Bochum. Eine Erkrankung zerstört die Muskulatur des 49-Jährigen. Auch die, die er zum Atmen braucht. Eine Therapie, die ihn heilen kann, gibt es nicht.
Nach 500 Metern ist Schluss, in „schwierigem“ Gelände oft schon nach 200. Dann können die Beine Christian Kortenhaus nicht mehr tragen, er muss eine Pause einlegen. Denn zu stürzen – das kann er sich nicht leisten: Ohne Hilfe käme er nicht wieder hoch. Der 49-jährige Düsseldorfer leidet an fortschreitender Muskelschwäche. Es ist die Folge einer seltenen Erkrankung namens Morbus Pompe.
Wir treffen den 49-Jährigen in der Infusionsambulanz des Bochumer Bergmannsheils, Standort des zertifizierten Muskelzentrums Ruhrgebiet, einem von bundesweit 27. 2006 tropfte hier zum ersten Mal ein damals gerade frisch zugelassenes Medikament über viereinhalb Stunden lang in seinen Körper. Eine sogenannte Enzymersatztherapie, die den Krankheitsverlauf verlangsamen soll. Seither fährt der Anästhesist an jedem zweiten Mittwoch nach Bochum. Seine Arbeitszeit in einer Düsseldorfer Klinik hat er auch deshalb auf 80 Prozent reduziert.
„Immer etwas schwächer als die gleichaltrigen Kinder“
Der Arzt erzählt, die Erkrankung sei bei ihm – untypischerweise – diagnostiziert worden, noch bevor sich ernste klinische Symptome gezeigt hätten. Es war die Mama, der auffiel, dass ihr Junge – damals noch keine zehn – immer etwas schwächer war als die Gleichaltrigen, dass es ihm insbesondere an Bauchmuskulatur mangelte. „Kein wirklich greifbares Problem, aber sie blieb am Ball“, erzählt Kortenhaus. Als er 13 war stand die Diagnose, ein Gentest bestätigte sie später: Morbus Pompe.
Morbus Pompe ist eigentlich eine Stoffwechselerkrankung, deutschlandweit sind 300 Patienten bekannt. Sie lagern – sehr vereinfacht erklärt – den „Zuckerspeicher“ Glykogen „als Müll“ in den Muskeln ab, was diese zerstört. Die Krankheit, die deswegen auch als Muskelerkrankung gilt, ist erblich (autosomal-rezessiv). In Kortenhaus‘ Familie war sie aber nie zuvor aufgefallen. Eltern und Ärzte, erinnert er sich, hätten nach der Diagnose ihm, dem Kind, gegenüber betont, wie unterschiedlich die Verläufe bei dieser Erkrankung seien. „Dass sie auch lebensverkürzend sein kann, erzählten sie nicht“, sagt er. „Ich kam später drauf.“
Die Ärzte verordneten dem Kind: Quark, Steak und Milch
Eiweißreiche und kohlenhydratarme Kost empfahlen die Ärzte, eine andere Therapie war in den 80er-Jahren nicht bekannt. „Zum Frühstück gab‘s für mich ein halbes Pfund Quark, mittags ein 500-Gramm-Steak, und dazu einen Liter Milch“ erinnert sich Kortenhaus. „Macht man heute nicht mehr so.“ Brachte auch nichts. Doch lange ging es ihm noch gut, er spielte Tennis, fuhr Ski, ging auf Partys, studierte Medizin, begann die Facharzt-Ausbildung zum Anästhesisten. „Ich schob einfach beiseite, dass ich über kurz oder lang im Rollstuhl sitzen könnte.“
2006 kam eine Enzymersatztherapie auf den Markt
2006 dann war erstmals eine „kausale“ Therapie für Morbus Pompe verfügbar, eine von der sich auch Christian Kortenhaus erhoffte, dass sie seine Erkrankung „komplett einschränken“ würde. Das Glykoprotein „Alglucosidase alfa“ (Markenname: Myozyme) ersetzt dabei das Enzym, das von den Betroffenen in zu geringem Ausmaß produziert wird. Es ist die teure Flüssigkeit, die gerade in Kortenhaus‘ Vene fließt. „Doch heute weiß ich, auch diese Therapie kann meine Muskelschäden nicht zurückdrängen, sie verlangsamt den Krankheitsverlauf nur.“ Seit 2022 gibt es sogar zwei weitere Medikamente, aber auch sie können Morbus Pompe nicht heilen.
„Die Einschränkungen kommen nach und nach. Man merkt das kaum, manches vermeidet man, anderes probiert man nicht mehr aus.“
„Die Einschränkungen“, erläutert Kortenhaus, „kommen nach und nach. Man merkt das kaum, manches vermeidet man, anderes probiert man nicht mehr aus.“ Aber die 500 Meter Gehstrecke, die hat er im letzten „Sechs-Minuten-Test“ geschafft – genau wie in dem davor. Es gibt andere Betroffene, die sagen ihm: Im Rollstuhl bist du mobiler. „Doch soweit bin ich noch nicht“, sagt der Anästhesist. Im Gegenteil: Dass es irgendwann für ihn ohne Rollstuhl gar nicht mehr gehen wird – diese Vorstellung macht ihm Angst. Mehr noch fürchtet er, dass er eines Tages ständig auf Beatmung angewiesen sein könnte; nachts stülpt er schon seit acht Jahren eine Atem-Maske über die Nase … Neben der Rumpf-nahen Skelettmuskulatur (Oberarme, Becken und Oberschenkel) ist bei seiner Form der Muskelschwäche auch die Atemmuskulatur, das Zwerchfell, betroffen.
„Für sie ist das kein Thema. Für mich schon“
Christian Kortenhaus klagt nicht. Er sagt, er sei dankbar, dass es überhaupt schon eine Therapie für ihn gebe. Und vieles sei ihm ja noch möglich: etwa der Alltag daheim („nicht einmal eine Toilettenerhöhung brauche ich!“), Autofahren, das Reisen innerhalb Deutschlands, die Arbeit – selbst die im OP, auch wenn er schon seit einigen Jahren keine Bereitschaftsdienste mehr übernehmen kann. Die Kollegen, schwärmt er, zeigten viel Verständnis, „wenn mir mal was runterfällt, haben es schon zwei aufgehoben, bevor ich darum bitten kann.“ Doch er denkt, dass seine berufliche Karriere „ohne Pompe“ anders verlaufen, er längst Oberarzt wäre. Manchmal nage das an ihm, genau wie das Wissen, dass er vermutlich auf zunehmend mehr Hilfe angewiesen sein wird. Mit der Frau, die seit 19 Jahren an seiner Seite ist, hat er das besprochen. „Für sie ist das kein Thema“, sagt er. „Für mich schon.“
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Kortenhaus erzählt seine Geschichte zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit, weil er will, dass weiter geforscht wird, damit irgendwann doch noch eine Therapie gefunden wird, die Morbus Pompe nicht nur verlangsamen, sondern stoppen, vielleicht sogar heilen kann. Als Arzt, der um die rasanten Fortschritte in der Medizin weiß, setzt er dabei auf die Gentherapie. „Es ist nicht so einfach, wie man angenommen hat. Aber ich denke, da tut sich noch einiges.“ „Ich hoffe“, sagt Christian Kortenhaus, „dass ich das für mich auch noch erlebe. Und ich versuche, mir nicht zu viele Gedanken darum zu machen.“