Hagen. . Insekten haben es in Zeiten industrieller Landwirtschaft schwer. Jetzt will die Stadt Hagen durch gezielte Grünflächengestaltung dagegenhalten.

Für passionierte Fans akkurat gepflegter Grünanlagen mit Rasenflächen im Stile englischer Aristokratengärten ist dies keine gute Nachricht: Mit einer intelligenten Begrünungsoffensive soll in Hagen die Grundlage geschaffen werden, das fortschreitende Insektensterben zu stoppen. Gemeinsam mit dem Verein Naturgarten und der Biologischen Station am Haus Busch startet der Wirtschaftbetrieb Hagen (WBH) in diesem Frühjahr gleich vier Pilotprojekte, um nach sinnvollen, aber auch bezahlbaren ökologischen Konzepten für insektenfreundliche öffentliche Grünflächen im Stadtgebiet zu forschen.

Das Ziel

„Unser Ziel ist es, dass Hagen in einigen Jahren auf vielen kommunalen Flächen artenreiche Blühflächen vorzeigen kann und damit einen wichtigen Beitrag zum Naturschutz leistet“, betont Frank Reh, Leiter der Naturgarten-Regionalgruppe. Gerald Fleischmann und Thomas Becker vom WBH-Fachbereich Grün machen im gleichen Atemzug zudem deutlich: „Die Bürger müssen an manchen Stellen traditionelle Erwartungen an kurzgeschorene Rasenflächen und gepflegte Beete zur Seite schieben“, werben sie für die notwendige Toleranz, dass eine eher struppige, aber insektenfreundliche Blühfläche sowie die ungeliebte Ritzenvegetation an Bordsteinen und Verkehrsinseln durchaus einen immensen Wert für die Natur haben.

Die Verursacher

Für Frank Reh gibt es nur einen wesentlichen Verursacher für den dramatischen Rückzug der Insektenpopulationen: die industrielle Landwirtschaft. Pestizide, Insektizide und Herbizide machten allen Arten das Überleben schwer.

Aber auch die Strategie des Hagener Wirtschaftsbetriebes war angesichts des anhaltenden Spardrucks in den vergangenen Jahren nicht gerade von übermäßiger ökologischer Verantwortung geprägt. „Wir mussten die Kosten für Grünunterhaltung reduzieren und haben die Pflegestandards auf intensives Mähen umgestellt“, blickt Fleischmann durchaus selbstkritisch auf die vergangenen Jahre und schiebt das Motiv gleich hinterher: „Nichts ist günstiger, als acht- bis zwölfmal im Jahr zu mähen und den Grünschnitt einfach liegen zu lassen.“

Für heimische Biotope aus Wildgräsern und Wildblumen, die den Insekten als Lebensraum und Nahrungsquelle dienen, blieb somit keinerlei Entfaltungsmöglichkeit. Bislang pflegeintensivere Grünanlagen beispielsweise mit Staudenbewuchs wurden sogar gezielt in monotone Rasenflächen umgewandelt, um Kosten zu sparen. Ein ökologischer Irrweg, den der WBH begleitet durch die Experten des Naturgartenvereins sowie der Biologischen Station mit einem guten Alternativkonzept verlassen möchte.

Die Projektidee

Dazu rücken jetzt vier Pilotflächen in den Fokus, auf denen die beispielhafte Entwicklung in den nächsten vier Jahren zeigen soll, welche Alternativmethoden sich für öffentliche Grünflächen anbieten und inwiefern diese bezahlbar sind. Die bekanntesten sind die beiden Grünflächen am Autobahnzubringer an der Anschlussstelle Feithstraße im Schatten der „Hagener Lampen“.

Dort wird der Bewuchs zweimal pro Jahr gemäht und das Heu vor der Ernte liegengelassen, damit die Grassamen vor Ort verbleiben. Erst im Anschluss wird das Mähgut abgeholt und dem Boden somit schleichend der Nährstoff entzogen. Denn für Wildgräser und ähnliche für Insekten bedeutende einheimische Pflanzengesellschaften gilt, dass sie eher auf nährstoffarmen Untergründen sprießen.

Die Zwischenergebnisse

Angesichts dieses Ausmagerungsprozesses wurden auf der Fläche bereits 14 interessante Arten wie Wiesen-Bärenklau, Schaumkraut, Knolliger Hahnenfuß, Spitzwegerich, Fingerkraut oder auch Tüpfel-Johanniskraut ausgemacht. „Es handelt sich um eine stabile Pflanzengesellschaft, deren Vielfalt sicherlich noch zunehmen wird“, weiß Fleischmann, dass es sich um einen zähen Entwicklungsprozess handelt, der einen langen Atem erfordert. „Das sind alles nicht die spektakulären Blüher, aber Klatschmohn und Kornblumen sind auch nicht der Maßstab“, wirbt Thomas Becker für diese nachhaltige Vorgehensweise.

Die Versuchsflächen

Drei weitere Pilotflächen sind zuletzt an der Feldmühlenstraße in Höhe von Haus Busch auf einem städtischen Wiesengrundstück entstanden. Dort wurde zum einen auf einer Testfläche der Boden 30 Zentimeter tief ausgehoben und durch ein nährstoffarmes Schottersubstrat ersetzt, auf dem sich eine regionstypische Samenmischung entfalten sollen. Kosten pro Quadratmeter: stolze 32 Euro.

Mit 2,10 Euro deutlich günstiger ist ein zweites Areal, das zweimal umgepflügt wurde, um das dort mit Löwenzahn durchmischte dominierende Wiesengrün im Wachstum zu behindern und somit den aufgebrachten Samen eine Entfaltungschance zu eröffnen. Zudem gibt es noch einen Wall aus Bodenaushub, der mit nährstoffarmem Schotter abgedeckt und mit einer Samenmischung durchsetzt wurde.

Gemeinsam mit dem Team von Ralf Blauscheck von der angrenzenden Biologischen Station soll im Rahmen eines regelmäßige Monitorings jetzt verfolgt werden, welche Pflanzenarten sich an welchem Standort mit welchem Pflegeaufwand durchsetzen. Diese Ergebnisse bieten die Faktenbasis für künftige Entscheidungen über weiterer öffentlichen Flächen im Stadtgebiet. Außerdem wird dabei deutlich, welche Investitionen letztlich zu welchen Effekten führen.