Menden/Lüdenscheid. Landrat Marco Voge (CDU) bekam viel Gegenwind für seine Ausgangssperre. Er sagt im Interview, warum er seine Linie für konsequent hält.

Landrat Marco Voge (41, CDU) musste sich in den vergangenen Tagen viel Kritik anhören. Die Ausgangssperre des Kreises scheiterte gleich zweimal vor dem Verwaltungsgericht. Voge hielt trotzdem daran fest. Voge erklärt, warum er das Vorgehen des Kreises dennoch für konsequent und notwendig hält.

Die Ausgangssperre ist vor Gericht erneut gescheitert. Sie schaffen unwiderruflich Tatsachen, indem Sie trotzdem daran festhalten. Haben Sie keine Angst, dass Sie als der Landrat in die Geschichte eingehen, der die Menschen im Kreis über mehrere Wochen gegen die Grundrechte eingesperrt hat?

In enger Abstimmung mit dem NRW-Gesundheitsministerium haben wir Beschwerde gegen die Urteile des Verwaltungsgerichtes eingelegt. Ziel war es, in dieser Fragestellung grundsätzlich eine richterliche Entscheidung der nächsthöheren Instanz herbeizuführen. Mehrere Kreise in NRW sind einen sehr ähnlichen Weg gegangen. Gestern hat das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt, dass es die Ausgangssperre in Siegen-Wittgenstein für ein rechtmäßiges Instrument hält. Die Entscheidung des OVG bestätigt die mit der des Märkischen Kreises weitgehend gleichlautende Allgemeinverfügung des Kreises Siegen-Wittgenstein. Auch das nun in Kraft tretende Bundesinfektionsschutzgesetz sieht Ausgangssperren vor. An den im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen haben wir uns mit der letzten Allgemeinverfügung orientiert. Ausgangssperren verfügt man nicht leichtfertig, das haben wir immer betont. Ziel aller Regelungen ist es, gemeinsam das Virus zu bekämpfen und die dritte Welle zu brechen. Wir müssen die Infektionszahlen auf ein niedrigeres Niveau bekommen, um besonders für diejenigen, die sich an die Regeln halten – und das ist der Großteil -, auch perspektivisch wieder zur Normalität zurückkehren zu können. Die Situation auf den Intensivstationen ist weiterhin angespannt.

Landrat Marco Voge mit der Luca-App.
Landrat Marco Voge mit der Luca-App. © Märkischer Kreis | Alexander Bange

Andere Kreise und Städte wie Mainz haben gesagt, dass sie die Verfügung so lange aussetzen bis abschließend in höchster Instanz entschieden ist. Warum machen Sie das nicht so?

Viele Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen haben an den Maßnahmen festgehalten. Wir haben es juristisch sowie unter verschiedenen anderen Gesichtspunkten bewertet und sind zu dem Entschluss gekommen, die Verfügung weiter anzuwenden. Gerne betone ich nochmal, dass man Ausgangsbeschränkungen nicht leichtfertig verhängt. Wir haben das im Krisenstab lange und intensiv beraten – auch in Abstimmung mit dem Land.

Marco Voge: Vor Ausgangssperre auch andere Maßnahmen geprüft

Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat Ihnen ziemlich deutlich gesagt, dass Sie erst einmal andere einschneidende Maßnahmen prüfen und dann umsetzen müssten. Warum tun Sie das nicht?

Der Krisenstab analysiert die Lage nahezu täglich und berät die notwendigen Maßnahmen. Dabei steht immer im Vordergrund, dass diese zur Lage passen und verhältnismäßig sind. Vor den Ausgangssperren wurden bereits am 19. März die ersten lokalen Maßnahmen über eine Allgemeinverfügung des Kreises beschlossen. Wir haben im Märkischen Kreis eine Reihe von Maßnahmen geprüft und eingeleitet, bevor die Ausgangssperre gewählt wurde. Viele davon finden sich jetzt auch im bundesweiten Infektionsschutzgesetz wieder.

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Im Moment muss ich als einzelner Jogger nachts auf einem einsamen Weg damit rechnen, von der Polizei aus dem Verkehr gezogen zu werden. Im privaten Raum trifft man sich weiter, wenn man sich nicht an die Regeln halten will. Warum wird da nicht einfach mehr kontrolliert?

Es wird von den zuständigen Stellen kontrolliert. Mit der Übertragung der Kontaktbeschränkungen auf den privaten Raum haben wir die Rechtsgrundlage für Kontrollen und ein Einschreiten dort geschaffen. Das war vorher nicht so einfach möglich. Ziel kann es aber nicht sein, ohne Verdacht private Wohnungen zu durchsuchen. Es geht darum, die Kontakte – und hier ganz konkret private, gesellige Zusammenkünfte in den Abendstunden – zu reduzieren. Ziel ist, dass abends keine Besuche zwischen verschiedenen Haushalten stattfinden, dadurch Kontakte vermieden und am Ende Infektionen verhindert werden. Wir haben Verständnis dafür, dass bei vielen Menschen, die sich vorbildlich an die Regeln halten, die Akzeptanz für schärfere Maßnahmen schwindet. Wir müssen weiter das Infektionsgeschehen im privaten Raum eindämmen, weil es nach wie vor leider einige gibt, die sich nicht an die Regeln halten.

Als Polizeichef eine Nachtschicht der Polizei mitgemacht

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Sie sind auch Polizeichef. Ist für Sie schon das Maximum der möglichen Kontrollen bestehender Regeln ausgeschöpft?

Selbstverständlich stehe ich in engem Austausch mit der Polizei und diese kontrolliert die bestehenden Regeln. Zuletzt habe ich eine Nachtschicht mitgemacht, um mir persönlich ein Bild zu machen. Wichtig ist dabei immer, dass ein Verdachtsfall vorliegt und die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.

Sie verweisen darauf, dass das Gesundheitsministerium den Kreis dazu aufgefordert hat, die Verfügung weiter so durchzuziehen und juristisch gegenzuhalten. Gleichzeitig erklärt Minister Laumann, dass er sehr wenig von Ausgangssperren hält. Platzt Ihnen da nicht selbst der Kragen?

Als Landrat hat man die Verantwortung, Entscheidungen unter Abwägung verschiedener Perspektiven zu treffen. Eine Ausgangssperre zu verhängen, ist eine Entscheidung von großer Tragweite. Leider ist es in der aktuellen Situation notwendig. Wir müssen eine weitere Zuspitzung in unseren Krankenhäusern verhindern. Immer öfter hört man von persönlichen Schicksalen, die mich sehr beschäftigen. In einem demokratischen Land und einer offenen Gesellschaft sollten derartige Maßnahmen nur im äußersten Notfall zur Anwendung kommen. Diese besondere Notsituation haben wir im Hinblick auf das Gesundheitssystem. Trotzdem ist es richtig, dass darüber auch kontrovers diskutiert wird und dass diese Fragestellungen Gerichten zur Entscheidung vorgelegt werden. Das OVG Münster hat im entsprechenden Musterverfahren, analog zu den Regelungen in Siegen-Wittgenstein, die von uns getroffenen Maßnahmen bestätigt.

Marco Voge: „Unsere Linie ist und war stringent“

Vor einigen Wochen haben Sie sogar einfache Maßnahmen wie reduzierte Angebote in Kindergärten abgelehnt, auch weil das Land das nicht wollte. Jetzt schreibt Ihre Polizei Anzeigen gegen nächtliche Pizzakäufer. Warum fährt nicht wenigstens der Kreis eine konsequente Linie?

Wir fahren eine konsequente Linie im Märkischen Kreis. Mit dem Krisenstab müssen wir oft täglich die Lage neu bewerten – auch anhand der sich sehr dynamisch ändernden Vorgaben, Erlasse und Gesetze von Bund und Land, an die wir uns halten. Verständnis habe ich dafür, wenn es aufgrund der sich oft ändernden Regeln für die Bürgerinnen und Bürger in Teilen nur noch schwer nachzuvollziehen ist, was gilt und wer es beschlossen hat. Aber unsere Linie war und ist stringent: Wir haben anhand der Situation und unseres Lagebildes weitere Maßnahmen erlassen sowie dabei stets zunächst das mildere Mittel gewählt.

Wenn Sie - Marco Voge, ganz alleine - eine klare Linie für die kommenden Wochen vorgeben müssen, wie sieht die dann aus?

Der Landrat trägt die Verantwortung für getroffene Entscheidungen vor Ort, wir beraten aber selbstverständlich im Team. Aus verschiedenen Bereichen kommen die Experten aus dem Haus zusammen und bewerten die Lage. Wir müssen nun weiter mit den notwendigen Mitteln die Infektionszahlen auf ein viel niedrigeres Niveau drücken. Unsere eingeleiteten Maßnahmen decken sich in großen Teilen mit den neuen einheitlichen Regelungen des Bundes, die durch das Infektionsschutzgesetz nun in sehr ähnlicher Form bundesweit gelten. Parallel müssen wir eine Perspektive zurück zur Normalität aufzeigen, das ist ganz wichtig. Mit den stark ausgeweiteten Testkapazitäten und den geschaffenen Möglichkeiten der digitalen Nachverfolgung haben wir dafür die ersten Grundlagen geschaffen. Bei digitalen Lösungen ist aber auch noch Luft nach oben: Mein Wunsch wäre es die verschiedenen Bausteine im Hinblick auf eine echte Öffnungsstrategie zusammen zu denken, beispielsweise in einer App. Auch die Impfungen schreiten voran, das macht Hoffnung.