Kreis Olpe/Südwestfalen. Isabell Mura, Chefin der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) für Südwestfalen, redet Klartext über die Situation in der Gastrobranche.

Die Corona-Pandemie hat gerade der Gastro-Branche arg zugesetzt. Zwei Jahre lang ein dauerndes Auf und Ab, Lockdowns, 2G, 3G-Regelungen, aber auch staatliche Hilfen, die die Hoteliers und Wirte vor bürokratische Hürden stellten. Jetzt die Inflation, explodierende Rohstoff- und Energiepreise - und ein gestiegener Tarif im Niedrig-Lohnbereich. Zu den zahlreichen Themen, die die Branche derzeit bewegt, stand uns Isabell Mura, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten für Südwestfalen, Rede und Antwort.

Frage: Frau Mura, die Gastronomie hat während Corona eine der schwersten Krisen nach dem 2. Weltkrieg überstehen müssen. Was hätte aus Ihrer Sicht, also aus Sicht der NGG, anders laufen können oder müssen?

Isabell Mura: Auf jeden Fall hätten sich die Arbeitgeber beim Thema Kurzarbeitergeld deutlich mehr bewegen müssen.

In welche Richtung bewegen?

Der Arbeitgeberverband Dehoga hat sich geweigert, mit uns eine tarifliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes zu vereinbaren.

Wie viel Prozent des Lohnes ist das?

Das Kurzarbeitergeld lag zu Beginn der Corona-Krise bei 60 Prozent des Nettolohnes und wurde dann während der laufenden Krise aufgestockt. Der Bund der System-Gastronomie hat mit uns eine tarifliche Regelung geschaffen, die Dehoga nicht. Und wir haben in einzelnen Hotels dann nur über Betriebsräte Lösungen finden können. Das Lohnniveau im Gastgewerbe ist ohnehin so niedrig, dass viele Beschäftigte von diesem Geld nicht mehr leben konnten und aus der Branche geflüchtet sind.

Ist das Kurzarbeitergeld dann irgendwann doch erhöht worden?

Ja, als die gesetzliche Regelung für das Aufstocken kam. Da kam es darauf an, wie lange sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin bereits in der Kurzarbeit befand, und dann wurde bis auf 80 Prozent aufgestockt.

Das war dann aber eine kräftige Erhöhung.

Ja, aber die kam durch den Gesetzgeber und leider erst relativ spät. Für viele Beschäftigte war das schon zu spät.

Wissen Sie, wie viele gastronomische Betriebe in ihrem Geschäftsgebiet, das ist Südwestfalen, während der Pandemie aufgegeben haben oder aufgeben mussten?

Nein, Zahlen liegen uns noch nicht vor.

Rund um den Mindestlohn und Tariflöhne sind in den vergangenen Wochen offenbar Missverständnisse in der Branche entstanden. Können Sie zu diesen Themen aufklären. Was ist jetzt Sache?

Wir haben einen Tarif für das Gastgewerbe in NRW. Da lag der niedrigste Lohn sehr niedrig.

Wo genau?

Bei 9,80 Euro die Stunde.

Welche Berufe oder Tätigkeitsfelder betrifft das?

Das sind Hilfskräfte wie beispielsweise Spüler in den Küchen.

Was gilt jetzt?

Während der Pandemie konnten wir mit dem Arbeitgeberverband Dehoga gar nicht verhandeln, da waren die abgetaucht, und wir konnten erst Ende 2021 wieder Verhandlungen aufnehmen. Bei diesen Verhandlungen ist uns ein Tarifabschluss gelungen, dass wir ab Mai 2022 den niedrigsten Tariflohn bei 12,50 Euro die Stunde haben aushandeln können. Das sind 28 Prozent mehr als zuvor. Es bedeutet, dass sich die eben erwähnten spülenden Mitarbeitenden über einen Stundenlohn von 12,50 Euro freuen können.

Und der gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro kommt im Oktober, hat damit also eigentlich nichts zu tun?

Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 Euro kommt zum 1. Oktober. Unser Ziel war es, in unseren Branchen aus diesem Mindestlohnbereich rauszukommen. Im Tarifvertrag ist auch vereinbart, dass unser Einstiegslohn immer 50 Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen muss im Gastgewerbe.

Der Engpass der Gastronomie bei den Mitarbeitern ist neben Lohnfragen vermutlich das größte Problem. Glauben Sie, dass der gestiegene Tarif das Problem ein wenig mildern kann?

Jein. Der Lohn ist definitiv ein Anreiz, vielleicht doch in der Branche zu bleiben. Ich habe leider nur Zahlen aus dem Jahr 2020. Da ist im Kreis Olpe jeder fünfte Beschäftigte aus der Branche geflohen. Wir gehen davon aus, dass sich das in 2021 noch zugespitzt hat. Wir kennen Hotels mit Betriebsräten, in denen diese Zahl bei rund 50 Prozent liegt.

Wenn die Hälfte der Beschäftigten weglaufen, bleibt ja nur noch die Schließung.

Schließen tun die Hoteliers nicht, sie wälzen die Arbeit auf die dagebliebene Belegschaft ab. Die Belastung derer steigt dann aber noch einmal, und auch diese Mitarbeiter schauen sich nach Alternativen um.

Ein Teufelskreis?

Ja natürlich. Die Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe waren aber auch schon in der Vergangenheit nicht rosig. Es gab immer schon viele unbezahlte Überstunden, einen sehr rauen Umgangston, und diese strukturellen Probleme müssen von der Branche angegangen werden. Da ist das Geld die eine Sache, aber auch die anderen Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Denn vom Grundsatz her gibt es viele tolle Berufe dort, ob es der Hotelfachmann ist oder die Köchin.

Jetzt kommen explosionsartig steigende Rohstoffpreise noch hinzu. Das Brat- und Frittenfett zum Beispiel, die Energie, der Bierpreis und vieles mehr. Auf der anderen Seite Kunden, denen das Geld knapper wird. Was bleibt der Gastro- aber auch der Nahrungsmittelbranche da überhaupt noch für eine Möglichkeit?

Das ist tatsächlich ein riesiges Problem, sowohl auf der Seite der Arbeitgeber als auch auf der der Beschäftigten. Es ist eine Spirale: Die Menschen bräuchten mehr Geld, um es ausgeben zu können und sich den Luxus einer Hotelübernachtung oder eines Restaurantbesuches überhaupt gönnen zu können. Deshalb ist es wichtig, dass die Löhne weiterhin steigen in allen Branchen und sich die Inflation hoffentlich wieder beruhigt.

Wer soll sich ein 0,2 Liter-Glas Bier für mehr als 2 Euro leisten?

Gute Frage. Vor allem Menschen, die im Niedriglohnbereich beschäftigt sind, können das nicht.

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Ist die Zahl der NGG-Mitglieder in Südwestfalen während der beiden Pandemiejahre konstant geblieben?

In unserem Gebiet haben wir sogar einen Zuwachs bei der Mitgliedschaft erlebt.

Bei sinkender Beschäftigtenzahl?

Der Zuwachs bezieht sich nicht auf das Gastgewerbe, da haben auch wir Mitglieder verloren. Wir haben aber einen Zuwachs vor allem bei den Brauereien, aber auch im Bereich der Fleischwirtschaft erleben können.

Geht es diesen Branchen im Verhältnis noch gut?

Die Brauer haben auch gelitten, weil denen durch die Schließung der Gastronomie der Fassbierabsatz eingebrochen ist. Aber trotzdem sind sie noch relativ gesund. Im Bereich der Fleischindustrie haben wir durch die Eingliederung der Werkverträge in die feste Belegschaft viele Mitglieder für uns gewinnen können, die jetzt deutlich bessere Arbeitsbedingungen haben.

Ein Blick über den Tellerrand: Glauben Sie, dass wir vor einer seit dem 2. Weltkrieg nie dagewesenen Wirtschaftskrise stehen?

Soweit würde ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Aber die vielen Krisen, die uns in kurzem Zeitabstand, ja fast gleichzeitig ereilen, von Corona bis hin zu dem schrecklichen Krieg in der Ukraine, stellen uns alle vor große Herausforderungen.

Verliert eine Gewerkschaft in solchen Krisenzeiten nicht an Druckmittel, nach dem Motto: Jetzt kommen die auch noch mit ihren Lohnerhöhungen?

Das definitiv nicht. Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass in den Bereichen, wo Gewerkschaften und Betriebsräte aktiv waren, es eben gelungen ist, das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Diese Belegschaften sind deutlich produktiver, es ist eher ein Gewinn für beide Seiten. Da, wo Solidarität gelebt wird, ist das Arbeitsklima besser. Das sind Betriebe, die besser durch die Krise gekommen sind.

Was würden Sie denn tun, wenn Sie Bundeswirtschaftsministerin wären?

Das bin ich zum Glück nicht. Die Aufgabe überlasse ich Leuten, die da mehr Ahnung von haben.

Zur Person

Isabell Mura wurde 1984 in Oberhausen geboren, wuchs in Gelsenkirchen auf und machte am dortigen „Schalker Gymnasium“ auch ihr Abitur. Im Anschluss studierte sie Lehramt für die Sekundarstufe 2 an der Uni Duisburg-Essen, entschied sich nach dem ersten Staatsexamen aber für den Weg zur Gewerkschaft NGG. Beide Eltern sind aktive Gewerkschafter.

Nach zwei Stopps in Bayern (Allgäu und München) kehrte sie 2012 zurück nach NRW, war Gewerkschaftssekretärin in der Region Düsseldorf-Wuppertal. Seit 2015 ist sie Geschäftsführerin in der NGG Region Südwestfalen. 2018 wurde sie stellvertretende Landesbezirksvorsitzenden der NGG NRW.

Isabell Mura ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.