Essen. Im Interview spricht Peter Maffay über seinen neuen Fotoband und über ein mögliches Konzert mit Bruce Springsteen in der Schalke-Arena
Kaum ein Auge hat Peter Maffay zubekommen. Denn um drei Uhr in der Früh war die Zahnfee da. Denn Töchterchen Anouk (5) hat ihren ersten Milchzahn verloren. Klar, dass Papa Peter und Mama Hendrikje (37) ihr die Nachricht vorlesen mussten, die die Fee hinterlassen hat. Und selbstredend musste auch noch über den Taler diskutiert werden, der unter dem Kopfkissen zu finden war. „Da hat es sich dann nicht mehr gelohnt, sich noch mal hinzulegen“, erzählt der 75-Jährige. Lieber ist er gleich zum Flughafen gefahren, um ins Ruhrgebiet zu starten. Wo er in dieser Woche einen neuen Bildband mit Fotos aus seinem Leben vorstellte. „Kein Weg zu weit – 55 Jahre Rock‘n‘Roll“ (Klartext-Verlag, 49,95 Euro).
Gestresst nach der langen Nacht? Maffay lacht. Natürlich nicht. „Ich bin sehr dankbar, dass so ein kleines Wesen unsere Gegenwart so bestimmt und verschönert“, sagt er auf dem Weg zum Interview in der Lounge des Funke-Medienhauses in Essen, wo er sich ganz entspannt den Fragen stellt.
Peter, warum gibt es einen neuen Bildband und warum ist er etwas Besonders?
Zu sehen sind viele Bilder, die bisher noch nie veröffentlicht worden sind. Bilder, die ich persönlich ausgesucht habe, um Erinnerungen greifbar zu machen.
Das Buch beginnt mit Fotos aus deiner Kindheit in Rumänien. Welche Erinnerungen hast du daran?
Was an den Bildern aus Rumänien auffällig ist, sind die ärmlichen Verhältnisse in denen wir gelebt haben. Wir wohnten mit sechs Parteien in einem Haus, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg eine Arztfamilie allein gelebt hat. Raum zum Atmen, zum Spaß haben, zum Leben, das war der Hinterhof. Da trafen sich Familien mit ihren Tieren. Und alles, was ich auf den Fotos trage, war selbst geschneidert. Meine Mutter war unglaublich kreativ und innovativ. Mir fehlte es eigentlich an nichts. Ich konnte damals aber auch nicht vergleichen, wie es woanders war.
Es folgen Fotos aus den frühen 70er-Jahren? Plateau-Schuhe zu Schlaghosen in grellen Farben und mit langen Haaren. Wie war das damals?
Die Zeit war geprägt von dem Versuch, die eigene Individualität unter Beweis zu stellen. Und die Jugendzeitschrift Bravo war das Fenster schlechthin. Wer da stattfand, der gehörte irgendwie dazu. Darauf setzten wir alle. Je schriller, desto besser.
Wo hat dich der Produzent und Texter Michael Kunze damals denn entdeckt?
Ich spielte mit einer Band im Songpalast in München, das war eine Kleinkunstbühne, in der alle für einen Zehner und ein paar Bier auftraten, was damals eine stattliche Gage für mich war. Da sprach mich seine Frau Roswitha an und sagte, sie würde mich gerne mal ihrem Mann vorstellen. Der fragte, ob ich Lust hätte, eine Scheibe aufzunehmen. Einen Schlager. So ist „Du“ entstanden.
Ein Klassiker des Schlagers, den du auch heute noch auf Konzerten spielst.
‚Du‘ ist ein geiler Song, eine tolle Komposition. Wir haben niemanden mit dem Lied verletzt. Auf der letzten Tour haben wir es direkt als drittes Lied gespielt, und es hat sehr viel Spaß gemacht. Ich sehe dann plötzlich Leute, und das war sehr amüsant, die bei der Entstehung des Songs noch gar nicht auf der Welt waren, vielleicht noch nicht einmal geplant, und die singen das Lied mit. Traumatisiert durch die Eltern vermutlich (lacht)
Dir ist dann aber etwas gelungen, woran viele andere Schlagersänger und -Sängerinnen gescheitert sind. Du bist zur Rockmusik gewechselt. Wie hast du das geschafft?
Es hat sich einfach so ergeben. Irgendwann nach dem dritten Versuch, ‚Du‘ zu wiederholen, habe ich gesagt: ‚Wenn wir das zu oft machen, dann geht das nach hinten los.‘ Daraufhin gab es etwas Sand im Getriebe, aber wir haben uns behauptet und schon bald kam die Drehung. Nicht zuletzt, weil ich wieder mit Bandmitgliedern zu tun hatte, die anders unterwegs waren. Als das Album `Steppenwolf` dann da war, war das ein Schritt auf eine andere Ebene.
Aber war es nicht auch ein Risiko?
Ich wusste, das kann auch schiefgehen. Der stilistische Bruch hätte dazu führen können, dass man in der Versenkung verschwindet, und das war‘s. Aber es gibt solche Augenblicke im Leben, in denen man sagt: Es geht einfach nicht anders. Ich muss etwas verändern. Alles andere führt irgendwann in einer anderen Form ins Aus.
Du sagst, in dem Begriff Unterhaltung steckt auch das Wort Haltung. Hat man als Künstler in diesen Tagen nicht fast schon die Pflicht, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern?
Die Leute, die in unsere Konzerte kommen, haben ein Recht zu wissen, wo man steht. Und wofür man steht. Ich glaube aber nicht, dass man daraus eine Verpflichtung ableiten sollte. Das muss jeder Künstler für sich entscheiden. Wenn aber einer sagt, „ich artikuliere mich anders, packe das aber nicht in die Musik, weil ich damit unterhalten will“, ist das für mich legitim. Aber sich grundsätzlich zu Themen der Zeit zu äußern, halte ich schon für wichtig.
Es gibt im Buch auch ein Foto vom letzten Auftritt der letzten großen Tour. Weißt du noch, wie das war am Tag nach der letzten Show?
Das war ein ganz normaler Tag, einfach ein Tag mehr. Ich bin nicht von der Bühne gegangen und in ein Loch gefallen. Das habe ich nie erlebt. Es gibt so viele schöne gute andere Dinge, die ich machen möchte und auf die ich mich auch freue. Deshalb will ich ja auch keine große Tournee mehr spielen. Die nimmt mir zu viel Zeit weg. Zeit, die ich nicht mehr habe, wenn ich mich auf die Sprünge einlassen will, die meine kleine Tochter macht. Oder Zeit für das Zusammensein mit Yaris, meinem Sohn. Da holen wir gerade auch mächtig nach, was wir versäumt haben. Und Hendrikje hat ja auch manchmal Lust auf mich. Es ist ja nicht so, dass ich auf Musik verzichten werde. Das kann ich nicht. Ich habe ja nichts anderes gelernt. Ich brauche das, das ist mein Medizinschrank. Wenn es mir dreckig geht, dann greife ich da rein. Wir werden auch weiterhin spielen. Einzelne kleine Gigs, aber auch mal einen großen Auftritt.
Nächstes Jahr spielt Bruce Springsteen in Gelsenkirchen. Wäre das vielleicht so ein großer Auftritt?
Wir sind uns dreimal begegnet. Fritz Rau, der legendäre Konzertveranstalter, hat mich auf ihn aufmerksam gemacht. Wir hatten dann mal die Ehre und das Vergnügen, bei einem Springsteen-Konzert im Londoner Wembley-Stadion seitlich auf der Bühne zu stehen und ihn aus ein paar Metern Entfernung zu sehen. Da habe ich seine Art zu musizieren erlebt, wie er mit dem Publikum umgeht, wie die Band mit ihm arbeitet. Und habe gedacht, so muss das sein. Ich will das nicht überbewerten, aber ich denke, dass es da so etwas wie eine Seelenverwandtschaft gibt. Rhythm & Blues. Rock’n-Roll - das Lebensgefühl, das da zum Ausdruck kommt. Er hat den großen Vorteil, dass er als Amerikaner diese Zutaten mit der Muttermilch mitbekommen hat. Wir haben das im Laufe der Jahre nur nachinterpretiert, bis wir zu einer eigenen Form gekommen sind. Jetzt sind wir beide ziemlich alte Knochen. Ich glaube, das könnte gut zusammenpassen. Mich muss man jedenfalls nicht erst überzeugen. Wenn er Ja sagt, ich bin dabei.