Gerlingen. Bürgermeister Bernd Clemens nimmt Stellung zur Diskussion über die Amazon-Ansiedlung in Gerlingen. Er sagt: „Ich habe keinen Fehler gemacht.“

Es ist ein Thema, das nicht nur in Gerlingen für mächtig Gesprächsstoff sorgt: die Ansiedlung von Amazon im Industriegebiet „Auf der Mark“ in Gerlingen. Der Online-Versandriese baut dort ein Verteilzentrum. Die Situation des ohnehin schon arg vom Verkehr gebeutelten Ort Gerlingen wird sich weiter zuspitzen. Die neu gebildete Interessengemeinschaft fordert vehement eine Lösung. Bürgermeister Bernd Clemens ist Gerlinger und von der Situation auch persönlich betroffen.

Die Gerlinger sind sauer wegen der Amazon-Ansiedlung. Für manche sind Sie der Sündenbock. Was erleben Sie für Anfeindungen oder Beschimpfungen?

Bernd Clemens: Es gibt keine persönlichen Anfeindungen oder Beschimpfungen. Wenn aber behauptet wird, Bürgermeister und Verwaltung hätten die Ansiedlung von Amazon hinter verschlossener Tür geplant, tut das weh und entspricht nicht den Tatsachen.

Sie wohnen als Bürgermeister selbst seit ewigen Zeiten in Gerlingen. Da ist es doch besonders unangenehm, dort in der Schusslinie zu stehen?

Gerlingen ist aufgrund der besonderen Lage am Autobahnkreuz seit Jahrzehnten besonderen Belastungen ausgesetzt. Wenn der Eindruck entstanden ist, ich hätte mich im Zuge der Amazon-Ansiedlung nicht genug für die Interessen der Gerlinger Bürger eingesetzt, so trifft mich das als Gerlinger umso mehr. Es gibt aber leider keine einfachen Lösungen, die allen gerecht werden und letztlich sind wir auf die Entscheidungen auf höherer Ebene angewiesen.

+++ Keine Nachricht aus dem Kreis Olpe mehr verpassen: Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter +++

Hätten Sie und die Gemeinde die Amazon-Ansiedlung verhindern können bzw. müssen?

Weder der Gemeinderat, noch die Gemeindeverwaltung hatten die Möglichkeit, die Amazon-Ansiedlung zu verhindern. Das Grundstück des ehemaligen Otto-Geländes ist seit 30 Jahren in Privatbesitz. Das Grundstück wurde von dem Projektierer privat erworben. Der Gemeinde stand dabei kein Vorkaufsrecht zu.

Gespräche mit Amazon erst im Geheimen

Hätten Sie denn nicht noch kurzfristig den Bebauungsplan ändern können, um Amazon zu verhindern?

Eine Änderung des Bebauungsplanes zur Verhinderung der Amazon-Ansiedlung hätte Schadenersatzansprüche ausgelöst und damit die Gemeinde finanziell schwer belastet.

Als das brisante Thema an die Öffentlichkeit kam, hatten sie schon mehrere Monate Gespräche mit Amazon geführt. Sie hatten gesagt, dass Stillschweigen vereinbart worden sei. Aber gerade dadurch kam doch der Vorwurf der Mauschelei auf. Es wurde gesagt, dass das nur geheim gehalten worden ist, um den Widerstand der Bürger zu verhindern.

Beim ersten Besuch hat sich lediglich der neue Eigentümer vorgestellt. Von Amazon war da noch keine Rede. Als die Pläne konkreter wurden und mit den Behörden gesprochen werden musste, habe ich eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben. Dies ist eine absolut übliche Vorgehensweise. Kein Investor würde einer Kommune seine Planungen vorstellen, wenn er davon ausgehen müsste, diese am nächsten Morgen in der Zeitung zu finden.

Wann haben Sie denn den Rat über die Amazon-Pläne informiert?

Im nicht öffentlichen Teil der jeweiligen Sitzungen wurde der Rat unverzüglich über den aktuellen Kenntnisstand informiert.

Haben Sie beim Blick in den Rückspiegel Fehler gemacht, was die Amazon-Ansiedlung angeht?

Soweit ich das bisher beurteilen kann, hatten wir keine andere Wahl. Insofern: Nein, ich habe keinen Fehler gemacht.

Konstruktiver Austausch mit Amazon

Wie ist aktuell das Verhältnis des Bürgermeisters und der Gemeinde zu Amazon, die ja spüren, dass sie hier nicht mit offenen Armen empfangen werden?

Wir haben gegenüber dem Grundstückseigentümer und Amazon von Anfang an zu erkennen gegeben, dass wir das Vorhaben sehr kritisch sehen. Ohne Zweifel hat eine derart große Investition und die Schaffung neuer Arbeitsplätze auch positive Effekte. In diesem Fall überwiegen aber die Belastungen durch die starke Zunahme des Verkehrs in Gerlingen. Zumal die Straße bereits jetzt zu den Spitzenzeiten überlastet ist und die Gerlinger Bevölkerung und alle Verkehrsteilnehmer hierunter leiden. Gleichwohl arbeiten wir mit Amazon konstruktiv zusammen, um aus Sicht der Gemeinde und der Gerlinger die bestmögliche Lösung zu finden.

Welche Einflüsse hat die Gemeinde jetzt überhaupt noch oder sind ihr komplett die Hände gebunden?

Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung die Maßnahmen beschlossen. Wir sind nun mit den entsprechenden Behörden im Gespräch.

+++ Lesen Sie auch: Schwere Unfälle am Vatertag: Das ist die Erklärung der Polizei +++

Was sagen Sie zu den Aktivitäten der Interessensgemeinschaft „Besser leben in Gerlingen“?

Die Interessengemeinschaft „Besser Leben in Gerlingen“ fordert völlig zu Recht, dass sich die Situation so schnell wie möglich ändern muss. Es ist gut, wenn sie dabei öffentlich auf sich aufmerksam macht. So können wir auf der örtlichen Ebene gemeinsam Druck aufbauen, um die Entscheidungsträger an den zuständigen Stellen zu überzeugen.

Arbeiten Sie eng mit Gerlingens Ortsvorsteher Benjamin Hacke, der auch Sprecher der Interessengemeinschaft ist, zusammen?

Ja, sehr gut, Benjamin Hacke und ich kennen uns seit vielen Jahren. Er hat gleich zu Beginn seiner Amtstätigkeit als neuer Ortsvorsteher ein Gespräch mit mir geführt und von seinen Ideen und Vorstellungen berichtet. Ich freue mich darauf, konstruktiv mit ihm zusammen zu arbeiten, um das Beste für den Ort zu erreichen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit den anderen Ortsvorsteher und Ortsvorsteherinnen in der Gemeinde Wenden.

Autobahnanschluss bleibt ein Thema

Eine direkte Anbindung des Industriegebietes „Auf der Mark“ an die Autobahn war immer wieder Thema, wurde jedoch von den Behörden stets abgeschmettert. Sehen Sie da noch eine Chance?

Die zuständigen Behörden in Bund und Land räumen einem Autobahnanschluss an die A 4 überhaupt keine Chancen ein. Wir wollen dennoch nichts unversucht lassen und beantragen beim Bundesverkehrsministerium, wie vom Rat beschlossen, einen separaten Autobahnanschluss an die A 4. Dabei bringen wir nicht nur das Argument vor, dass es ähnliche Abfahrten im Bereich von Autobahnkreuzen bereits deutschlandweit gibt. Wir werden uns auch konstruktiv mit den Argumenten des Straßenbaulastträgers auseinandersetzen und pro aktiv aufzeigen, wie eine Lösung aussehen könnte. Daran arbeiten wir derzeit.

Ein Blick nach vorn: Wie sind Ihre weiteren Pläne bei der Verkehrsentlastung für Gerlingen?

Wie vom Gemeinderat in der Sondersitzung am 28. April beschlossen, stehen nun folgende Schritte an: Erstens: Prüfung kleinerer Maßnahmen, um den Verkehrsfluss in der Ortsdurchfahrt von Gerlingen zu verbessern (Ampelschaltung, Abbiegespuren, Wegfall oder Versetzen der Busbucht beim Netto-Markt). Zweitens: Wir geben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, um – auch unabhängig von der Erschließung des möglichen Gewerbegebietes „Ruttenberg“ – eine Ortsumgehung für Gerlingen zu entwickeln. Drittens: Antrag an das Bundesverkehrsministerium für eine neue Anschlussstelle an der A 4.

Was würden Sie sich jetzt persönlich wünschen in der hitzigen und aufgebrachten Amazon-Debatte?

Die Kommunikation verläuft derzeit wieder sachlich. Das gilt sowohl für die Debatten im Rat, als auch die Gespräche mit der Interessengemeinschaft und der Gerlinger Bevölkerung. Wir wollen alle das gleiche. Ich wünsche mir, dass wir bei den Entscheidungsträgern von Bund und Land auf entsprechendes Gehör stoßen.