Kreis Olpe/Siegen. Die Russlandkrise wirft ihren Schatten auch bis in den Kreis Olpe: Vor allem Unternehmen, die viel Energie benötigen, haben größte Sorge.
Mit seinem Tweet, dass die Gaspreise beim Verzicht auf Nordstream 2 durch die Decke gehen würden, versucht der ehemalige russische Staatspräsident Dmitri Medwedew, die deutschen Industrie einzuschüchtern. Die von ihm angekündigte Prognose: 2000 Euro für 1000 Kubikmeter Erdgas wäre mehr als eine Verdoppelung des aktuellen Niveaus. Was sagen Vertreter der heimischen Industrie zu solchen Horror-Szenarien und wie stehen sie zum Russland/Ukraine-Konflikt? Wir fragten nach.
Christopher Grünewald
Dr. Christopher Grünewald (Kirchhundem) führt mit der Papierfabrik Grünewald Papier in Hofolpe einen besonders energieintensiven Betrieb, der Verpackungspapiere u. a. für Bäckerbeutel und Versandtaschen für den europäischen Markt herstellt: „Wir machen uns schon große Sorgen. Man darf nicht vergessen, dass sich die Energiepreise bereits auf einem extrem hohen Niveau befinden.“ Grünewald Papier verbrauche pro Jahr rund 72 Millionen Kilowattstunden Gas und etwa 28 Millionen Kilowattstunden Strom. „Wer langfristige Verträge abgeschlossen hat, ist weniger stark betroffen. Es gibt aber Unternehmen, die gezwungen sind, sowohl Gas als auch Strom tagesaktuell an der Börse zu kaufen. Uns betrifft das glücklicherweise nur mit einem geringeren Anteil.“ Sollte Gas durch die Krise verknappt werden, gehe es natürlich weiter nach oben, auch beim Strom: „Wir haben bereits einen Energiekostenzuschlag auf unseren Produkten, den wir in dieser Form noch nie hatten. Insgesamt besteht ein massiver Wettbewerbsnachteil insbesondere zu skandinavischen Mitbewerbern, die mit Wasserkraft, Kernenergie und Biomasse ganz anders aufgestellt sind.“
Klaus Gräbener
Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der IHK, kann das wirtschaftliche Verhältnis der Region zu Russland mit konkreten Zahlen unterfüttern: „Wir haben in unseren beiden Kreisen 176 Firmen, die Exportbeziehungen nach Russland unterhalten. Ein Dutzend davon haben dort auch Niederlassungen.“ Bei der Ukraine wären das zum Vergleich nur 56 heimische Unternehmen, bei zwei Niederlassungen.
Gräbener weiter: „Das Handelsvolumen aus NRW mit Russland (Import und Export zusammen) belief sich 2021 auf rund 8,9 Milliarden Euro.“ Um die Größenordnung einstufen zu können, müsse man wissen, dass das Volumen mit China bei rund 48 Milliarden Euro gelegen habe.
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Gräbener warnt aber davor, die Relevanz der aktuellen Krise allein daran festzumachen: „Rund 55 Prozent des in Deutschland benötigten Erdgases kommen aus Russland. Und die Energiepreise sind ein ganz wesentlicher Faktor.“ In einer größeren Umfrage im IHK-Bezirk seien 262 Firmen befragt worden, und „88 Prozent sehen in weiter explodierenden Rohstoffpreisen das größte Zukunftsrisiko.“ Gräbener weiter: „Sie können fragen, wen sie wollen, die durch die Decke knallenden Energiepreise machen auch der heimischen Industrie größte Sorgen. Das überlagert jedes andere Thema.“ Und es treffe die Unternehmen in einer Phase, in der sie sich nach Corona gerade wieder erholt hätten. Vor allem im Kreis Olpe. 12 Prozent der Befragten in beiden Kreisen des IHK-Bezirks rechneten damit, dass weiter steigende Energiepreise existenzgefährdend seien könnten.
Ludger Ohm
Dr. Ludger Ohm, Mitgeschäftsführer der energieintensiven Metallgießerei Ohm & Häner, bestätigt ein bisher sehr gut verlaufendes Geschäftsjahr 2022: „Im Moment haben wir sehr gut zu tun, sind volle Pulle unterwegs. Aber wir alle leben vom Vertrauen in die Wirtschaft und dem weltweiten Warenaustausch.“ Eine Krise wie die sich jetzt abzeichnende „könnte eine Schockwelle auslösen, die uns wieder vom Pferd reißt.“
Man müsse damit rechnen, dass die russische Bevölkerung eine große Leidensfähigkeit aufbringe, ein Embargo durchzustehen und Putin dennoch zu folgen. Wenn sich die Krise ausweite, sei auch in der heimischen Wirtschaft zu befürchten, dass der durchaus zu verzeichnende Aufschwung wieder einbreche. Und wer könne voraussagen, was passiere, wenn der große chinesische Lenker sich bei der abtrünnigen Provinz Taiwan ähnlich verhalte wie Putin jetzt.