Balve. Brötchen-Verkauf - ein Kinderspiel? WP-Redakteur Jürgen Overkott wollte es wissen und lernte im City-Café schnell, was er alles noch nicht kann.
Es sieht so leicht aus. Wenn ich als Kunde Brötchen kaufe, läuft alles wie im Handumdrehen. Die Fachfrauen, so scheint es, sehen kaum hin, wenn die heiße Ware aussuchen und eintüten. Bares und Plastikgeld wechseln schnell den Besitzer. Arbeit an der Bäckerei-Theke – ein Kinderspiel? Ich will es wissen. Morgens um acht starte ich in Grotes City-Café das Abenteuer Einzelhandel. Für Adelgunde Buchgeister und ihr Team ist das spät: „Um fünf Uhr geht’s morgens los. Ich schließe den Laden aber immer schon etwas früher auf. Die ersten Kunden warten dann schon.“
Die Kunst des Schürzenbindens
Die Filialchefin hat meinen Arbeitsdress schon vorbereitet: Hemd, Krawatte, Schürze, alles in Grote-Optik. Dabei habe ich gleich ein Lernerlebnis: Wie, bitte, binde ich die Schürze korrekt? Ich erweise mich als Grobmotoriker. Adelgunde Buchgeister rettet mein Arbeitsgewand mit sicherer Hand.
Als ich komme, sitzt ein Stammgast an einem Bistrotisch vor der Tür, vor sich ein Pott Kaffee. „Er kommt jeden Morgen“, weiß Adelgunde Buchgeister aus langen Jahren. Ein Schwätzchen ist für ihn im Preis mit drin – wie für die meisten Kundinnen und Kunden, die ich an diesem Vormittag bedienen darf. Service wird groß geschrieben. Freundlichkeit ist Trumpf. Aber Qualität der Ware und Tempo beim Service müssen ebenfalls stimmen.
Stimmt’s bei mir? Quatschen kann ich, Milieuschaden. Aber der Rest? Ich muss zugeben: Beim Bedienen der Kundschaft reagiere ich so langsam wie eine Bahnschranke, zumindest beim Zubereiten der belegten Brötchen oder – wie’s bei Grotes heißt – „Grötchen“.
Die Kunst des Brötchenbelegens
Adelgunde Buchgeister zeigt mir, wie es geht: Handschuhe anziehen, drei Finger mittig auf die obere Hälfte drücken, das lange Brötchenmesser seitlich ansetzen und schneiden. Das Belegen folgt einem Muster. Zunächst kommt ein kleines Kräuselblatt vom Lollo-bianco-Salat auf die untere Brötchen-Hälfte. Dazu kommt eine Scheibe hartgekochtes Ei, eine Scheibe Tomate, eine Scheibe Gurke, dazu je drei Scheiben Kochschinken oder Käse, wenn’s die Klassiker sein sollen. Daneben gibt’s eine Fülle individueller Möglichkeiten: Vorsicht, Falle.
Wenn’s hakt, kann ich mich in jeder Sekunde auf mein Team verlassen. Sowohl Adelgunde Buchgeister als auch Mitarbeiterin Simge Güler helfen mir diskret, legen schon mal eine passende Tüte hin oder einen neuen Plastikhandschuh. Ihre Botschaft: Das Team ist so gut wie der unerfahrenste Mitarbeiter, und das bin unzweifelhaft ich.
Die Brötchen und das Nussbrot
Aber wie kann ich besser werden? Ich beobachte, wie Adelgunde Buchgeister mit der Kundschaft spricht. Die Atmosphäre ist familiär. Adelgunde Buchgeister und Simge Güler sind aber nicht einfach nur Verkäuferinnen – sie sind Top-Verkäuferinnen. Ich lerne: Hohe Schule bedeutet, einem Kunden, der fünf Brötchen kaufen will auch noch ein Nussbrot schmackhaft zu machen („das testen wir gerade“).
Im Einzelhandel heißt es oft: Kassieren geht über Studieren. Aber ich muss erst mal das Kassieren studieren. Adelgunde Buchgeister erteilt mir die erste Lektion: „Handschuhe ausziehen: Du darfst das Geld nicht mit den Handschuhen anfassen.“ Es gibt die Welt der Waren, und es gibt die Welt des Geldes. Die Corona-Krise hat verstärkt, was ohnehin im Laden gilt: Hygiene vorne weg.
Das nächste Lernfeld ist die Grote-Kasse: für mich ein unbekanntes Wesen. Ich sehe ein Display mit farbigen Feldern; Preise sehe ich nicht. Den Grund finde ich bald heraus: Das System ist nach Warengruppen gegliedert, und Produktnamen. Die Preise sind hinterlegt.
Damit nicht genug: Ein Kunde stellt mich auf die Probe. „Was ist denn in den Brötchen drin? Können Sie mir die Zutaten nennen?“, will er wissen. Es grinst, weil er glaubt, er habe mich reingelegt.
Die zweite Karriere
Von wegen. Adelgunde Buchgeister kann tatsächlich auf fast jede Frage eine Antwort geben. Das hat einen doppelten Grund: „Es gibt so viele Allergiker heutzutage“, sagt sie. Was sie nicht sagt: Sie ist vom Fach, Ökotrophologin von Beruf.
Schließlich darf ich Bleche mit Brötchen-Rohlingenaus dem 220 Grad heißen Ofen holen. Schwere Lederhandschuhe schützen vor Verbrennung. Ich wende die Brötchen unfallfrei. Glück gehabt.
Schließlich kommt Wolfram Schmitz vom Sauerländischen Schützenbund ins Café. Er stutzt, als er mich sieht. Seine Bestellung geht mir leicht von der Hand. In der Tür witzelt er: „Na, wäre das was für eine zweite Karriere?“