Hohenlimburg/Hagen. Als „schnell und unbürokratisch“ hatten Land und Bund damals die Corona-Soforthilfen angepriesen. Wegen der Rückzahlung droht nun eine Klagewelle
Der „Wumms“ aus der Bazooka ist zum Bild für die Milliarden-Hilfen geworden, die der Wirtschaft durch die Corona-Krise helfen sollten. Dass sich der erhoffte „Wumms“ nun als Schuss ins eigene Knie entpuppt, diese Sorge ist bei vielen Soloselbstständigen und Freiberuflern groß. Denn sie fürchten, dass sie die kompletten Corona-Soforthilfen zurückzahlen müssen. Eine dieser Soloselbstständigen ist Dagmar Geck.
Im Frühjahr berichtete diese Zeitung, dass die Kosmetikerin aus Hohenlimburg deshalb mit einem Zusammenschluss von Betroffenen der „IG Soforthilfe“ vor dem NRW-Petitionssausschuss sprechen wird.
Seither gab es zwei Anhörungen vor dem Ausschuss. Eine Entscheidung steht noch aus. Doch das Verfahren läuft weiter – und zeigt, wie bürokratisch die „unbürokratische“ Soforthilfe wirklich ist.
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Die Auszahlung
Anfangs war die Freude groß. Geck gehörte zu jenen, die schon am 27. März 2020, dem ersten Tag des Vergabeverfahrens, einen Antrag auf Soforthilfe beim Land NRW eingereicht hatten. Der Antrag wurde noch am selben Tage bewilligt, das Geld schnell ausgezahlt. In den Wochen, in denen sie danach wegen des ersten Lockdowns nicht arbeiten durfte, hat sie über einen Lieferservice für Kosmetik geringfügige Einnahmen generiert und mit dem Geld ihren Lebensunterhalt bestritten. Das, so erfuhr sie im Nachhinein, ist nun relevant für die Frage, ob und wenn ja in welcher Höhe die Soforthilfe zurückgezahlt werden muss. Dass geringfügige Einnahmen für den Lebensunterhalt nicht genutzt werden dürfen, davon war in den Vergaberichtlinien (FAQ) jedoch keine Rede, sagt Geck. „Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann hätte ich die Hilfen gar nicht erst beantragt. Dann wäre ich sofort in Insolvenz gegangen. So ist es nur eine Verschiebung.“
Die Bedingungen
Auf Anfrage teilt das NRW-Wirtschaftsministerium mit, die Soforthilfe war als Zuschuss für laufende Betriebskosten gedacht (etwa Miete, Kredite für Betriebsräume oder Leasingraten). „Sowohl der Bewilligungsbescheid als auch die ,FAQ’ nahmen von Anfang an Bezug auf die Zweckbestimmung.“ Nach dem Willen der Länder sollten diese Hilfen auch für Lebenshaltungskosten verwendet werden können, doch das habe der Bund abgelehnt. Die Vergaberichtlinien wurden daher im Nachhinein an die Vorgaben des Bundes angepasst. Empfänger der Soforthilfe in NRW könnten aber unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen einer Vertrauensschutzlösung für Lebenshaltungskosten bzw. einen (fiktiven) Unternehmerlohn einmalig einen Betrag von 2000 Euro für März und April 2020 ansetzen. Die Kosten trage das Land. Grundsätzlich sei es auch zulässig gewesen, Einnahmen während des Förderzeitraums zu generieren, so ein Sprecher des Ministeriums. Diese Einnahmen müssten aber bei der Rückmeldung mit einbezogen werden, die den „tatsächlichen Liquiditätsengpass“ ermittelt.
Sollte dieser Engpass größer oder gleich hoch wie die ausgezahlte Soforthilfe ausfallen, müsse kein Geld zurückgezahlt werden. Ist der Liquiditätsengpass geringer als die Soforthilfe, müsse der zu viel gezahlte Betrag zurückgezahlt werden. Waren die Einnahmen im Förderzeitraum höher als die Sach- und Finanzausgaben in der Zeit, müsse die Soforthilfe komplett zurückgezahlt werden.
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Der Protest
Dieses Rückmeldeverfahren sei so nicht vereinbart gewesen, sagen nun Kritiker wie die IG Soforthilfe. „Schnell und unbürokratisch oder einfach chaotisch und voller bürokratischer Tücke?“, fragt die Interessengemeinschaft, in der nach eigenen Angaben mehr als 7800 betroffene Soloselbstständige, Einzelunternehmer und weitere betroffene Gruppen aus NRW organisiert sind, darunter auch Kosmetikerin Dagmar Geck. Die IG Soforthilfe vermutet zudem, dass mit der Post zum Rückmeldeverfahren nachträglich die Förderbedingungen geändert werden sollten. Eine Feststellungsklage von rund 370 Klägern wurde abgewiesen, das Land räumte die Befürchtung aus. Zugleich verschickte eine Anwaltskanzlei jedoch Zahlungsaufforderungen in Höhe von 540 Euro an die Kläger. Auf Anfrage sagte das Wirtschaftsministerium hierzu, man äußere sich nicht zu anhängigen Gerichtsverfahren. Es handele sich bei den Zahlungsaufforderungen lediglich um Kosten der Verfahren, die nach Verwaltungsgerichtsordnung vom unterlegenen Teil zu tragen seien.
Am 31. Oktober endet die Frist, bis dahin verlangt die Landesregierung die Rückmeldung zum tatsächlichen Liquiditätsengpass. Dagmar Geck wird dagegen gerichtlich vorgehen, gemeinsam mit vielen weiteren betroffenen Hilfeempfängern. Die IG Soforthilfe bereitet Musterklagen vor.
„Wir wollen, dass die Bewilligungsbescheide, die wir erhalten haben, unter den ursprünglichen Bedingungen vom 27. März eingehalten werden.“ In dem Fall würden die Rückzahlungen entsprechend reduziert, für sie wären statt 9000 Euro nur rund 1700 Euro fällig.
Das Land NRW hat die Frist zur Rückzahlung bis zum 31. Oktober 2022 verlängert. Zudem sei eine mögliche Rückzahlung der Soforthilfe auch in Teilen beziehungsweise mehreren Einzelüberweisungen möglich, ohne sich dazu mit dem Land abstimmen zu müssen.
Andere Verfahren außerhalb NRWs
Um den Unternehmen schnell und unkompliziert zu helfen, habe man bei der NRW-Soforthilfe zunächst pauschal die maximale Fördersumme ausgezahlt, so das NRW-Wirtschaftsministerium. Die tatsächliche Förderhöhe der Soforthilfe werden nun in einem rein digitalen Rückmeldeverfahren bestimmt.
Dieses Verfahren kommt so nur in Nordrhein-Westfalen zum Tragen. In allen anderen Bundesländern mussten die Antragsteller ihren Förderbedarf im Voraus prognostizieren und nach Ablauf des Förderzeitraums ggf. korrigieren. Zu viel ausgezahlte Fördermittel sind aber grundsätzlich in allen Ländern zurückzuzahlen.