Menden. Der SEK-Zugriff auf mutmaßliche Kokaindealer rückt die obere Kolpingstraße ins Visier der Politik. Gibt es großangelegten Drogenhandel in Menden?
Nach dem spektakulären Zugriff gegen mutmaßliche Kokainhändler vom Samstag (die WP berichtete) rückt jetzt der Schauplatz des Geschehens in den Blickpunkt: die obere Kolpingstraße. Denn die WP-Berichte zu den acht Festnahmen in Menden haben in den sozialen Medien und auch in der Politik ein enormes Echo ausgelöst. Unterdessen erklärte der Wuppertaler Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert auf Nachfrage zum SEK-Einsatz, er könne nicht sagen, ob es im Bereich des Zugriffsortes Kolpingstraße zuvor einen schwunghaften Kokain-Handel gegeben hat.
Menden nur der Treffpunkt? Acht Verhaftete allesamt mit Solinger Wohnanschrift
Die Ermittlungen im Bergischen hätten ein Treffen mehrerer Verdächtiger mit ausnahmslos Solinger Wohnsitzen für diesen Samstag in Menden ergeben. Noch dazu sollte eine größere Menge an Rauschgift geliefert werden. All das habe den Ausschlag für den Zugriff gegeben. Das Gros der Verhaftungen sei denn auch in Menden erfolgt. Die folgende Festnahme einer Frau am Sonntag gehe auf Aussagen gefasster Beschuldigter aus deren Vernehmungen zurück. Sie wollten nach Art der Kronzeugenregelung die strafrechtlichen Folgen für sich selbst mildern: „Den Leuten drohen ja mordsmäßige Strafen.“ Die Frau kam inzwischen wieder auf freien Fuß. Fünf der acht Verdächtigen bleiben in U-Haft.
Viele Mendener machen längst einen Bogen um die obere Kolpingstraße
Mutmaßliche Dealer fühlen sich an der oberen Kolpingstraße offenbar wohler als viele Bürger. Vor allem weibliche User erklären in Sozialen Medien, dass sie schon lange einen großen Bogen um den Bereich machten – aus Angst, von Besuchern der dortigen Zockerbuden „angemacht“ zu werden. Detlef Albrecht (USF/UWG) fragte im Hauptausschuss, was die Stadt gegen Drogenhandel, Prostitution, Verkauf gefälschter Impfpässe und viele Delikte mehr in dem Quartier tun wolle.
Bürgermeister Schröder: Mendener Ordnungsamt hat den Bereich „im Blick“
Bürgermeister Roland Schröder erwiderte, man habe den Bereich „im Blick“. Zur Bekämpfung der genannten Straftaten sei allerdings nicht das Ordnungsamt da, sondern die Polizei. Worauf Bernd Haldorn, CDU-Fraktionschef und im Hauptberuf Oberstaatsanwalt, maliziös ergänzte: „Prostitution ist kein Straftatbestand.“ Das Ordnungsamt, so Schröder im WP-Gespräch, komme aus einer langen Coronaphase, in der die Aufgaben im Pandemieschutz Vorrang hatten. Jetzt könne und werde man sich wieder anderen Aufgaben widmen, „und dazu zählt ganz klar auch die obere Kolpingstraße“.
Anlieger-Kritik: „Autorennen vor der Polizeiwache – da lässt man sich doch vorführen“
Scharfe Kritik an der Mendener Polizei übt indes Mirko Kruschinski, der als langjähriger Anwohner der Kolpingstraße jetzt die Konsequenzen aus den Zuständen gezogen hat: „Wir haben als Familie in Lendringsen ein Haus gekauft, wir wollten weg, als uns Freunde gesagt haben, dass sie uns wegen des Umfeldes nicht mehr besuchen“, sagt der Mendener SPD-Chef. Mehrfach habe er auch Wachenleiter Friedhelm Reinwald darauf hingewiesen, dass es nicht angehen kann, wenn direkt vor der Tür der Polizeiwache illegale Autorennen ausgetragen werden, ohne dass die Tür aufgeht. „Da lässt man sich doch vorführen.“
Kreispolizeibehörde räumt ein: „An Kolpingstraße zum Teil vermehrt strafbare Delikte“
Die WP fragte die Kreispolizeibehörde nach den Vorwürfen – und danach, was wirklich dran ist am Problemquartier Kolpingstraße. Pressesprecher Lorenz Schlotmann erklärt dazu: „Die Tatsache, dass es im Bereich der Kolpingstraße zum Teil vermehrt zu strafbaren Delikten kommt, ist der Kreispolizeibehörde bekannt. Die Polizei geht als Strafverfolgungsbehörde jedem Hinweis auf Straftaten nach. Das gilt für das gesamte Stadtgebiet Menden und eben auch explizit für die Kolpingstraße.“
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Insgesamt 60 Anzeigen binnen eines Jahres – darunter Delikte auf der Wache selbst
Ein Kilo Kokain hat Marktwert von 120.000 Euro
Im Kokain-Handel geht es um riesige Geldsummen. Das Rauschgift komme in Deutschland meist in sehr reiner Form an, sagte der Sprecher des Zollfahndungsamts Hamburg, Stephan Meyns, im Dezember 2021. Der Wirkstoffgehalt betrage um die 90 Prozent. Dealer würden das weiße Pulver in der Regel strecken, so dass sich die doppelte Menge ergibt. Auf der Straße koste ein Gramm des gestreckten Kokains etwa 60 Euro. Ein Kilogramm, die übliche Portionierung im Schmuggel, ist rund 120.000 Euro wert. Im Fall Menden/Solingen geht es um Mengen im zweistelligen Kilogrammbereich.Bis auf eine kleine Menge zur Beweissicherung werden sichergestellte Drogen möglichst schnell vernichtet. Wann und wo, soll geheim bleiben. Bei den Tätern herrsche eine hohe Gewaltbereitschaft, sagt Meyns.Ziel der Fahnder sei nicht nur, Drogenlieferungen abzufangen, sondern auch die Strukturen der Täter zu zerschlagen.
Die Polizei habe zwischen dem 22. März 2021 und dem 22. März 2022 im Bereich Kolpingstraße insgesamt 60 Anzeigen aufgenommen. „Darunter fallen sämtliche Straftaten, zum Beispiel Unfallfluchten, Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen.“ Aber auch Straftaten, die auf der Polizeiwache passiert sind oder dort angezeigt werden, seien zum Teil miterfasst, „etwa Beleidigungen gegen Kollegen oder Widerstand bei Blutproben“. Und: Nur sechs der 60 erfassten Delikte stehen in Verbindung mit Drogen.
Polizei: „Wir gehen jedem Hinweis auf Straftaten nach – bitte melden“
Was tut die Polizei jetzt? „Wir gehen Hinweisen, egal woher sie kommen, jederzeit konsequent nach.“ Straftaten würden immer verfolgt. Überdies seien nicht alle polizeilichen Maßnahmen öffentlichkeitswirksam als solche zu erkennen. Schlotmann: „Wir bitten verdächtige Feststellungen und Hinweise auf Straftaten zu melden.“