Düsseldorf/Gelsenkirchen. Im Prozess gegen sieben IS-Verdächtige ist von den Vorwürfen nicht mehr viel übrig. Aber auch ein 22-Jähriger aus Gelsenkirchen kommt nicht frei.

Mukhammadshujo A., von seinen Freunden „Maga“ genannt, hatte zuletzt ein wenig Hoffnung. Das aber hat er nicht erwartet: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob nach eineinhalb Jahren den Haftbefehl gegen den 22-Jährigen auf. „Nicht mehr dringend verdächtig“ sei der Tadschike, der 2022 aus der Ukraine nach Gelsenkirchen kam. Der Generalbundesanwalt wirft ihm und sechs anderen Männern aus Zentralasien vor, für die Terrororganisation IS Anschläge in Deutschland geplant zu haben.

34 Tage verhandelte der Staatsschutzsenat im Hochsicherheitstrakt des Gerichts, zweimal in der Woche und jedes Mal bis zum späten Nachmittag. Am Dienstag dieser Woche „hat es geknallt“, wie einer der Verteidiger sagt: Der Vorsitzende Richter Jan van Lessen verkündete nach einem halben Jahr Prozessdauer, man sei zu der Überzeugung gelangt, dass bei fünf Angeklagten die Voraussetzungen für eine U-Haft „entfallen sind“. Das betrifft vor allem Mukhammadshujo A., den jüngsten der angeblichen Terrorgruppe, und seinen Schwager Nuriddin K., 32 – offenbar haben sich die Vorwürfe gegen die beiden Männer aus Gelsenkirchen in der Beweisaufnahme in Luft aufgelöst.

Der 6. Strafsenat des OLG unter Vorsitz von Jan van Lessen hat in dieser Woche fünf von sieben Haftbefehlen aufgehoben.
Der 6. Strafsenat des OLG unter Vorsitz von Jan van Lessen hat in dieser Woche fünf von sieben Haftbefehlen aufgehoben. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Keine Beweise für Terrorplanungen

Zwar geht der Senat, wie eine Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) bestätigt, weiterhin davon aus, dass alle sieben „eine radikalislamische Gesinnung und ideologische Nähe zur Terrororganisation des IS aufweisen“. Dass sie aber unter Leitung eines weiteren Beschuldigten in den Niederlanden den Ausbruch des Krieges in der Ukraine genutzt haben sollen, um nach Deutschland einzureisen und hier Attentate zu verüben, habe nicht festgestellt werden können. Einen „übereinstimmenden Willen“ dazu oder gar bereits fortgeschrittene Planungen habe es offenbar nicht gegeben. Ermittler und Nachrichtendienste hatten die Tadschiken, einen Kirgisen und einen Turkmenen über Monate beobachtet, wie sie angeblich Geld sammelten, Opfer und Tatorte auskundschafteten.

Was wir bisher berichteten

Von der daraus folgenden Anklage geblieben ist nach Ansicht des Gerichts nicht viel: Drei Beschuldigte (29, 31, 48) sollen den IS unterstützt haben, in Rede stehen Spenden in Höhe von 20 Euro oder 800 Euro. Für die beiden Gelsenkirchener geht die Verteidigung von Freispruch aus. Die lange Untersuchungshaft, erklärt das OLG, stehe deshalb nicht mehr im Verhältnis zu einer immer noch möglichen Freiheitsstrafe. Trotzdem wird bis zu einem Urteil weiter verhandelt.

Einzig der mutmaßliche Haupttäter (29) aus Turkmenistan und ein weiterer Mann aus Tadschikistan (33) sollen vorerst in Haft bleiben, bei ihnen kommt offenbar zumindest eine Verurteilung wegen IS-Mitgliedschaft und ebenfalls der Unterstützung des IS in Betracht. Für sie sollte es am 35. Verhandlungstag (29.1.) in nicht-öffentlicher Sitzung neue Haftbefehle geben.

Erster Prozesstag im Juli 2024: Sieben Angeklagte stehen als Terrorverdächtige vor Gericht. Nun ist von den Vorwürfen nicht mehr viel übrig.
Erster Prozesstag im Juli 2024: Sieben Angeklagte stehen als Terrorverdächtige vor Gericht. Nun ist von den Vorwürfen nicht mehr viel übrig. © dpa | Roberto Pfeil

Abschiebehaft für fünf der sieben Angeklagten

Frei sind aber auch die anderen Fünf trotzdem nicht. Sie wurden noch am Dienstagabend im Gerichtssaal festgenommen und mit Unterstützung der Ausländerbehörden in Abschiebehaft nach Büren gebracht. Sie seien „vollziehbar ausreisepflichtig“, sollen nach Ende des Prozesses abgeschoben werden.

Für Freunde und Familie der beiden Gelsenkirchener Angeklagten bedeutet das „Freude und Enttäuschung zugleich“. Mukhammadshujo habe „keine Schuld, aber er kommt trotzdem nicht nach Hause“, sagt eine Freundin von „Maga“ verständnislos. Der 22-Jährige selbst sei bei den jüngsten Besuchen in der Haft hoffnungsvoll gewesen. Nun sei er zumindest „froh, dass sich etwas verändert hat“.

Nurridin K. wohnte bis zu seiner Verhaftung im Juli 2023 in Gelsenkirchen. Hier betritt er ein Jahr später zum ersten Mal den Gerichtssaal.
Nurridin K. wohnte bis zu seiner Verhaftung im Juli 2023 in Gelsenkirchen. Hier betritt er ein Jahr später zum ersten Mal den Gerichtssaal. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Gelsenkirchener hat jüngstes Kind noch nie gesehen

Was aber weiter mit ihm geschieht, ist offen. Der Essener Rechtsanwalt André Wallmüller, Vertreter von Nuriddin K., erklärt gegenüber dieser Zeitung, er werde Haftbeschwerde einlegen. Die Asylanträge der Tadschiken seien schon vor dem Prozess abgelehnt worden, es sei also klar, dass sein Mandant ausreisepflichtig sei. „Aber er ist keine Gefahr für die öffentliche Ordnung.“ Wenn der Familienvater, dessen zweites Kind während der Haft geboren wurde, freigesprochen werde, „hätte man ihn auch auf freiem Fuß lassen können“.

Davor, möglicherweise schon in wenigen Wochen abgeschoben zu werden, haben die Männer Angst, bestätigt Wallmüller: „Sie befürchten Repressalien. Die sitzen lieber hier vier Jahre in Haft als in Tadschikistan.“ Auch die Freundin der Familie hofft, dass beide in Gelsenkirchen bleiben können: „In Tadschikistan gibt es keine Menschenrechte.“