unter Hochdruck weiter ermittelt und der Beschuldigte vernommen.
Die Ehefrau des Opfers, von der K. getrennt lebte, ist bereits verstorben. Die Nachricht der Festnahme hat Wisnewski der in Köln lebenden Tochter überbracht. Sie sei „hocherfreut“ gewesen: „Das war sehr emotional.“
37 Jahre lang lebte der mutmaßliche Mörder unbehelligt
Auch die Kollegen in Dortmund freuen sich über einen womöglich gelösten Altfall: Nach 37 Jahren hofft die dortige Ermittlungsgruppe Cold Cases, den Mörder des Josef M. aus Bergkamen dingfest gemacht zu haben. Mitte April nehmen sie einen 56-Jährigen Mann in dessen Bergkamener Wohnung fest, die Staatsanwaltschaft erlässt Haftbefehl wegen Mordes.
Der damals 67-jährige Josef M. wird 1986 in seiner Wohnung getötet. Es ist ein Septembertag, als sein Pflegesohn von einem Discobesuch heimkehrt und den Vater in seinem Blut findet. Die Leiche weist zahlreiche Messerstiche auf, gestorben aber ist M., weil er stranguliert wurde.
Im Januar dieses Jahres noch erzählt die Dortmunder Polizei von dem Fall, der fast 40 Jahre nicht aufgeklärt werden konnte. Als das Landeskriminalamt sich die Akten zuletzt erneut vornahm, waren zwar DNA-Spuren entdeckt worden, die aber nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. Seither hat sich die neue Ermittlungsgruppe, bei der auch drei „Rentner-Cops“ mitarbeiten, erneut über die Spuren gebeugt, alte Asservate nochmals untersucht und Zeugen von damals ein weiteres Mal vernommen. Treffer! Der Verdacht gegen den 56-Jährigen hat sich konkretisiert. Er soll zur Tatzeit 18 Jahre alt gewesen sein. Deshalb verhandelt eine Jugendkammer: Im Oktober beginnt vor dem Dortmunder Landgericht der Prozess.
Brachte „Mörderpärchen“ die 28-Jährige um?
Und noch ein weiterer Fall aus Dortmund war im Januar noch gelistet als „ungelöst“, nach 33 Jahren. Doch dann dauert es nur noch Tage, bis die Cold Cases-Mannschaft einen Verdächtigen präsentieren kann, und wenige Wochen, bis auch eine Frau geschnappt wird. Diese beiden sollen 1991 die 28-jährige Dortmunderin Heike K. getötet haben
Die junge Frau ist damals Dekorateurin bei Karstadt, ihre Eltern finden sie am 26. Februar in ihrem Bungalow im Stadtteil Scharnhorst. Ihre Tochter ist tot, erstochen. Eine Tatwaffe findet die Kripo damals nicht. Aber sie geht davon aus, dass sie zwei Täter suchen muss, die sich im Haus auskannten. Sie stiegen durch ein Kellerfenster ein, das von der Straße aus nicht einsehbar war. Zudem müssen sie gewusst haben, dass Heike K. einen größeren Geldbetrag zuhause hatte: Die 28-Jährige hatte sich kurz zuvor von ihrem Freund getrennt und D-Mark abgehoben, um ihm bereits gezahlte Miete zurückzuzahlen.
Möglich also, dass Täter und Opfer sich kannten. Heike K.s roter Kleinwagen wird später mit leerem Tank und gereinigt an einer Raststätte in Frankreich gefunden. Die einzige Spur? Die Ermittlungsgruppe Cold Cases mit ihren erfahrenen Mordermittlern, einem Kriminaltechniker und drei „Rentner-Cops“ durchforstet „Schrankwände an Akten“, lässt die alten Hinweise mit neuen Methoden nochmals untersuchen und meldet den Fall für die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY... Ungelöst“.
Noch vor der Ausstrahlung aber gibt es in der Datenbank einen Treffer. Nicht in der deutschen, aber der in Österreich. Dort ist ein 60-Jähriger aus Dortmund aktenkundig, sein Genmaterial passt zu dem, das die Fahnder vor 33 Jahren an Fasern der mutmaßlichen Täterkleidung fanden. In Januar kommt er in Haft, Ende April nimmt die Polizei in Mönchengladbach eine mutmaßliche Mittäterin fest: Weitere DNA-Spuren verweisen auf die 62-Jährige. Die dreifache Mutter wird in der Wohnung ihres Ex-Ehemanns angetroffen. In welchem Verhältnis die beiden Tatverdächtigen zueinander stehen, die schon als „Mörderpärchen“ betitelt wurden, wird jetzt ermittelt.
Alle drei Fälle sind im juristischen Sinne noch nicht abgeschlossen: Erst nach Abschluss der Polizeiarbeit kann die Staatsanwaltschaft gegebenenfalls Anklage erheben. Über deren Zulassung entscheidet das zuständige Landgericht, das dann ein Hauptverfahren eröffnen kann. Ob am Ende der Beweisaufnahme tatsächlich eine Haftstrafe verhängt wird, ist offen. Auch ein Freispruch ist möglich.