Kreis Olpe. Sind die Schützenvereine noch zeitgemäß? „Männer sind Offiziere und Frauen dürfen putzen“, kritisiert Gregor Kaiser. Jannik Schäfer widerspricht.
Die Schützenvereine im Kreis Olpe stehen für Heimat und Zusammenhalt, aber kaum für Modernität und Integrationskraft – das belegt unser Schützen-Checks. Hängt das Schützenwesen zu sehr an verstaubten Traditionen oder sind die Gebräuche noch zeitgemäß?
Jannik Schäfer (24) aus Heggen ist schon als junger Mensch eng mit dem Schützenwesen verbunden. Gregor Kaiser (46), einst selbst Jungschützenkönig in Oberelspe, blickt inzwischen hingegen kritisch auf die Werte und Traditionen der Schützenvereine. Bei uns trafen sie sich per Video zum Streitgespräch.
„Glaube, Sitte, Heimat“ ist der Leitsatz vieler Schützenvereine. Herr Schäfer, ist das noch eine zeitgemäße Kombination?
Jannik Schäfer: Glaube, Sitte, Heimat ist auf jeden Fall noch zeitgemäß, vielleicht aber ein bisschen reformbedürftig. Man müsste eventuell noch andere Worte hinzunehmen. Für mich sind der Zusammenhalt und die Gemeinschaft auch noch prägende Punkte, die das Schützenwesen treffend beschreiben.
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Geht es nach den Teilnehmern des Schützen-Checks wäre das Motto eher „Heimat, Tradition, Zusammenhalt“, diese Werte haben die meisten Befragten ihren Vereinen zugesprochen. Nach dem, was Sie jetzt gesagt haben, wäre das ja fast der passendere Dreiklang.
Schäfer: Der passendere Dreiklang würde ich nicht sagen. Aber es wäre ein Dreiklang, der ebenso gut passen würde.
Herr Kaiser, waren es die „falschen“ Werte, die Sie nach Ihrer Jungschützenzeit zum Austritt bewegt haben?
Gregor Kaiser: Ja auch, mit dem Dreiklang „Glaube, Sitte, Heimat“ kann ich persönlich wenig anfangen. Sitte finde ich sehr altertümlich. Das ist ja im Grunde genommen die Gesamtheit moralischer Vorstellungen. Und so, wie die Schützenvereine sie überwiegend verkörpern, sind sie doch sehr an vergangene Jahrzehnte gebunden und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Glaube finde ich auch schwierig. Wenn man Glaube neutral sieht, müssten die Schützenvereine für alle Glaubensrichtungen offen sein, dann könnten genauso gut Muslime oder jüdische Menschen oder Hindus in einem Schützenverein Mitglied werden, und nicht wie vielfach laut Satzungen nur „christliche Männer“. Und Heimat ist für mich da, wo Freunde von mir leben. Das kann das Dorf sein, in dem ich gerade lebe. Es kann aber auch ein Ort sein, wo ich vor 10 oder 20 Jahren mal gelebt habe. Deswegen ist dieser Dreiklang aus meiner persönlichen Sicht zu eng gefasst.
Frauen ausreichend in Vereinen eingebunden?
Herr Schäfer, können Sie das nachvollziehen?
Schäfer: Ich kann die Punkte verstehen, die Herr Kaiser angesprochen hat. Aber da hat sich ja schon viel getan und viele Vereine beweisen immer wieder, dass sie bereit sind, mit der Zeit zu gehen. Es gibt Schützenvereine, die sich zum Beispiel für Gläubige anderer Religionen geöffnet haben. Es gab ja auch schon muslimische Schützenkönige.
Kaiser: Aber mit den Frauen sind 50 Prozent der Gesellschaft immer noch ausgeschlossen. Das ist doch nicht mehr zeitgemäß.
Schäfer: Das sehe ich ein bisschen anders. Es gibt ja auch Vereine, in denen nur Frauen aktiv sind und in denen Männer kein Mitglied werden können. Zumal die Frauen auch heute schon an vielen Stellen in irgendeiner Art und Weise in das Schützenwesen eingebunden sind, wenn ihre Männer da aktiv sind.
Kaiser: Aber sie sind ja dann abhängig davon, was ihre Männer machen. Ich kenne Vereine, da putzen die Frauen vor dem Schützenfest die Fenster der Schützenhalle, weil es schon immer so war. Da spielen veraltete Geschlechterklischees eine Rolle: Die Männer sind Hauptmann und Offiziere und die Frauen dürfen putzen – um es provokativ zu formulieren.
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Die Frauen mögen Fenster putzen, dafür pflastern die Männer vielleicht den Vorplatz der Halle neu – und dann feiern beim Schützenfest alle zusammen. Ist es nicht das, worauf es am Ende ankommt?
Kaiser: Ich will auch nicht gegen Schützenfeste sprechen, überhaupt nicht. Ich finde gemeinsame Festivitäten eines Dorfes absolut wichtig und ich denke, da tragen die Schützenfeste ein gehöriges Maß zu bei. Man kann aber die Frage stellen, ob es noch so schichten- oder klassenübergreifend ist, wie es früher einmal war. Wie viele Menschen nehmen noch am Schützenfest teil? Wie viele gehen gar nicht mehr hin, weil ihnen die Tradition nicht passt, weil ihn der Alkoholkonsum zu hoch ist, weil sich Cliquen gebildet haben?
Schäfer: Das ist ein wichtiger Punkt. In den vergangenen Jahren war es oft so, dass viele erst zu Hause gefeiert haben. Und wenn man dann mal gemütlich da saß, hat man sich gedacht: Lass uns doch zu Hause bleiben, wir müssen ja gar nicht mehr aufs Schützenfest gehen. Ich hoffe, dass sich das nach der Pandemie wieder ändert. Dass dann alle auch den Willen haben, wieder zusammen auf dem Schützenplatz zu feiern. Nichtsdestotrotz ist es natürlich schwierig, für alle etwas Passendes zu finden. Dem einen gefällt nicht, was für Musik läuft. Dem anderen gefällt dieses nicht oder jenes nicht. Da muss man einen Kompromiss finden, dass jeder einen Grund findet, zum Schützenfest zu gehen und über Details, die vielleicht nicht unbedingt seinem Willen entsprechen, hinwegsieht.
Kaiser: Das Problem ist aus meiner Sicht auch, dass das Fest vielfach nicht ohne Alkohol funktioniert. Ich trinke auch gerne ein Bier, auch auf dem Schützenfest. Aber besteht nicht die Möglichkeit, mehr Rücksicht zu nehmen auf Leute, die weniger Alkohol trinken oder sich von Alkohol abgestoßen fühlen?
Schützenfest ist mehr als Saufen und Party
Das Klischee, dass es beim Schützenfest vor allem um Alkohol geht, ist ja nicht neu. Was, Herr Schäfer, steckt im Schützenfest, das über Saufen und Party hinausgeht?
Schäfer: Vieles. Das Schützenfest ist für viele das Fest im Jahr. Die Leute, die weggezogen sind, kommen dann für ein Wochenende mal wieder in die Heimat, um alte Bekannte zu treffen, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Und das eine oder andere Bier gehört dann eben dazu. Wobei natürlich die Personen nicht ausgeschlossen sind, die keinen Alkohol oder kein Bier trinken. Die können ja ganz genauso am Schützenfest teilnehmen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mal gesagt wurde: Du trinkst keinen Alkohol, du kannst zu Hause bleiben.
Kaiser: Das sagt bestimmt keiner. Aber die Frage ist, wie lange erträgt man es nüchtern auf einem Schützenfest?
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Gilt das nicht für viele andere Partys ganz genauso?
Kaiser: Ja, da würde ich Ihnen recht geben. Der Unterschied ist aber, dass beim Schützenfest vielfach über drei Tage ein Dauerpegel vorhanden ist bei vielen Teilnehmenden. Und da kann es schon anstrengend sein, wenn man das nicht so intensiv miterleben möchte.
Dass ihr Verein über Integrationskraft verfügt, glauben nur 30 Prozent der Befragten im Schützen-Check. Das ist einer der niedrigsten Werte aller abgefragten Begriffe. In den Kommentaren, die wir dazu bekommen haben, heißt es immer wieder, dass ein wachsender Anteil der Dorfbevölkerung, insbesondere Zugezogene, auf dem Schützenfest und in den Vereinen fehlen. Was müssen die Vereine tun, um sich insbesondere dieser Gruppe mehr zu öffnen?
Schäfer: Man muss aktiv auf die Leute zugehen, auch unabhängig von den Schützenfesten mit ihnen in Kontakt treten, damit sie dann die Schützenfeste von sich aus besuchen wollen und den Schützenvereinen natürlich im besten Fall auch beitreten. Das ist durch Corona momentan natürlich schwierig.
Kaiser: Ich denke, am wichtigsten ist es, dass die Vereine sich für alle öffnen, um auch alle ansprechen zu können. Wer als Verein für sich den Anspruch erhebt, ein Dorf zu repräsentieren, sollte auch allen die Möglichkeit geben mitzumachen, mit gleichen Rechten für alle.
Kritik an militärischer Tradition des Schützenwesens
Wie müsste denn ein Schützenverein aussehen und strukturiert sein, dass Sie, Herr Kaiser, über einen Wiedereintritt nachdenken würden?
Kaiser: Zwingend notwendig ist aus meiner Sicht, dass Frauen Mitglied werden können. Über die Glaubensfrage kann man sicher diskutieren. Was mir noch ein wichtiger Punkt ist: Dass Kinder bei Schützenfesten als Teil des Dorflebens ernstgenommen werden und nicht nur daneben stehen, wenn ihre Eltern Bier trinken und quatschen. Beim Schützenfest in Oedingen gibt es zum Beispiel schon eine gute Kinderbetreuung. Aber ich glaube, selbst wenn all das umgesetzt wäre, würde ich nicht wieder eintreten. Denn über bestimmte Aspekte, die eine militärische Tradition beinhalten, haben wir ja noch gar nicht gesprochen.
Herr Schäfer, Sie haben angesprochen, dass sich viele Schützenvereine bemühen, mit der Zeit zu gehen und Kompromisse zu finden. Was sind für Sie umgekehrt Eckpfeiler, an denen Sie auf gar keinen Fall rütteln würden?
Schäfer: Schwierige Frage. Mich da jetzt auf bestimmte Dinge festzulegen, fällt mir schwer, weil es einfach so viele schöne Dinge gibt.
Aber ein Schützenkönig wird schon weiter dazugehören?
Schäfer: Das auf jeden Fall.
>>> Die Gesprächspartner
Jannik Schäfer hat die Nähe zum Schützenwesen schon in die Wiege gelegt bekommen. Sein Vater Jochen war viele Jahre lang 1. Vorsitzender und Major des Schützenvereins in Heggen. Der 24-Jährige, dualer Student bei der Bezirksregierung Arnsberg, war Hauptmann der Jungschützen in Heggen und ist Sprecher der Jungschützen im Kreis Olpe. Am Samstag wird er dieses Amt an einen Nachfolger übergeben.
Gregor Kaiser war 1992 Jungschützenkönig bei den St.-Quirinus-Schützen in Oberelspe, gehört dem Verein inzwischen aber nicht mehr an. Der Forstwirt bewirtschaftet einen eigenen Betrieb, mit dem er unter anderem ökologische Weihnachtsbäume anbaut.