Hagen. Ein Virus, das die Atemwege von Babys und Kleinkindern befällt, sorgt derzeit für eine hohe Auslastung der Hagener Kinderklinik. Hier die Fakten:
Viel früher im Jahr als üblich bereitet den Hagener Kinderärzten zurzeit weniger das Coronavirus Sorgen, sondern das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Der Erreger löst vor allem Atemwegsinfektionen aus, die vorzugsweise Babys und Kleinkindern zu schaffen machen. Dr. Jan-Claudius Becker, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Agaplesion Allgemeinen Krankenhaus Hagen, erwartet eine intensive Erkrankungswelle während der Wintermonate, die sich bis weit ins Frühjahr hinziehen könnte. „Natürlich sind die Kinderärzte für die Eltern immer der erste Ansprechpartner, aber am vergangenen Wochenende war auch bei uns die Notfallambulanz außergewöhnlich voll“, berichtet der Mediziner, dass bereits zehn kleine Säuglinge mit RSV-Infektionen etwa ein Viertel der Auslastung der Hagener Kinderklinik ausmachen.
Corona sorgt für Ansteckungspause
Hintergrund dieser ungewöhnlich frühen Infektionswelle in der Baby- und Kleinkindgeneration ist zumindest indirekt die seit Beginn vergangenen Jahres anhaltende Corona-Situation: Aufgrund der Pandemie-Schutzmaßnahmen und der über Monate geschlossenen Kitas und Schulen sind viele Kinder mit gewissen Erregern gar nicht mehr in Kontakt gekommen, so dass diese Infektionen jetzt von den Mädchen und Jungen gehäuft nachgeholt werden. „In den vergangenen anderthalb Jahren haben wir in der Hagener Kinderklinik gar keine RSV-Fälle gesehen“, erinnert sich Dr. Becker. Hinzu kommt, dass die Mütter ihren Neugeborenen keinen Nestschutz mitgeben, weil sie ebenfalls durch das Tragen der Corona-Maske von den klassischen Infektionskrankheiten verschont geblieben sind.
„Eine RSV-Erkrankung verläuft bei Kindern weitaus aggressiver als SARS CoV-2“, verweist Chefarzt Becker auf die meist harmlosen Covid-19-Symptome beim Nachwuchs. „Bei Kindern unter sechs Monaten kann es durch RSV hingegen gar zu Atempausen kommen, weil die Infektion sich in den kleinsten Bronchiolen festsetzt.“ Was wie jede gewöhnliche Erkältung mit Rotznase, Husten und Fieber beginnt, führt zu einem Anschwellen der Schleimhäute, einer Verengung der Atemwege und zu einer Sauerstoff-Untersättigung. Daher werden die jungen Patienten in der Kinderklinik auch permanent per Monitor überwacht, mit Extra-Sauerstoff versorgt und inhalieren mit Kochsalzlösung, um das Sekret zu verflüssigen. „Die Kinder mit angestrengter und beschleunigter Atmung müssen permanent betreut werden – sie pfeifen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem letzten Loch“, weiß der Mediziner, dass das Pflegeteam der Kinderstation schon heute stark gefordert ist, zumal bereits aus dem überlasteten Umland erste Anfragen kommen, ob das AKH Hagen noch weitere Patienten aufnehmen kann.
Eltern können ihre Kinder anstecken
Mehrere Impfungen nur für Risikokinder
Wie bei allen Virus-Erkrankungen hilft bei einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) kein Antibiotikum.Aber auch auf dem Markt der Impfstoffe gibt es derzeit noch keine idealtypische Lösung. Lediglich bei Risikopatienten werden Antikörper (Palivizumab) in den Muskel injiziert, was allerdings nur vier Wochen Schutz bietet, so Dr. Jan-Claudius Becker, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Hagen.Diese Impfung muss dann über den Winter etwa fünfmal wiederholt werden. Einige Experten raten angesichts der aktuellen Welle allerdings schon dazu, frühzeitig mit dieser Prophylaxe zu beginnen, um bei echten Risikokindern effektiv vorzubeugen.
Das größte Problem bleibt, dass dieses Virus nur eine kurze Immunität erzeugt. Bereits nach wenigen Wochen können sich Menschen erneut anstecken, dann allerdings mit einer gebremsten Symptomatik. Auch Erwachsene können eine RSV-Infektion auf ihren Nachwuchs übertragen. Daher empfiehlt Chefarzt Becker allen Eltern von Babys und Kleinkindern, aktuell Menschensammlungen – beispielsweise in vollen Bussen – zu meiden, um das Ansteckungsrisiko zu senken. Auch sollten Geschwisterkinder, die beispielsweise eine Kita besuchen, ihre jüngeren Geschwister derzeit lieber nicht intensiv herzen, um das Virus nicht weiterzureichen.
„Wenn die RSV-Welle früh kommt – normalerweise beginnt sie erst Ende Oktober – bleibt sie auch länger“, verweist Dr. Becker auf erste Fälle diesmal bereits Anfang September. Parallel bleibt die Sorge, dass nach dem intensiven Corona-Schutz der vergangenen Monate in diesem Jahr auch die klassische Grippe-Welle intensiver ausfällt.