Ruhrgebiet. Tausende Papierkörbe leer, aber die Straßen im Ruhrgebiet voller Müll. Warum Wegwerfen immer öfter was mit Wegschauen zu tun hat.
Millionen Euro werden jedes Jahr schlicht weggeworfen. Sie landen in Form von Verpackungen, Bechern, Kippen, aber auch Matratzen, Kühlschränken oder Auto-Batterien auf der Straße. Und diese illegale Entsorgung kostet — jedes Jahr etwas mehr. Wir haben die Ruhrgebietsstädte gefragt, wie viel sie zahlen und wie groß das Problem bei ihnen ist. Die Zahlen zeichnen das Bild einer Wegwerfgesellschaft, der selbst der Weg zum nächsten Papierkorb zu weit wird. Hier sind die vier wichtigsten Erkenntnisse.
1. Es wird immer mehr Müll illegal entsorgt – und das ist teuer für die Städte
In einem sind sich alle befragten Städte einig: Die Menge des illegal entsorgten Mülls steigt. Konkrete Zahlen nennt Recklinghausen, hier hat sich die Zahl der wilden Müllhaufen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verfünffacht. Das ist teuer für die Städte. 1,6 Millionen Euro muss etwa Essen jedes Jahr für die Beseitigung von wildem Müll ausgeben. Mit dem Geld könnte sich jeder Essener ein Eis kaufen.
Die nahliegende Frage ist: Welche Städte sind besonders dreckig oder besonders saubert? Dazu gibt es keine vergleichbaren Zahlen, weil es keine einheitliche Statistik gibt – und jede Stadt ein bisschen anders rechnet. Aber man kann sich sich der Sache grob nähern. Etwa mit der Frage: Wie viele illegale Müllhaufen haben die Behörden in den Städten beseitigen müssen?
Leider zählt hier jede Stadt etwas anders. Die eine Stadt rechnet jeden Müllbeutel neben einem Papiercontainer – und die andere vielleicht nur Mängelmelder-Einsätze. Allerdings zeigt sich: Die Unterschiede sind sehr groß. Besonders in Gelsenkirchen und Essen scheint die illegale Müllentsorgung ein großes Problem.
Eine andere Rangfolge ergibt sich, wenn man vergleicht, wie viel Geld die Städte für die Beseitigung des illegalen Mülls zahlen.
Hier sieht man ebenfalls große Unterschiede zwischen den Städten. In Duisburg liegen die Kosten für illegalen Müll pro Kopf nur halb so hoch wie in Essen — die Gelsenkirchener und Bochumer dagegen müssen das Doppelte zahlen.
Allerdings sind auch diese Zahlen nicht ganz leicht zu vergleichen. In der einen Kommune werden Grünflächen von der Stadt selbst betreut, in der anderen nicht, hier und da wird die Logistik nicht gesondert betrachtet, fast immer ist Personal aus verschiedenen Gesellschaften beteiligt. Manchmal werden nur große Müllhaufen gezählt, mal auch der Straßenkehricht oder die Kanalreinigung. Dortmund zum Beispiel verweist darauf, dass eine Kostenaufstellung statistisch unmöglich sei.
Festhalten kann man also vor allem eins: Einige Ruhrgebietsstädte haben ein Müllproblem und das kostet. Besonders gravierend erscheint die Situation in Gelsenkirchen. Rund 300 zusätzliche Einsätze fahren die Gelsendienste wegen der illegalen Müllentsorgung — jede Woche.
2. Die Menschen entsorgen vor allem Hausmüll illegal
Schaut man auf die Kosten für die illegale Müllentsorgung in Essen, dann geht der größte Teil der Ausgaben für das Einsammeln des Mülls drauf. Das zeigt: Kostenpflichtiger Bauschutt, Altreifen und Sondermüll machen gar nicht den größten Teil aus. Die meisten der illegal entsorgten Abfälle könnten die Verursacher umsonst abgeben, sie sparen sich lediglich den Weg zum Recyclinghof.
Gelsenkirchen listet auf, welcher Müllarten in der Stadt illegal entsorgt werden. Auch hier ist es vor allem ganz normaler Haushaltsmüll. Erst an zweiter Stelle folgt Bauschutt. Größere Posten sind noch Pappe und Papier sowie Sperrmüll. Ach ja, und ungefähr 3000 Altreifen. Darunter leidet zum Beispiel ein Kanu-Verein am Rhein-Herne-Kanal, auf dessen Wiese manchmal im Wochentakt ganze Lkw-Ladungen mit Reifen landen.
3. Das Müllproblem ist an bestimmten Orten gravierender
Die illegale Müllentsorgung ist in den Städten nicht gleichmäßig verteilt. Die Entsorgungsbetriebe beobachten eine zunehmende Vermüllung bestimmter Gegenden. „Soziale Brennpunkte und bereits verschmutzte Gebiete sowie öffentliche Plätze und Wege geraten immer mehr in den Fokus“, heißt es etwa vom Dortmunder Entsorgungsunternehmen EDG.
Andere Städte berichten ähnliches. Einige Stadtteile seien sauber wie noch nie, in anderen nähmen die Probleme zu. Speziell im Umfeld von großen Wohnanlagen, wo die Menschen gefühlt anonym bleiben. Dabei beobachten die Experten immer wieder, dass es vor allem dort schmutziger wird, wo es schon schmutzig wird.
Gelsenkirchens Stadtsprecher Martin Schulmann verweist zudem auf Probleme in Gegenden, wo die Menschen nicht lange bleiben. In der Stadt gebe es eine hohe Fluktuation bei Südosteuropäern. Ein hoher Prozentsatz ziehe nach einigen Monaten weiter „und der Sperrmüll landet dann oft auf der Straße – zum Verdruss der Nachbarn“.
Daneben gibt es noch ein Phänomen in den Großstädten: Es gibt immer häufiger spontane Partys. Über die Sozialen Netze wird getrommelt, die Leute treffen sich in Parks, auf Plätzen, im Wald, an „Lost Places“ — und viele lassen ihren Müll einfach liegen, berichtet die EDG. „Für die Stadtreiniger wird es dadurch immer weniger kalkulierbar, wo illegale Abfallablagerungen anfallen.“
4. Die Städte installieren mehr Abfallkörbe — trotzdem landet der Müll daneben
Es ist nicht so, als würden die Städte nichts tun. Sie installieren Abfallkörbe im Akkord. Mülheim verdoppelt die Zahl nahezu im kommenden Jahr. Gelsenkirchen hat mittlerweile 4900 Stück, deutlich mehr als Dortmund. Dabei muss man die Frequenz der Leerungen beachten. In der Essener Innenstadt kommt die Müllabfuhr mittlerweile zweimal am Tag!
Beim Thema Sauberkeit bewegen sich derzeit alle — und doch: Einweg-Verpackungen werden „zunehmend achtlos von Bürgerinnen und Bürgern einfach weggeschmissen – auch wenn sich Papierkörbe direkt in der Nähe befinden“, erklärt die in Dortmund für die Müllentsorgung zuständige EDG (Entsorgung Dortmund GmbH). Müll wird tagtäglich einfach neben den Papier- und Glascontainern abgelegt – „trotz vorhandener Entsorgungsangebote“.
Dass es sich um ein deutschlandweites Phänomen handelt, belegt eine Studie des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) zum Thema „Littering“. Gründe sind demnach primär „Gleichgültigkeit, Faulheit, Desinteresse oder mangelnde Erziehung“. Immer weniger Menschen haben einen „direkten sozialen Bezug zum öffentlichen Raum“. Am häufigsten „littert“ die Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren.
5. Das achtlose Wegwerfen wird kaum sanktioniert
Die Städte versuchen außerdem mit Mülldetektiven, die groben Umweltsünden aufzuklären. 3000 solcher Verfahren hat Gelsenkirchen eingeleitet, allerdings wurde nur in jedem fünften Fall ein Verursacher ermittelt. Viele Städte haben auch ihre Strafgelder erhöht. In Gelsenkirchen werden 25 Euro für weggeschnippte Kippen fällig, 300 Euro für Hausmüll an der Straße, 500 Euro für das Ablegen neben Glascontainern, bis zu 5000 Euro für Altreifen. Allerdings wird im Kleinen kaum sanktioniert.
Weniger als 50 Bußgelder hat die Stadt Dortmund im vergangenen Jahr verhängt für das Wegwerfen von Zigaretten, Bechern oder Bonbonpapieren. Auch Essen ist zweistellig geblieben, das betrifft auch die Verwarngelder. Einzig Gelsenkirchen präsentiert sich etwas konsequenter: Rund 190 Bußgelder und 920 Verwarngelder entsprechen sicher nicht der Größe des Problems, sind aber vielleicht ein Anfang. Auch die „Preise“ sind etwas höher als in den Nachbarstädten: „Wir hoffen, dass es einen erzieherischen Effekt gibt“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann. „Weggucken hilft nicht.“
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