Hagen. Frank Reh hat sich die Artenvielfalt und den Schutz der Insekten auf die Fahnen geschrieben. Daher appelliert er, Grünanlagen umzugestalten.
Ursprünglich blickte er vorzugsweise auf die eigene Scholle. Doch inzwischen stehen die großen Grünflächen der Stadt Hagen in seinem Fokus. Frank Reh, Sprecher der Regionalgruppe Südwestfalen im Naturgarten-Verein, möchte nicht bloß in den privaten Gärten oder auf Grünflächen von Betrieben, sondern vor allem auf öffentlichen Arealen ein Umdenken zu mehr Natur bewirken: „Zum Sprung vom Garten auf die großen Flächen kam es, als mir bewusst wurde, wie dramatisch inzwischen das Insektensterben ist.“
Ein Mann mit Herz für die Garten-Natur
Der leidenschaftliche Hagener Frank Reh, der viele Jahre seines Lebens sowohl aus beruflichen als auch privaten Gründen im Ausland verbracht hat, kämpft mit seinem ökologischen Engagement gegen das fortschreitende Insektensterben.Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Diplom-Ökonom verbrachte unter anderem viele Jahre in Norwegen, den USA und in Frankreich und Hawaii, war beruflich aber auch in Berlin, Frankfurt, Köln und in Essen engagiert.Der Noch-60-Jährige, ist letztlich gerne nach Hagen zurückgekehrt, weil er die Stadt mag und sich dort sehr wohlfühlt.Dabei schätzt er vor allem die Möglichkeiten, die ihm das Ruhrgebiet beispielsweise mit dem breiten Kultur- und Natur-Angebot bietet. Das müsse sich hinter ähnlich dimensionierten Metropolen wie Berlin oder New York nicht verstecken.Vor allem der zwischenmenschliche Umgang in Hagen, wo Reh noch reichlich Freunde und Familie hat, gefällt ihm – auch im internationalen Vergleich: „Ich komme mit der westfälischen Mentalität sehr gut zurecht.“Zudem engagiert sich der Emster in dem Verein Naturgarten, weil er schon als Jugendlicher sein Interesse für dieses Themengebiet entdeckt hat. Animiert vom elterlichen Garten hat er schon mit 14 Jahren einen VHS-Kurs zum Amphibien- und Reptilienschutz besucht.Inspiriert von Vordenkern der Szene hat Frank Reh letztlich viele Jahre später seinen eigenen Garten als sein privates Naturschutzgebiet entdeckt und die Begegnungen mit Gleichgesinnten bei den Naturgartentagen als Inspiration schätzen gelernt.Der Naturschützer ist seit der letzten Kommunalwahl Mitglied der Grünen und engagiert sich dort vorzugsweise im Umweltausschuss. Reh spürt dabei durchaus, dass er als Grünen-Mitglied von der Stadtverwaltung anders wahrgenommen wird, als wenn ermit seinen Umwelt-Themen le-diglich als Bürger vorsprechen würde.
Ihm war sehr schnell klar, dass man hier mit 20-Quadratmeter-Gärten als Ehrenamtlicher nur wenig bewirken kann. Deshalb ist er 2019 auf die Stadt Hagen zugegangen, die über mehrere 100.000 Quadratmeter Grün verfügt, um hier für einen ökologischen Kurswechsel zu werben. Aber auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen informiert Reh in Form von Vortragsveranstaltungen inzwischen über die Naturgarten-Philosophie. „Wir haben im Naturgartenverein nicht etwa den Naturschutz dogmatisch im Blick. Wir sagen immer, dass Naturgärten ein Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen sind. Wir wollen keine Naturschutzgebiete haben, in die keiner reintreten kann. Sondern die Nutzung soll stattfinden, damit vorzugsweise die Kinder echte Natur auch erleben können.“
Wie offen sind die Ohren beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) inzwischen für Ihre Themen sowie den Artenschutz der Insekten? Schließlich muss dort ja alles umgesetzt werden.
Da kann ich den WBH nur loben. Als ich im Jahr 2019 auf die Politik zugegangen bin, wurde ich auf den verantwortlichen WBH-Fachbereichsleiter Gerald Fleischmann verwiesen. Zusammen mit Thomas Becker, Fachleiter Grün, stellte er – zusammen mit einer enormen Fachkenntnis – die Summe von 20.000 Euro als Startkapital bereit, um auf einer Pilotfläche im Lennetal in die Thematik einzusteigen. Natürlich sind die weiteren Möglichkeiten seitdem stets von den Finanzen abhängig. Viele andere Städte sind schon deutlich weiter – selbst Großstädte wie Frankfurt, Köln oder auch Dortmund. Dort wird das in der Verwaltung längst gelebt. Da vermisse ich in Hagen manchmal noch die Leidenschaft.
Jetzt mal konkret: Was möchten Sie gerne umgesetzt wissen?
Wir schlagen vor, dass der Natur in Form von einheimischen Wildpflanzen und naturnah gestalteten Biotopen noch mehr Raum in den öffentlichen Grünanlagen in Hagen eingeräumt wird. Dieses Konzept fußt auf der Erkenntnis, dass für die Insektenvielfalt die Vermeidung exotischer Zierpflanzen und die Verwendung einheimischer Wildpflanzen der Schlüsselfaktor ist. Mit der Förderung der Insektenvielfalt geht zudem eine positive Wirkung auf alle anderen Tierarten aus. Hinzu kommt: Es wird ein Beitrag zur Abmilderung der klimatischen Änderung im Innenstadtbereich geleistet. Naturnah gestaltete Grünflächen, insbesondere Wiesen, binden CO2 und sorgen für eine Abkühlung der Lufttemperatur. Und die heißen, trockenen Sommer werden auch in Hagen eine Abkehr von den traditionellen Bepflanzungen fordern, da der Gießaufwand nicht mehr zu leisten und bezahlen ist. Einheimische Pflanzen sind besser angepasst, mit diesen Einflüssen umzugehen.
Was ist am regelmäßigen Mähen einer Rasenfläche denn verkehrt?
Dies ist ein ökologischer Irrweg – es werden sich dort keine Insekten ansiedeln. Wildgräser und Wildblumen, die den Insekten als Lebensraum und Nahrungsquelle dienen, bieten sie keine Entfaltungsmöglichkeiten. Solche Pflanzengesellschaften entwickeln sich eher auf nährstoffarmen Untergründen, wo extensiv gepflegt wird. Dort wird dann lediglich im Frühsommer nach der Samenreife und im Herbst gemäht, die Mahd bleibt liegen, bis die Samen am Boden angekommen sind, und dann wird der Schnitt abgefahren, um den Boden über Jahre auszumagern, also die Nährstoffe zu entziehen. So entsteht zugleich wieder Licht, damit die bunten Blumen sich jedes Jahr ein wenig besser entwickeln können. Wir imitieren nur das, was in den Alpen mit der Beweidung passiert. Und dort gibt es bekanntlich die schönsten Wiesen.
Aber warum ist es teurer, wenn seltener gemäht wird?
Falls es teurer sein sollte, müsste diese Aufgabe als Teil des Artenschutzes begriffen und daher auch direkt von der Kommune übernommen werden. Die Stadt Hagen ist der Bundesinitiative Biologische Vielfalt beigetreten und damit geht eine Verpflichtung einher, Artenschutz in der Kommune umzusetzen.
Sind da nicht die politischen Entscheider gefragt, die zwar gerne Öko- und Klimaresolutionen verabschieden, aber die Thematik selten mit ausreichend Geld hinterlegen?
Grundsätzlich ist das richtig, die Politik muss hier eine Entscheidung treffen. Ob das mehr Geld kosten wird, ist nicht geklärt. Aber wer hat denn gesagt, dass eine Rasenfläche acht- bis zwölfmal im Jahr gemäht werden muss?
Das hat Herr Fleischmann zuletzt durchaus offen kommuniziert. Er hat deutlich gemacht, dass die Kosten für Grünunterhaltung reduziert werden mussten und nichts billiger sei, als regelmäßig zu mähen und den Grünschnitt einfach liegen zu lassen. Also wieder eine Finanzfrage. Aber inzwischen sind Sie ja längst aus der Pilotphase heraus. Wo steht das Projekt heute?
Gemeinsam mit der Politik und dem Oberbürgermeister wurden in einem nächsten Schritt 100.000 Euro bereitgestellt und 100.000 Quadratmeter öffentliche Wiesenflächen aus der Intensivpflege herausgenommen. Inzwischen sind wir sogar schon bei 160.000 Quadratmetern angekommen, die extensiv bewirtschaftet werden. Aber es geht noch mehr.
Die älteste, stadtbekannte Fläche, die so gepflegt wird, ist das Kleeblatt am Autobahnzubringer unter den „Hagener Lampen“. Viele Bürger können nicht verstehen, warum man ausgerechnet am Ortseingang, also an der Visitenkarte, eine solche, weniger ansehnliche Fläche entstehen lässt. Müsste man das nicht besser erklären oder gar eine Informationstafel „Hier wächst für Insekten eine Naturwiese“ aufstellen?
Natürlich müsste man sich offensiver dazu bekennen. Und das wollen wir auch noch in diesem Jahr ändern. Wir müssen die Bürger sensibilisieren und aufklären, was dort passiert. Ich weiß, dass die Stadtverwaltung daran arbeitet. Meine Vision ist, dass Hagen in der Naturgartenszene sich bundesweit einen Namen macht und mit seiner Wiesen-Kultur zumindest auf regionales Interesse stößt. Hagen – Die Stadt der Artenvielfalt, das wäre ein tolles Marketing.
Aber was sagen Sie dem verärgerten Vater, der mit seinen Kindern im Emster Park kein Fußball mehr spielen kann, weil das Gras dafür viel zu hoch wuchert?
Dafür habe ich absolutes Verständnis. Es sollte für jede Bedürfnisse in Hagen den Raum geben. Die Leute sollen auf einem kurz geschorenen Rasen Fußball spielen, dort liegen und Picknick machen können. Es wäre aber schön, wenn neben dieser Fläche auch die Natur zu ihrem Recht kommt und andere sich an den Pflanzen und Tieren erfreuen können. Die Mischung macht’s. Ich träume nicht davon, dass ganz Hagen nicht mehr gemäht wird. Wir müssen aber auch auf den Klimawandel blicken: Einheimische Wildpflanzen sind viel pflegeärmer, halten auch Trockenperioden aus und sind nachhaltig, weil sie jedes Jahr wieder kommen. Letztlich brauchen wir für die Bürger ein Gesamtkonzept, bei dem am Ende der Artenschutz der große Gewinner ist.
Im August ist der Naturgartenverein Gastgeber einer dreitägigen Vortrags- und Workshop-Veranstaltung (www.naturgartentage.de) mit viel Austausch und Begegnungen in der Hagener Stadthalle. Ist das auch eine Art Ritterschlag für einen Veranstalter, wenn man Gäste aus ganz Europa empfangen kann?
Nein, das hat mit meiner Person nichts zu tun. Ich bin lediglich begeistert von dieser Idee. Und wenn man dann als Ehrenamtlicher bereit ist, auch mal in die Macher-Rolle zu schlüpfen, schlittert man ganz schnell in das Organisationsteam. Und da am bisherigen Veranstaltungsort Heidelberg die Kapazitäten nicht mehr ausreichten, stand die Suche nach einem neuen Standort an – den haben wir in Hagen gefunden. Die Rahmenbedingungen passen einfach: ICE-Bahnhof, zentral in Deutschland gelegen, großer, bezahlbarer Veranstaltungsraum, eine tolle Unterstützung durch die Stadthallen-Mitarbeiter und alle Möglichkeiten technischer Art. Es ist perfekt. Ob wir tatsächlich die angepeilten 350 Besucher erreichen, erscheint angesichts der anhaltenden Corona-Sorgen vieler Menschen allerdings eher unwahrscheinlich. Aber wir werden uns natürlich auch den interessierten Bürgern widmen und möchten konkrete Anregungen geben.