Kreis Olpe. . Der Lennestädter Unternehmer Felix G. Hensel bezieht klare Position zur deutschen Energiepolitik.

Als Unternehmer, ehemaliger Vorsitzender des heimischen Arbeitgeberverbandes und Präsident der IHK Siegen ist Felix G. Hensel über die Grenzen der Region hinaus bekannt. Weniger bekannt ist, dass er sich seit vielen Jahren intensiv mit Fragen der Energieversorgung und der Klima-Politik beschäftigt. Wir hatten Gelegenheit, den 72-jährigen Betriebswirt zu diesen Themen zu befragen. Hensel legt Wert auf den Zusatz, dass es sich um seine ganz persönliche Position handelt.

Herr Hensel, welche Schulnote würden Sie der deutschen Energiepolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte geben?

Fünf bis Sechs.

Warum?

Weil alles andere als konsequent gehandelt wurde. Mit einer unglaublichen Leichtfertigkeit werden seit Jahren die Grundlagen unseres Wohlstandes aufs Spiel gesetzt.

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Welches sind die wesentlichsten Fehler?

Es ist ein typisch deutsches Verhaltensmuster, zu meinen, man könne die Welt retten. Wir sind für zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich und glauben, wenn wir den reduzieren, könnten globale Probleme gelöst werden.

Wo ist der Hebel anzusetzen?

Es war ein großer Fehler, so zeitnah aus der Atom-Energie auszusteigen. Die Atom-Energie ist die Energieform, die keinen CO2-Ausstoß verursacht. Der aktuell geltende Zeitplan sieht einen viel zu frühen Ausstieg vor. Die Atomkraftwerke in Deutschland sind die sichersten der Welt. Sie sind weder Tsunami- noch Erdbeben gefährdet. Das Thema der Entsorgung ist zwar ein Problem, ein weltweites im übrigen, aber unsere modernen und sicheren Atomkraftwerke sollten vernünftigerweise viel länger in Betrieb sein als bis 2022.

Wie viel Energie erzeugen die aktuellen Atomkraftwerke in Deutschland?

Rund zehn Gigawatt, und mir soll mal jemand erklären, wie wir da aussteigen wollen, was ja festgeschrieben ist, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.

Parallel dazu sollen ja auch noch Millionen von Elektromobilen auf Deutschlands Straßen rollen.

Auch da möchte ich dann wissen, woher dieser Strom kommen soll. Selbst die Fachleute, die mit der E-Mobilität direkt zu tun haben, sagen, dass das völlig an der Realität vorbeigeht. Wir sollen E-Autos fahren, aber der Strom dafür sollte nur aus regenerativen Quellen gespeist werden. In Wahrheit sind wir weit davon entfernt, das zu gewährleisten.

Muss einem Angst und Bange werden?

Es wird eigentlich immer schlimmer. Die Diskussion geht ja sogar dahin, dass wir nach dem Ausstieg aus der Atomkraft möglichst schnell die ersten Kohlekraftwerke abschalten wollen. Da fehlen mir die Worte.

Wird Deutschland durch eine Form der Klima-Hysterie in die Irre geführt?

Der sogenannte Klimawandel ist in Deutschland zu einer Art Ersatz-Religion geworden. Es wird gar nicht mehr darüber nachgedacht, wodurch das Klima eigentlich wesentlich beeinflusst wird.

Ist der Mensch doch nicht der große Klima-Wandler?

Klimawandel hat es immer gegeben und wird es immer geben. Er ist zunächst naturgegeben. Mich stört, wenn von Klimawandel gesprochen wird, dass sofort unterstellt wird: Das kann nur der Mensch sein.

Ein Beispiel?

Als die starken Polareinflüsse in den USA zu Tiefst-Temperaturen von bis zu minus 40 Grad führten, war sofort die Rede vom dafür verantwortlichen Klimawandel, ohne dass von Seiten der Fachleute in irgendeiner Weise auch auf natürliche Ursachen hingewiesen wurde. So wurde einfach unterstellt, der Mensch sei auch für solche gewaltigen und sich hin und wieder wiederholende Wetter-Phänomene verantwortlich. Wissen Sie eigentlich, wie viel CO2 in unserer Luft ist?

Sie erwischen mich auf dem falschen Fuß.

Dieses Wissen ist ungeheuer hilfreich. Unsere Luft besteht zu 21 Prozent aus Sauerstoff, aus etwa einem Prozent aus Edelgasen und zu 78 Prozent aus Stickstoff. Und was bleibt dann noch übrig? 0,038 Prozent CO2. Und ich darf daran erinnern: CO2 ist ein Spurengas, das unverzichtbar ist für pflanzliches, tierisches und menschliches Leben. Das hat es immer gegeben, ist nicht erst durch den Menschen erzeugt worden. Es ist dringend Aufklärungsarbeit nötig, schon in den Schulen.

Warum löst das Thema starke Emotionen aus?

Wir erleben derzeit, dass eine schwedische Schülerin sich des Themas sehr emotional bemächtigt und damit durchschlagenden Erfolg hat. Viele Schüler auch in Deutschland rennen hinterher, versäumen sogar den Unterricht, um zu demonstrieren. Dabei hätten sie gerade zu diesem Thema den naturwissenschaftlichen Unterricht bitter nötig.

Es bleibt die Frage: Welchen Anteil hat der Mensch am Klimawandel?

Da gehen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander. Es geht um die Frage: Sind es nun zwei Prozent oder vier Prozent, die vom Menschen erzeugt werden. Der Löwenanteil ist naturgegeben. Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Ich bin kein Freund davon, dass wir Menschen ungezügelt CO2 produzieren sollten, ich möchte nur, dass die Relationen im Auge behalten und nicht unter der Klima-Ideologie begraben werden.

Wird das Thema von der Politik missbraucht?

Die Hysterie wird ausgenutzt. Von daher bin ich in großer Sorge, dass wir weit übers Ziel hinausschießen und das Thema Versorgungssicherheit für das ganze Land hinten anstellen, was zu schweren Schäden führen kann, nicht nur für die Industrie. Wenn es mal zum Blackout in der Stromversorgung kommen sollte, hätte das katastrophale Folgen.

Ist das nicht zu apokalyptisch gesehen?

Es hat vor wenigen Monaten einen Berechnungsfehler gegeben, wie viel erneuerbare Energie witterungsbedingt zu einem gewissen Zeitpunkt zur Verfügung stehen würde. Da es dann anders kam, mussten sofort bundesweit etliche Walzwerke heruntergefahren werden, um das Netz zu stabilieren. Größenordnung: mehr als ein Gigawatt. Ankündigungsdauer für die Unternehmen: 15 Minuten. Der größte Strom verbrauchende Betrieb in Deutschland berichtete in diesem Zusammenhang von 78 solchen gravierenden Einschnitten in seine Produktion alleine im Jahr 2018.

Die Erneuerbaren sind aber auf dem Vormarsch.

Das trifft mit rund 38 Prozent Stromerzeugung aber nur auf den Durchschnitt des Jahres 2018 zu. Die Durchschnittsbetrachtung hilft hier aber nicht. Während sogenannter Dunkel-Flauten, typisch für die Wintermonate, liegt der Anteil der Regenerativen zeitweise bei gerade mal 12 Prozent. An bestimmten Tagen und Nächten liefern Sonne und Wind nur drei bis vier Prozent. Wie soll das funktionieren, wenn wir weitere Kraftwerks-Kapazitäten abschalten? Aber darüber wird gar nicht laut diskutiert. Es geht nur darum, möglichst schnell die Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke still zu legen, damit wir hier das Klima retten.

Bleibt am Ende nur, in der Not Atomstrom aus dem Ausland zu kaufen?

Vom Gedanken, dass das Ausland bereit steht, wenn es hier klemmt, sollten wir uns verabschieden. In den kritischen Jahreszeiten, über die wir gerade gesprochen haben, hat auch das Ausland viel zu wenig Ressourcen, um uns zu helfen.

Mit welchen Folgen müssten wir rechnen?

Wehe, wenn wir hier unseren guten Ruf verlieren, nachdem die in Deutschland als sicher gerühmte Energieversorgung einen Blackout erlebt hat.

Meinen Sie den Industriestandort?

Nicht nur. Auch Dienstleister sind immens betroffen. Denken wir nur an die großen Internetfirmen, die heute in gigantischem Umfang Energie brauchen.

Ein Beispiel?

Im Raum Frankfurt verbrauchen die dortigen Internetfirmen in ihren Rechenzentren mehr Strom als der gesamte Flughafen. Und dann reden wir momentan mit voller Begeisterung über 5G, also die 5. Mobilfunk-Generation. Was glauben Sie, wie viel Strom da noch einmal zusätzlich benötigt wird. Riesenmengen. Aber die Politik redet nur vom Stilllegen.

Wie viel konventionelle Kraftwerke gibt es derzeit in Deutschland?

Zurzeit 42 Großkraftwerke für Braun- und Steinkohle. Und die sollen Stück für Stück abgeschaltet werden, weil wir ja die Welt retten wollen. Aber aktuell werden in der Türkei, in Indonesien und in Vietnam 118 neue Kohlekraftwerke gebaut und in China alleine 256 neue.

In den nächsten Jahren?

Die sind im Bau, können von Satelliten aus beobachtet werden.

Setzen andere Nationen auch noch auf neue Atomkraftwerke?

Ja natürlich. Ich habe die genaue Zahl aber nicht parat. Ganz sicher im zweistelligen Bereich, weltweit. Nur wir sind offenbar schlauer.

Zieht sich ihre Befürchtung durch weite Teile der Unternehmerschaft oder machen sich nur die Sorgen, die viel Energie verbrauchen?

Mein Kollege Arndt G. Kirchhoff ist in der FAZ mit den Worten zitiert worden: ,Dreht uns nicht den Saft ab’. Mit ihm bin ich in engem Kontakt in der Frage, aber auch mit Dr. Christopher Grünewald, der der Energiebeauftragte des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ist. Und wir sind alle der gleichen Meinung. Diejenigen, die sich tiefergehend mit dem Thema beschäftigen, sind sehr besorgt. Viele meiner Kollegen glauben daran, dass es zum Blackout kommen wird.

Energie-intensive Unternehmen gibt es auch im Kreis Olpe zur Genüge.

Allerdings. Gießereien oder Walzwerke wie die der Gebrüder Kemper können für wenige Stunden Notstrom-Aggregate anwerfen, aber dann ist Schluss.

Wird der existentielle Wert des Stromes unterschätzt?

Im vergangenen Sommer fiel auf der weitgehend unbekannten griechischen Insel Hydra der Strom aus, weil das einzige Versorgungskabel beschädigt worden war. Nach zwei Tagen herrschten bürgerkriegsähnlichen Zustände. Da funktionierte nichts mehr.

Ohne Strom steht die Gesellschaft dann sozusagen schnell unter Strom.

Dann bricht die Gesellschaft ganz schnell auseinander. Die Energiewende, die mit wehenden Fahnen propagiert wurde, ist dann sofort Makulatur.

Was könnte einen Bewusstseinswandel einleiten?

Sollte es zu Problemen kommen, hoffe ich, dass es sich regional begrenzen lässt und die Menschen sehen, welch gravierende Folgen ein Energie-Blackout hat. Dann wird gegengesteuert, zwangsläufig.

Wer so argumentiert, muss dafür plädieren, still gelegte Kraftwerke besser stehen zu lassen.

Auf jeden Fall. Wir sollten die Atomkraftwerke nicht alle abreißen, sondern für den Notfall präparieren.

Gibt es weitere Strategien?

Wir müssen dringend, um nach 2022 eine sichere und bezahlbare Grundlastversorgung sicherzustellen, Gaskraftwerke bauen. Die können relativ schnell hochgefahren werden. Rund zehn Prozent unserer Energieversorgung wird schon durch Gas sichergestellt, aber was sind zehn Prozent, wenn 30 Prozent abgeschaltet werden. Firmen wie Siemens oder Alstom müssten ihre Kapazitäten eher hochfahren als reduzieren, was den Bau von Gaskraftwerken angeht.

Wenn genügend Windstrom an der Nordseeküste produziert werden sollte, wie steht es um die Netze?

Auch hier hilft ein Blick auf die Fakten: Ganze 28 Kilometer Höchstspannungsleitung sind in 2018 hinzugekommen. Eine Wanderschnecke schafft im Jahr rund 30 Kilometer. Wir haben 150 km von geplanten 5900 km, die inzwischen realisiert worden sind. Und nach meinen Informationen ist vor wenigen Wochen durchgesickert, dass noch mehr dieser Leitungen nötig sind Kostenpunkt: weitere 20 Milliarden Euro. Wann soll das denn alles realisiert werden?

Was wäre von einem Energieminister Hensel zu erwarten?

Dass ich sofort alle Fachleute an den Tisch holen würde, die in den vergangenen Jahren systematisch von der Politik aussortiert worden sind. Ziel wäre ein Krisenplan, der für den Fall greift, wenn die Erneuerbaren wegen ungünstiger Witterung nicht genug liefern können. Zudem muss realistisch analysiert werden, wer und was die etwa 50 Prozent der Energie, die momentan noch durch Atom- und Kohlestrom erzeugt werden, zukünftig - und zwar in weniger als vier Jahren beginnend - ersetzen sollen?

Also eine völlige Umkehr dessen, was derzeit geschieht?

Eine völlige Umkehr. Wir dürfen nicht weiter Wunschträume verfolgen, mit denen wir unser Land vor die Wand fahren.